ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Florence Hervé (Hrsg.), Geschichte der deutschen Frauenbewegung, Papy Rossa Verlag, Köln 2001, 282 Seiten, brosch., 29,80 DM

Das Wissen um feministische Bewegungen, Kämpfe, um Erfolge und Niederlagen ist auch in der Ära des so genannten Postfeminismus und der Geschichtslosigkeit nicht zu unterschätzen. "Es gibt keine Zukunft, die man von der Vergangenheit abtrennen und selbstständig machen könnte [...] Die Vergangenheit ist in die Gegenwart eingeschlossen, ist untrennbar eins mit ihr. Gegenwart und jene andere Gegenwart, die wir Zukunft nennen, sind nichts Anderes als das Ergebnis unserer Vergangenheit. Sie sind das Gericht über das Geschehene", so wird Marie Luise Rinser im Vorwort zitiert.

Die "Geschichte der deutschen Frauenbewegung" wird in neun Kapiteln von sechs Autorinnen abgehandelt, von den ersten Aufbrüchen 1848 bis heute. Dabei entspricht der Titel nicht der Realität, es gab nicht die einheitliche deutsche Frauenbewegung, sondern ziemlich klar zumindest zwei: Eine bürgerliche, die sich im bestehenden gesellschaftlichen Rahmen für Frauenrechte einsetzte, und eine proletarische, die sich an der sozialistischen Revolution, die automatisch die "Frauenfrage" lösen würde, orientierte. Der Beginn Mitte des 19. Jahrhunderts: Die bürgerliche Frauenbewegung fordert Berufsfreiheit und Wahlrecht, die proletarische orientiert sich an sozialistischen Emanzipationstheorien. Dokumentiert werden politische Differenzen, Grabenkämpfe, Annäherungen, Erfolge und Rückschläge, manchmal, so scheint es, wäre weniger Dogmatismus angebracht gewesen. Heftige Zäsuren durch nationale und "Kinder-Küche-Kirche"- Propaganda während des Ersten Weltkrieges und im "Dritten Reich". Problematisch ist das Kapitel über die Zeit des deutschen Nationalsozialismus vom heutigem Diskussionsstand aus. Frauen in der NS-Zeit werden in diesem Kapitel entweder als Heldinnen oder als Opfer der Verhältnisse dargestellt. Das greift zu kurz, ist falsch. Sicherlich haben einige Frauen Widerstand geleistet, was von der herrschenden Geschichtsschreibung unterschlagen worden ist. Aber ebenso unbestritten ist mittlerweile, dass Frauen auch Täterinnen waren und den Nationalsozialismus sowohl passiv duldeten als auch aktiv unterstützten.

In den 1950/60er-Jahren ist das Engagement für Frieden und Gleichberechtigung zentral. Eine beispielhafte Volksbefragung 1951 vor den Krupp-Werken in Essen zum Thema Remilitarisierung, Abschluss eines Friedensvertrages. "Tausend Frauen befragten über 12.000 Arbeiter und Angestellte, nachdem tagelang vor den Betrieben Informationsmaterial verteilt worden war. Im Ergebnis sprachen sich 98% der Befragten gegen(*) Remilitarisierung und für einen Friedensvertrag aus. Die Obrigkeit sah das nicht so gern, 26 Frauen wurden verhaftet.

Die Darstellung der neuen deutschen Frauenbewegung, die das Persönliche als politisch begreift, beschreibt z.B. die Auseinandersetzungen mit dem SDS, den Kampf für das Recht auf Abtreibung bzw. die Abschaffung des § 218, die Debatte um Frauenforschung oder deren Institutionalisierung. Auch Konflikte zwischen den Frauen , z.B. lesbischen und heterosexuellen, werden nicht verschwiegen. Es fehlt die Debatte Opfer/Täterin, bzw. Gleichheit vs. Differenz, die innerhalb der autonomen Frauenbewegung geführt wurde und nicht folgenlos blieb. Diese Auseinandersetzung führte zu unterschiedlichen Einschätzungen und gesellschaftlichen bzw. politischen Perspektiven der Frauen. Zuletzt wird Neugier auf die Frauenbewegung in der DDR geweckt. Interessant ist die offizielle Politik der DDR, die auf die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Mutterschaft abzielte, gleichzeitig die Geschlechterfrage als Nebenwiderspruch manifestierte. Eine Bewegung als solche schien in der DDR trotz Frauenorganisationen nicht zu existieren.

Als Übersicht bietet diese überarbeitete und verbesserte Auflage trotz inhaltlicher Mängel Anstöße und Anhaltspunkte, eignet sich auch als Nachschlagewerk.

Raphaela Kula, Bielefeld








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©Friedrich Ebert Stiftung | Webmaster | technical support | net edition ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE | November 2002/Korrektur: 18. Dez. 2002