ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Sam Davies/Colin J. Davis/David de Vries/Lex Heerma van Voss/Lidewij Hesslink/Klaus Weinhauer (Hrsg.), Dock Workers. International Explorations in Comparative Labour History 1790-1970, Ashgate, Aldershot 2000, 2 Bde., 863 S., kart., £.

Hafenarbeiter gehören international, neben den Bergarbeitern, zu den klassischen Proletariern. Sie waren in der Regel ungelernt, oftmals in prekären Arbeitsverhältnissen beschäftigt, und ihr militanter Radikalismus ist in vielen oftmals hervorgehoben worden. Die hier vorgelegten Bände bieten eine vorzügliche Einführung in den internationalen Vergleich der Situation von Hafenarbeitern über die longue durée des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts hinweg. Klaus Weinhauer, Autor einer ausgezeichneten Arbeit zu den Hamburger zu den Hamburger Hafenarbeitern[1], hatte die ursprüngliche Idee einer internationalen Vernetzung von Forschern, die über Hafenarbeiter schreiben. Mit Unterstützung des Internationalen Instituts für Sozialgeschichte in Amsterdam, der wohl einzig verbleibenden Supermacht auf dem Gebiet der Arbeiter- und Arbeiterbewegungsgeschichte, wurde schließlich ein Herausgebergremium zusammengestellt, dessen erste und wichtigste Aufgabe die Erstellung eines gemeinsamen Rahmens war, der alle Beiträge zu einzelnen Häfen und ihrer Arbeiterschaft strukturieren sollte. Der Arbeitsmarkt und die Kultur der Arbeit sollten ebenso Berücksichtigung finden wie die Arbeiterkultur und die alltäglichen Lebens- und Wohnumstände der Hafenarbeiter. Dem Verhältnis von Staat bzw. Regierung und Dockarbeitern galt das besondere Interesse der Herausgeber ebenso wie der gewerkschaftlichen und politischen Organisation der Hafenarbeiter. Ihre Militanz als Ausdruck sozialer Konfliktbereitschaft sollte eingehend untersucht werden.

Die 22 Fallstudien im ersten Teil des Doppelbandes halten sich auch vorbildlich an die gemachten Vorgaben und liefern das Rohmaterial, auf dessen Basis dann in einem substanzielleren zweiten Teil genuin komparative Aussichten auf Hafenarbeiter erarbeitet werden konnten. Die geographische Breite der berücksichtigten Häfen ist beeindruckend: Eurozentrismus wird man den Bänden kaum vorwerfen können. Skandinavien ist mit Aarhus und Turku vertreten. Westeuropa ist mit Le Havre, Rotterdam, Hull, Liverpool, Glasgow und London gut präsent, wobei eine Konzentration auf britische Häfen auffällig ist, was wohl mit der Forschungslage ebenso zutun hat wie mit der Stärke des britischen Handels im neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts. Für Deutschland sind Studien zu Hamburg und Bremen aufgenommen, aber weiter östlich herrscht Leere. Osteuropäische Häfen und ihre Arbeiter kommen leider nicht vor. Dafür gibt es einiges an außereuropäischen Studien. Nordamerika ist mit New Orleans, San Francisco Bay, St. John’s/Neufundland und New York vertreten; Australien und Neuseeland mit Fremantle, Auckland, Wellington und Lyttleton; Afrika mit Mombasa und Tanga, Indien mit Bombay und der Vordere Orient mit dem britischen Mandatsgebiet Palästina. Das ist alles ungeheuer beeindruckend, und es fällt schwer, in den einzelnen Beiträgen Schwächen zu entdecken. Sie repräsentieren handwerklich auf durchweg hohem Niveau den Forschungsstand und führen informativ und gut lesbar ein in die Kulturen der Hafenarbeiter der Welt.

Doch für den vergleichenden Historiker kommen die eigentlichen Leckerbissen erst im zweiten Teil, der die explizit komparatistischen Arbeiten enthält. Frederick Cooper geht in seinem Beitrag vor allem auf die vielfältigen internationalen Verbindungen der Hafenarbeiter sowie auf die materielle Basis der Arbeitsprozesse in den Häfen ein. Colin J. Davis behandelt die Formierung und Reproduktion von Hafenarbeitern als spezifische Berufsgruppe. Er analysiert besonders diejenigen strukturellen und kulturellen Faktoren, die letztendlich bestimmten, ob der Hafenarbeiter bei der Arbeitssuche erfolgreich war oder nicht. Anna Green schreibt über die Arbeitsprozesse in den Häfen, und der Leser erfährt sehr viel Interessantes über Beschäftigungsverhältnisse, Kontrollmechanismen über Arbeitsplätze, fachliches Know-how, Berufskrankheiten, Unfallraten und technologischen Wandel. Klaus Weinhauer beschäftigt sich mit den Auswirkungen von Gelegenheitsarbeit und zunehmenden Festanstellungen unter Hafenarbeitern. Letztere brachten sicher viele Vorteile für die Arbeiter, aber auch eine Zunahme staatlicher und unternehmerischer Kontrolle und die Zerstörung gewachsener sozialer Netzwerke und Nachbarschaften. Sam Davies vergleicht die industriellen Beziehungen in der Hafenindustrie und betont dabei die Vielzahl möglicher Muster, wobei in vielen Fällen dem Staat eine besondere Rolle bei der Gestaltung der industriellen Beziehungen zukam. Die erheblichen Auswirkungen staatlicher Intervention auf die Hafenarbeiter ist auch das Thema von John Barzmans komparativen Reflektionen. Bruce Nelson untersucht, inwieweit ethnische Identitäten solidarisches Klassenverhalten der Hafenarbeiter erschwerte und kommt zum Schluss, dass starke ethnische Differenzen je nach historischer Situation nicht unbedingt zur Schwächung starker Klassenidentitäten beitrug. David de Vries analysiert in einem faszinierenden Beitrag die Selbst- und Fremdbilder von Hafenarbeitern, bei denen physische Stärke, Männlichkeit, Gewalttätigkeit, Trinkfestigkeit und beruflicher Stolz im Vordergrund standen. Jessie Chisholm beschäftigt sich mit der berüchtigten Militanz der Dockarbeiter und kommt zu dem Schluss, dass sich oftmals eine ganz pragmatische Ausrichtung auf spezifische Ziele verband mit dem Erfolgskonzept direkter Aktion. Linda Cooke Johnson schließlich vergleicht kriminelles Verhalten in den Häfen, wobei sie sich besonders auf Diebstahl, Korruption und organisiertes Verbrechen konzentriert. Mariam Dossal Panjwani analysiert Nachbarschaften, Klubs und andere informelle Netzwerke gegenseitiger Unterstützung unter Hafenarbeitern. Lex Heerma van Voss und Marcel van der Linden beschließen den sehr lesenswerten Reigen von vergleichenden Aufsätzen mit einem Modell von Hafenarbeit, in dem vier Konfigurationen von Hafenarbeit unterschieden werden: "pre-docker, monopolistic, casual and post-casual configuration". Ganz am Schluss gibt es noch eine sehr nützliche annotierte Bibliographie zur Geschichte der Hafenarbeiter. Insgesamt haben die an diesen Bänden mitwirkenden Autoren über einen Zeitraum von sieben Jahren eine Unmenge an informativem Material zusammengestellt und es so systematisiert, dass es die Grundlage für wertvolle und anregende vergleichende Reflektionen bieten konnte. Natürlich kann dies nur der Anfang sein, aber was für ein Anfang ist den Herausgebern hier gelungen! Man kann nur wünschen und hoffen, dass mit diesen Bänden ein qualitativer Präzedenzfall erstellt ist, dem andere folgen mögen, und dass das IISG in Amsterdam auch in Zukunft in der Lage sein wird, solche Projekte finanziell zu unterstützen. Klaus Weinhauer, Alltag und Arbeitskampf im Hamburger Hafen, Sozialgeschichte der Hamburger Hafenarbeiter 1914-1933, Paderborn 1994.

Stefan Berger, Glamorgan



1 Klaus Weinhauer, Alltag und Arbeitskampf im Hamburger Hafen, Sozialgeschichte der Hamburger Hafenarbeiter 1914-1933, Paderborn 1994.


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