ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Niels Hansen, Aus dem Schatten der Katastrophe. Die deutsch-israelischen Beziehungen in der Ära Konrad Adenauer und David Ben Gurion. Ein dokumentierter Bericht (= Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte, Band 38), Droste Verlag, Düsseldorf 2002, 891 S., geb., 49,80 EUR.

Im September diesen Jahres jährte sich zum fünfzigsten Mal die Unterzeichnung des Luxemburger Vertrages, in dem sich die Bundesrepublik zu Wiedergutmachungsleistungen an Israel und den Jüdischen Weltkongress verpflichtete und der vor allem die moralische Grundlage für die weitere Entwicklung der deutsch-israelischen Beziehungen schuf. Die ersten zwanzig Jahre dieses auch heute noch nicht als "normal" zu bezeichnenden Verhältnisses zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel stehen im Mittelpunkt des hier zu besprechenden Buches von Niels Hansen. Vorweg sei gesagt: Dem Autor ist es gelungen, eine Lücke in der wissenschaftlichen Literatur zu diesem Thema zu schließen, denn trotz der zahlreichen Arbeiten zu einzelnen Phasen oder Aspekten der deutsch-israelischen Beziehungen [ Vgl. z. B. Yeshayahu Jelinek (Hrsg.), Zwischen Moral und Realpolitik. Deutsch-israelische Beziehungen 1945-1963. Eine Dokumentensammlung, Gerlingen 1997 und Constantin Goschler, Wiedergutmachung. Westdeutschland und die Verfolgten des Nationalsozialismus (1945-1954), München 1992.] fehlte bislang eine umfassende Gesamtdarstellung.

Das Buch gliedert sich in fünf große Kapitel. Davon befassen sich die ersten beiden mit der Entwicklung der Beziehungen bis zur Ratifizierung des Luxemburger Vertrages im Jahr 1953. Das mittlere Kapitel deckt die Jahre bis etwa 1960 ab, während schließlich in den beiden letzten Kapiteln der überaus mühselige und zähe Weg zur Einrichtung gegenseitiger diplomatischer Beziehungen im Jahr 1965 beschrieben wird.

Wie schwierig gegen Ende der 40er- und Anfang der 50er-Jahre die ersten Schritte zueinander waren, wird im ersten Kapitel deutlich. Verständlicherweise bestanden in Israel erhebliche Widerstände gegen direkte Kontakte zur Bundesrepublik, sodass die israelische Regierung zunächst die Alliierten um Hilfe bei der Durchsetzung ihrer Forderungen bat. Erst als diese jedoch eine Vermittlung ablehnten, entschloss sich die israelische Seite zur direkten Kontaktaufnahme mit deutschen Stellen. Diese verlief sowohl über geheime Sondierungen auf Regierungsebene als auch über Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens im In- und Ausland, wie etwa dem Herausgeber der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland, Karl Marx, dem jüdischen SPD-Bundestagsabgeordneten Jakob Altmaier [ Zu Altmaier hat der Autor dieser Zeilen soeben an der Universität Mannheim eine Dissertation vorgelegt, die im Frühjahr 2003 unter dem Titel „Jakob Altmaier (1889-1963). Ein jüdischer Sozialdemokrat in Deutschland. Eine politische Biografie„ als Buch veröffentlicht werden wird. ] und später vor allem Nahum Goldmann, der eine zentrale Rolle in den Wiedergutmachungs-Verhandlungen spielte. Einen ersten Durchbruch stellte die offizielle Regierungserklärung vom September 1951 dar, in der sich Adenauer im Plenum des Bundestages zur Wiedergutmachung verpflichtete.

Danach folgten als weitere Wegmarken im März 1952 der Beginn und im September 1952 der Abschluss der Verhandlungen sowie im März 1953 die Ratifizierung des Vertrages im Bundestag. Diese fünfzehn Monate beschreibt Hansen in aller Ausführlichkeit im zweiten Kapitel, und es ist in der Tat spannend nachzulesen, mit welchen Schwierigkeiten sich die Befürworter des Abkommens konfrontiert sahen. Adenauer musste sich gegen vehemente Widerstände im eigenen Kabinett - an erster Stelle ist hier der Finanzminister Schäffer zu nennen - durchsetzen. Dass er dies tat, ist auf seine Überzeugung von der moralischen Notwendigkeit der Wiedergutmachung zurückzuführen, und hat ihm schon damals von den Beteiligten ein hohes Maß an Anerkennung eingebracht. Dennoch ist insbesondere sein Verhalten in den ersten Verhandlungswochen zu kritisieren. Vor dem Hintergrund der parallel laufenden Schuldenkonferenz in London ließ er die deutsche Delegationsleitung bei den Wiedergutmachungsverhandlungen auf Zeit spielen, was auf israelischer Seite zunächst zu Irritationen, dann zum vorzeitigen Abbruch der Verhandlungen führte. In seiner Darstellung dieser Situation (S. 155ff.) neigt Hansen dazu, Adenauers Verhalten allzu geradlinig darzustellen und die Bedeutung der Einflussnahmen von außen für die Wiederaufnahme der Verhandlungen, die dann schließlich im September abgeschlossen werden konnten, zu unterschätzen.

Nach der Unterzeichnung und Ratifizierung des Vertrages stand die Frage der Formalisierung der Beziehungen zwischen den beiden Ländern für die nächsten zwölf Jahre im Mittelpunkt der Diskussion. Während zunächst Israel aus innenpolitischen Gründen die Aufnahme von diplomatischen Beziehungen ablehnte, waren es ab Mitte der 50er-Jahre auf deutscher Seite deutschlandpolitische und außenpolitische Motive, die die "Normalisierung" der Beziehungen verhinderten. Hansens Schilderung dieser Phase der deutsch-israelischen Beziehungen macht deutlich, welche zentrale Bedeutung die Hallstein-Doktrin sowie der Ost-West-Konflikt auch für die deutsche Israel-Politik besaß. Die Absurdität der gegenseitigen Beziehungen in den 50er- und zu Beginn der 60er-Jahre wird besonders deutlich durch die Schilderung der geheimen Rüstungszusammenarbeit der beiden Länder. Denn während offiziell am Status quo fest gehalten wurde, entwickelten sich - durch die Umsetzung des Wiedergutmachungs-Abkommens - nicht allein die wirtschaftlichen Kontakte zwischen der Bundesrepublik und Israel, sondern intensivierten sich vor allem auch die militärische Zusammenarbeit. Während zunächst Israel von Deutschland ausgesondertes Material erhielt, dehnte sich die Kooperation auf militärischer Ebene immer weiter aus, 1962 vereinbarten die Länder Waffenlieferungen im Wert von 250 Millionen DM.

Trotz dieser den Beteiligten immer offener zu Tage tretenden Diskrepanz kam es zu keiner schnellen Änderung dieser Situation. Die in erster Linie außenpolitischen Bedenken - als Exponent dieser Position ist vor allem der deutsche Außenminister Gerhard Schröder zu nennen - überwogen sogar die letzten Initiativen Adenauers vor seinem Rücktritt zur Herstellung voller diplomatischer Beziehungen. Schließlich bedurfte es eines Machtwortes des Bundeskanzlers Erhard im Frühjahr 1965, um die - u.a. durch die bekannt gewordene geheime Rüstungszusammenarbeit - immer unhaltbarer werdende Situation zu beenden und endlich auch offizielle Beziehungen zu Israel einzurichten.

Im Rahmen einer Rezension können immer nur die Kernpunkte des zu besprechenden Buches thematisiert werden. Beim vorliegenden Buch sind es die beschriebenen Ereignisse und Motive auf dem steinigen Weg zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel. Hansen beschränkt seine Darstellung jedoch nicht auf die wesentlichen Akteure, sondern bezieht eine Vielzahl von Aspekten mit ein. So würdigt er z.B. die Rolle der oppositionellen Sozialdemokratischen Partei, beschreibt detailliert die internen Diskussionen im Auswärtigen Amt und geht auf vergangenheitspolitische Fragen, wie z. B. die Verjährungsdebatte 1965 ein. Hier profitiert der Leser von der Sachkenntnis und dem Detailwissen des Autors, der nicht nur von 1981 bis 1985 Botschafter der Bundesrepublik in Israel, sondern seit 1952 in verschiedenen Ämtern für das Auswärtige Amt tätig war.

Zwei Punkte seien jedoch auch kritisch angemerkt. Zum einen ist dem Autor die notwendige kritische Distanz zu den zwei Protagonisten seines Buches - Adenauer und Ben Gurion - nicht durchgängig gelungen, wie dies am Beispiel des Verhaltens von Adenauer im Frühjahr 1952 angedeutet wurde. Zum anderen konnte der Autor offenbar seine Neigung zu Exkursen nicht zügeln. Für den Leser sind die zum Teil seitenlangen Nebenbetrachtungen stellenweise ein wirkliches Ärgernis, da er in seinem Lesefluss erheblich behindert wird. Eine konzentriertere Darstellung wäre hier besser gewesen. Diese eher marginalen Anmerkungen ändern jedoch nichts an der Tatsache, dass der Autor mit seinem Buch einen wichtigen und beeindruckenden Beitrag zur Geschichte der Bundesrepublik Deutschland geleistet hat.

Christoph Moß, Moers





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