ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Bernd Holtwick, Der zerrissene Berufsstand. Handwerker und ihre Organisationen in Ostwestfalen-Lippe (1929-1953) (= Forschungen zur Regionalgeschichte, Band 36), Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2000, 463 S., geb., 46,40 EUR.

"Handwerk" und "Handwerker" sind Phänomene, die nur scheinbar eindeutig sind, dem Historiker jedoch in dem Maße unter den Fingern zerrinnen, wie er sein Augenmerk genauer auf diesen Produktionstypus bzw. die Sozialschicht richtet und sich nicht mit der Konstruktion von Idealtypen begnügt. Holtwicks Ansatz, nicht eine abstrakte Definition zur Grundlage zu nehmen, die sich auf die sozialökonomische Ebene focussiert, sondern das Selbstverständnis "des" Handwerks, die juristischen Abgrenzungen sowie den organisatorischen Rahmen (Handwerkskammern, Innungen) zum Ausgangspunkt zu nehmen, überzeugt. Meine anfängliche Skepsis hat sich im Laufe der Lektüre verflüchtigt; Holtwicks Ansatz trägt m.E. allerdings nur für das "extrem heterogene", zudem "zerstrittene" Handwerk, mit seinen "Grauzonen" namentlich zur Industrie. Der juristisch-organisatorische Rahmen wiederum, in den Holtwick das Handwerk einbettet, erlaubt ihm, die inneren sozialökonomischen Differenzierungen ("Handwerks-Unternehmer", "mittleres Handwerk", "proletaroides Handwerk") und ebenso mentale Unterschiede und politisch-soziale Konflikte zwischen diesen drei Gruppen, das phasenweise spannungsgeladene Verhältnis zwischen organisatorischen Führungen und Mitglieder-"Basis" sowie schließlich die steten Abgrenzungskämpfe nach "oben" und "unten" (Bürgertum/Proletariat) genauer in den Blick zu nehmen.

Ausführlich thematisiert Holtwick die Jahre von 1929 bis 1953, eine Zeitspanne, die sich mit allgemeinpolitischen und -ökonomischen sowie mit gravierenden handwerksspezifischen Knotenpunkten (4. Februar 1929: Handwerksnovelle; 26. März 1953: Bundesdeutsche Handwerksordnung) rechtfertigen lässt. Diese weit gefasste Zeitspanne ermöglicht es Holtwick überdies, die Frage nach Kontinuität und Bruch der internen Konstellationen des Handwerks wie seiner gesellschaftlichen Einbettung nachzugehen. Tatsächlich zieht Holtwick den zeitlichen Rahmen noch wesentlich weiter, da er in den Einleitungskapiteln auf 70 Seiten die Entwicklungen des Handwerks im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts und während der ersten drei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts skizziert. H.’s Untersuchung ist außerdem keineswegs "nur" eine Regionalstudie, wie der Untertitel suggeriert; der Verfasser bietet darüber hinaus einen vorzüglichen Überblick auch über die Politik der Handwerkerorganisationen sowie der politischen Instrumentalisierung "des Handwerks" durch Parteien etc. auf Reichsebene. Das regionale Fallbeispiel erlaubt dem Verfasser zugleich, die sozialökonomischen Differenzierungen des Handwerks und die organisationsinternen Konflikte auf der Mikroebene in den Blick zu nehmen. Die Wahl des heutigen Regierungsbezirks Detmold macht es schließlich möglich, weitere (regionale) Differenzierungslinien einzuziehen; denn der ehemals preußische Regierungsbezirk Minden und die beiden, bis 1945 eigenständigen lippischen Kleinstaaten waren konfessionell gespalten und umschlossen städtisch-industrielle wie agrarisch geprägte Gebiete.

Die Arbeit Holtwicks ist chronologisch strukturiert. In drei großen Blöcken thematisiert er Handwerk und Handwerkerorganisationen während der Weltwirtschaftskrise, in den zwölf Jahren des Dritten Reiches sowie während der Nachkriegszeit. Politisch-ideologisch, dies gilt für die Zeit bis 1933 und abgeschwächt ebenso für die Jahre nach 1945, vertrat das "organisierte Handwerk" klassisch-liberale Positionen. Im Zentrum seiner Wünsche standen die Forderungen nach Senkung der Steuern und nach Abbau der Bürokratie; staatlich-soziale Interventionen, etwa die Subventionierung des Wohnungsbaus, wurden umgekehrt vehement abgelehnt. Bis 1929/31 agierten die Handwerkerorganisationen vor und hinter den Kulissen außerordentlich erfolgreich; Verwaltung und Reichsregierung hatten stets "offene Ohren für ihre Interessen" (S.113). Mit der von allen Reichstagsfraktionen (mit Ausnahme der KPD) verabschiedeten Handwerksnovelle von 1929 verbuchten die politischen Repräsentanten des alten Mittelstandes einen wichtigen Etappensieg: Die Definitionsgewalt darüber, wer als Handwerker galt und wer nicht, ging unmittelbar auf die Handwerkerorganisationen über; erst mit dieser Novelle war die "rechtliche Abgrenzung des handwerklichen Berufsstandes vollzogen" (S.114).

Dass auch das Handwerk – je nach Berufsgruppe freilich in sehr unterschiedlichem Ausmaß – von der Krise betroffen war, überrascht ebenso wenig wie namentlich seit 1931 Mitgliederschwund und allmähliche Auflösung vieler Innungen. Interessant ist die Gegenthese Holtwicks zur berühmten Formel Theodor Geigers von der "Panik im Mittelstand": Das Lamento der Handwerksorganisationen dürfe nicht für bare Münze, "nicht unkritisch als Gradmesser einer angeblichen Verzweiflungsstimmung genommen werden". Der "Chor der Panik" aus den "Stimmen der Organisationsvertreter" "spiegelte nicht einfach die Situation an der Basis wider, sondern zeichnete ein eigenes Bild", das auf "interessengeleitete Verzerrung angelegt" gewesen sei. Von "Panik" im Geiger’schen Sinne könne man außerdem deshalb nicht sprechen, weil eine pauschale "Hinwendung zur NSDAP fehle" (S. 145 f., 150 f.). Indem sich die NSDAP bzw. ihr "Kampfbund des gewerblichen Mittelstandes" zünftlerischer als die selbstständigen Handwerker selbst gerierte, sprach sie nur Teilgruppen des alten Mittelstandes an (S. 167). Wenn Handwerker der NSDAP gegenüber bis Anfang 1933 zumeist distanziert blieben, dann lagen dem freilich auch ökonomische Motive zu Grunde: Viele von ihnen konnten und wollten durch offen nazistisches Engagement ihren zumeist kleinen, überschaubaren, politisch heterogenen Kundenkreis nicht vergrätzen. Auch die Handwerkerorganisationen enthielten sich bis Mitte 1932 "praktisch jeder Stellungnahme zur NSDAP" (S. 155).

Dennoch bleibt: Die Handwerkerorganisationen, insbesondere ihre Vorstände, lebten bis 1933 gleichsam vom "Schreckensszenario der roten Herrschaft", von einem dezidierten Antisozialismus (S. 124, 153); in diesem Kontext hätte man allerdings gern erfahren, wie erfolgreich eigentlich das Werben der Sozialdemokratie der Weimarer Republik namentlich um die "Kleinsthandwerker" war. Bis 1914 – und darüber hinaus – rekrutierten sich ja wesentliche Teile der Führungsschicht wie der Mitgliedschaft der SPD aus dieser Sozialschicht (S. 89). Die bis 1945/49 für die Organisationen charakteristische Frontstellung gegen SPD (und KPD) besaß freilich auch eine entscheidende Binnenfunktion: Die Mobilisierung von Bedrohungsgefühlen durch die Kammer- und Innungsvorstände schweißte die auseinander strebende Basis zusammen (S. 124). Denn das Handwerk war hochgradig heterogen; es war nicht nur nach Berufsgruppen, sondern stärker noch in handwerkliche Kümmerexistenzen, saturierte Meister und Handwerks-Unternehmer gespalten. Die Organisationsvorstände suchten diesen internen Differenzierungen nicht durch eine Politik ausgewogener Kompromisse zwischen die drei Schichten beizukommen, sondern indem sie einseitig Partei für die handwerkliche Mittel- und Oberschicht ergriff und die proletaroiden Handwerker aus dem Stand herauszudrängen suchte – ein wichtiges Kontinuum der Politik der Verbandsvorstände 1929 bis 1953 (und darüber hinaus). Zuhilfe kam den 1933 bis 1945 gleichgeschalteten Organisationsführungen (S. 176-182) die geringe soziale Stabilität der handwerklichen Unterschichten: Ein großer Teil von ihnen, namentlich erwerbslose Gesellen, die als "Notselbstständige" seit 1929/30 ein elendes Dasein fristeten, wurden vor dem Hintergrund der Vollbeschäftigung seit 1935/36 wieder zu "regulären" Lohnabhängigen und wanderten als Facharbeiter in die Rüstungsindustrie ab.

Die Vorstände der Kammern und Innungen wiederum nutzten den Facharbeitermangel, um "mit deutlicher Zustimmung und großem Engagement" den vom Regime geführten "Kampf gegen die Kleinhandwerker" zu unterstützen und deren Abdrängung namentlich in die Rüstungsindustrie zu beschleunigen. Mit der ökonomisch induzierten, durch verschiedene Maßnahmen beschleunigten "Bereinigung" des Handwerks um "Notselbstständige" und "Pfuscher" erfüllte das NS-Regime lang gehegte Wünsche der "mittleren Handwerker", wurde "ein alter Konflikt ausgetragen, der für ‚das Handwerk‘ [überhaupt] konstitutiv" war und ist (S. 205 f.). Während des Krieges setzte sich die innere Konsolidierung des Handwerks fort: Stilllegungs- und Auskämmungsaktionen geschahen weitgehend auf Kosten der Kleinhandwerker (S. 223, 235). Auch sonst stützte das Regime das mittlere Handwerk: Wichtig war nicht zuletzt die Einführung des "großen Befähigungsnachweises" Anfang 1935, der – mit Übergangsfristen – für den Schritt in die handwerkliche Selbstständigkeit verbindlich die Meisterprüfung vorsah; bis Mitte der Dreißigerjahre waren bis zu zwei Drittel aller selbstständigen Handwerker keine "regulären" Meister (S. 197). Infolgedessen und angesichts weiterer nationalsozialistischer Maßnahmen, die auf die sukzessive Verdrängung der Kleinsthandwerker zielten und eine Homogenisierung des alten, gewerblichen Mittelstands begünstigten, wurden namentlich die "mittleren Handwerker" zu treuen Verbündeten des NS-Regimes (S. 192, 198 u.ö.). Die Geschichte des Handwerks während des Dritten Reiches war allerdings, das betont der Verfasser immer wieder, keine gradlinige Erfolgsgeschichte. Der Krieg zehrte allmählich auch das stabile, bei UK-Stellungen im Vergleich zum Kleinhandwerk besser gestellte, "mittlere Handwerk" aus: 1942 waren knapp die Hälfte aller Männer, die in Handwerksbetrieben gearbeitet hatten, zur Wehrmacht eingezogen, in der Industrie dagegen nicht einmal ein Drittel (S. 222).

In der unmittelbaren Nachkriegszeit stand das (west-)deutsche Handwerk sehr viel besser da, als andere Wirtschaftszweige und Sozialschichten (von den Bauern abgesehen): Handwerksbetriebe waren weniger von Luftangriffen betroffen als industrielle Werke. Angesichts eines allgemeinen Versorgungsmangels erhöhte sich der Stellenwert des handwerklichen Gewerbes zwangsläufig. Erneut zeigten sich die Handwerkerorganisationen außerordentlich anpassungsfähig; diskreditierte Funktionäre wurden rasch und geräuschlos ausgetauscht, der politische Einfluss erhalten oder noch ausgebaut (S. 250 ff.). Eine "gewisse Anlehnung an die nationalsozialistische Rhetorik" machte freilich deutlich, dass die Anpassung an die neuen politischen Verhältnisse vielerorts zunächst nur oberflächlich war (S. 261).

Seit den Fünfzigerjahren entwickelten die Handwerkerorganisationen auch zur SPD ein gelasseneres Verhältnis im Rahmen eines parteipolitisch vordergründig neutralen Lobbyismus (S. 296 ff., 309 ff.). Flüchtlinge, die sich nach 1945 in Westfalen als kleine Handwerker niederlassen wollten, konnten von den alteingesessenen erfolgreich marginalisiert und vielfach, als Lohnarbeiter, in die Industrie abgedrängt werden – teilweise unter Rückgriff auf Verordnungen, die während der NS-Zeit erlassen worden waren (S. 261 ff., 265). Von der Währungsreform profitierten auch die Handwerker (S. 273). Mit dem industriellen Aufschwung Anfang der Fünfzigerjahre setzte sich dann freilich ein Trend fort, der bereits während der Jahrzehnte zuvor zu beobachten gewesen war: In allen Berufssparten, in denen Massenproduktion möglich war, verschwand das produzierende Handwerk gänzlich oder wurde zum Reparaturhandwerk. In anderen Berufszweigen verstärkte sich die Verflechtung mit der industriellen Massenfertigung (Verarbeitung von industriellen Halbfabrikaten usw.). Das änderte nichts an der überaus erfolgreichen Politik der Handwerkerorganisationen auch in der frühen Bundesrepublik; mit der Handwerksordnung, die die ständische Einhegung des Handwerks von 1953 trotz eines prosperierenden industriekapitalistischen Umfeldes auf Dauer fest schrieb, lieferten jene ihr "Meisterstück", wie Holtwick zu Recht feststellt (S. 316, 319 ff.). Nicht zuletzt in den außerordentlichen Erfolgen der Handwerkerorganisationen über die verschiedenen politischen Systeme hinweg spiegelt sich der Tatbestand wider, dass im Handwerk die "Kontinuitäten" die "Brüche" dominierten – sozialstrukturell wie organisationspolitisch. "Selbst die nationalsozialistische Diktatur [wirkte] ‚nur’ beschleunigend" (S. 333 f.).

Obwohl Holtwick keine sozialökonomische Konstruktion von "Handwerk" zum Ausgangspunkt nimmt, thematisiert er doch ausführlich wirtschaftliche wie soziale Spezifika des alten Mittelstandes, und unterfüttert sie empirisch: die verlagsähnlichen Abhängigkeiten bei gleichzeitig verbissenem Festhalten am Selbstständigenstatus vor allem im 19. Jahrhundert, der Wandel vieler Berufsfelder (vom Produktions- zum Reparaturhandwerker) bzw. das gänzliche Verschwinden mancher Berufsgruppen, die "mithelfenden Familienangehörigen" als Indikator für "Pfusch"-Handwerker, die starken familiären Bindungen ("Abhängigkeit von den Eltern" usw.: S. 47 ff., 69 f. u.ö.). Wichtig ist auch z.B. sein Hinweis, dass sich das "Phänomen der ‚Notselbstständigen‘ einer exakten Quantifizierung entzieht" (S. 207) und etwa ein Vergleich der Berufszählungen 1925, 1933 und 1939 nur grobe Trends andeuten kann. Die Interpretationen im Text lassen sich vom Leser überprüfen: In einem umfänglichen statistischen Anhang, der um die vier Themenschwerpunkte "Familie und Betrieb", "Strukturen der Handwerkerschaft", "Wirtschaftliche Lage" und "Politik" gruppiert ist (S. 337-404). Dass darüber hinaus Holtwicks Arbeit interessante Ausführungen zu zahlreichen "Nebenaspekten" – z.B. zu den katholischen Ständehäusern in den Zwanziger- oder zum "Mittelstandsblock" Anfang der Fünfzigerjahre (S. 103 f., 300 ff.) – enthält, sei nur angemerkt.

Kleine Kritikpunkte können den insgesamt sehr positiven Eindruck der materialreichen Studie kaum abschwächen: Über den "Fremdarbeitereinsatz" während des Zweiten Weltkrieges erfährt man nur wenig; dass das Handwerk schlechter mit ausländischen Zwangsarbeitern versorgt wurde als Industriebetriebe, lässt sich nach der Lektüre lediglich vermuten. Zu kurz kommen auch die Konflikte des Reichshandwerksmeisters sowie der lokalen Kammern und Innungen mit konkurrierenden Institutionen und Organisationen, namentlich der DAF, die ja für sich in Anspruch nahm, die Gesamtheit der "schaffenden Volksgenossen" zu repräsentieren. Zudem lassen sich bestimmte Thesen nicht halten: Holtwick konstruiert tendenziell einen Gegensatz zwischen dem nationalsozialistischen Leistungsideal und handwerklichem Arbeitsethos und "Meisterehre" (S. 201 ff.; vgl. auch S.263). Diese Spannung war nicht so groß, wie er suggeriert, zumal "Leistung" auch und gerade im Dritten Reich ein dehnbarer Begriff blieb und sich vorzüglich mit dem nationalsozialistischen Konzept einer rassistisch aufgeladenen "Wertarbeit" verknüpfen ließ. Nicht zufällig griffen Handwerkerorganisationen nach 1945 regelmäßig auf das Argument der "Leistung" zurück, um berufsständische Interessen durchsetzen zu können (S. 322 f.). Dass "unternehmerische Qualitäten" auch für das Handwerk seit Mitte der Dreißigerjahre eine "Schlüsselrolle gewannen" (S. 205), lag ebenso im langfristigen Trend und lässt sich gleichfalls als ‚Modernisierungsleistung‘ des NS-Regimes qualifizieren. Auch die von der DAF beschworene "Leistungssteigerung der Handwerksbetriebe, die nicht zuletzt durch eine Technisierung erreicht werden sollte", sowie die Ablehnung einer "bloßen Traditionspflege" im Handwerk, wie sie für die Arbeitsfront charakteristisch gewesen sei, lassen sich durchaus als "Modernisierungsanstrengung" qualifizieren (S. 236). Nur am Rande sei in diesem Zusammenhang erwähnt, dass Holtwick einem verengten, normativ aufgeladenen Begriff von Modernisierung anhängt, nämlich den Begriff mit politischer Partizipation etc. verknüpft (S. 204 f., Anm., S. 334, Anm.). Ihm entgehen dabei die Verwerfungen der "Moderne", die Janusgesichtigkeit, die Modernisierungsprozesse immer auch besitzen können. Auf die Ambivalenz der "Moderne" hinzuweisen, heißt keineswegs, das Dritte Reich aufzuwerten. Kein Zufall scheint mir, dass angesichts der eindimensional-positiven, tendenziell teleologischen Konnotationen, die dem letztlich diffusen Begriff oft beigelegt werden, das – für die NS-Zeit m.E. eher irreführende - Schlagwort "Modernisierung" als heuristische Kategorie in den letzten Jahren eher gemieden wurde. Offenbar ist es auch kein Zufall, dass Holtwick den Begriff eher verschämt in Anmerkungen – und nicht im Text oder gar in der Schlussbemerkung – diskutiert. Schließlich hätte man sich gewünscht, dass der internationale Vergleich stärker gemacht worden wäre.

Diese Einwände können nichts daran ändern, dass die materialreiche Dissertation Holtwicks sich zu dem Standardwerk über das Handwerk in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mausern wird. D.h. selbstredend nicht, dass für diesen Zeitraum keinerlei Forschungen zum "alten Mittelstand" mehr notwendig wären: Über weitere Regionaluntersuchungen wären die Ergebnisse Holtwicks ggf. zu modifizieren; die sehr knappen Andeutungen zur, im Vergleich zur britischen Zone, radikal-liberalen Handwerks-Politik in der US-amerikanischen Besatzungszone könnten in einer separaten Untersuchung sehr viel differenzierter – vergleichend und auf die konkreten Formen ihrer Umsetzung hin – skizziert werden; auch spezifische politische, von Holtwick im Grunde nur angedeutete Spannungsfelder, z.B. zwischen NSDAP/DAF und Handwerkerorganisationen, bedürfen einer weiter gehenden Analyse. Holtwick indes hat mit seiner Dissertation Marksteine gesetzt, an denen sich die künftige Forschung orientieren wird.

Rüdiger Hachtmann., Berlin





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