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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Elisabeth Schepers, Als der Bettel in Bayern abgeschafft werden sollte. Staatliche Armenfürsorge in Bayern im 16. und 17. Jahrhundert (= Studien zur Geschichte des Spital-, Wohlfahrts- und Gesundheitswesens. Schriftenreihe des Archivs des St. Katharinenspitals Regensburg, Band 3), Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2000, 281 S., kart., 29,90 EUR.

Bei der zu erörternden Monographie von Elisabeth Schepers über die staatliche Armenfürsorge in Bayern im 16. und 17. Jahrhundert handelt es sich um die gedruckte Fassung ihrer Münchener Dissertation aus dem Jahr 1996. Die quellenmäßige Grundlage dieser landesgeschichtlichen Untersuchung bilden die so genannten "Mandate", obrigkeitliche Gesetze oder Verordnungen, die das Armenrecht in der frühen Neuzeit regeln sollten. Eine gut strukturierte "Einleitung" (1.) stellt zunächst Thema, Fragestellung sowie die unterschiedlichen Quellengattungen vor und setzt sich kritisch mit den Erträgen der einschlägigen Historiographie auseinander. Weniger überzeugend sind dagegen die sich daran anschließenden Überlegungen über Methoden und Begriffe der Arbeit. Zwar weist die Autorin zurecht darauf hin, dass die Wortwahl in der frühen Neuzeit zum Teil erheblich von der der heutigen Zeit abwich, eine fundierte begriffliche Klärung gelingt ihr jedoch nur bedingt. Beispielsweise hätten bei der Erläuterung des "Müßiggangs" einem der zentralen Begriffe der Arbeit ­ die frühneuzeitlichen Implikationen stärker problematisiert werden müssen. Dann wäre es der Autorin möglicherweise besser gelungen, eine klare Trennung zwischen der Sprache der Quellen und ihren eigenen Darlegungen durchzuhalten. Wichtige Bezeichnungen für mittellose Bevölkerungsgruppen ("Vaganten", "Landstörzer", "Gartner") hätten zudem nicht verstreut in den hinteren Kapiteln, sondern am Beginn der Darstellung kurz erläutert werden sollen.

Ehe sich die Verfasserin Bayern zuwendet, untersucht sie die "Bedürftigenpolitik in der frühen Neuzeit" (2.) bzw. die "Armenfürsorge im Reich" (3.). Anhand von Sekundärliteratur zeigt sie auf, dass die obrigkeitliche Armenfürsorge um 1520 "durch einen Einstellungs- und gesellschaftlichen Strukturwandel" ausgelöst wurde, der u.a. von der Reformation beeinflusst war (S. 58). Ein einheitliches Lösungsmodell zur Armenversorgung habe dabei im Reich nicht bestanden, sondern neben der Rahmen setzenden Reichsversorgung seien "territorial erlassene und kommunal organisierte Bettelordnungen" wirksam gewesen (S. 71). In den beiden folgenden Kapiteln (4. und 5.) analysiert die Autorin die Entwicklung der staatlichen Fürsorge in Bayern im Zeitraum von 1551 bis 1669 anhand von sieben Bettelmandaten. Sie legten fest, wer an welchem Ort Bayerns Almosen empfangen durfte und schlossen in der Regel arbeitsfähige und nicht ortsansässige Personen unter Androhung von z. T. drakonischen Strafen vom Betteln aus. Aus dem Kanon dieser obrigkeitlichen Verordnungen ragte das von Kurfürst Maximilian I. 1627 erlassene Bedürftigenmandat heraus, das ein allgemeines Bettelverbot sowie die Errichtung eines umfassenden Kontrollsystems vorsah.

Aus diesem Grunde versucht Elisabeth Schepers im letzten Teil ihrer Darstellung (6. und 7.), "eine mikrohistorische Untersuchung des Bettelmandates von 1627 zu leisten" (S. 128). Dabei geht sie der Mandatsentstehung, der Finanzierung sowie den Kontrollmechanismen zu seiner Durchsetzung nach und behandelt die Reaktionen von Armutsbevölkerung und Obrigkeit. Als historisches Vorbild des repressiven Mandats macht die Autorin die 1535 in Azpeitia eingeführte Bettelordnung des spanischen Klerikers Ignatius von Loyola aus. Dem Versuch, die landesfürstliche Einflussnahme durch das Bettelmandat zu festigen und auszuweiten, war jedoch kein dauerhafter Erfolg beschieden. Trotz erheblichen Drucks auf die Landstände und Beamten ließ sich die Bettelordnung nicht etablieren und musste 1630 durch ein weiteres Mandat teilweise zurückgenommen werden. Offen bleibt allerdings die Frage, was Maximilian I. dazu veranlasste, 1627 die Zügel in der Fürsorgepolitik anzuziehen. Eine gründliche Untersuchung der Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges, den die Autorin beiläufig erwähnt und dem sie "indirekten Einfluss auf das Fürsorgewesen" attestiert (S. 18), hätte hier möglicherweise weiter gehende Aufschlüsse geben können. Die Studie klingt aus mit "Ergebnissen" (8.), "Quellen- und Literaturverzeichnis" (9.) und einem "Anhang", der einen Überblick über die benutzten Mandate gibt sowie einen Index enthält. Erfreulicherweise stellt der "Anhang" außerdem die wichtigsten Bestimmungen von sechs Bettelmandaten (1551-1630) einander gegenüber und druckt vier von ihnen, darunter das zentrale Gesetz von 1627, ab.

Leider merkt man der Studie die von der Autorin im "Vorwort" angedeuteten Schwierigkeiten bei der Abfassung an. Das Lay-out weist erhebliche Mängel auf, phasenweise treten stilistische Unebenheiten und Rechtschreibfehler hervor. Die im Anmerkungsverzeichnis aufgeführten 13 Abkürzungen repräsentieren nur einen kleinen Ausschnitt der im Text verwendeten Abkürzungen. Die Indices von Personen und Ortsnamen sind lückenhaft und garantieren keine systematische Erschließung des Werkes. Das bedeutende, mehrfach erwähnte "Trienter Konzil" wird zeitlich nicht eingeordnet (gemeint ist offenbar das Konzil von 1563). Ob die Bedürftigen durch die obrigkeitliche Fürsorge zu Beginn des 16. Jahrhunderts auch am gesellschaftlichen Aufstieg gehindert werden sollten (S. 56), darf bezweifelt werden. Die Ablehnung der These von der "Sozialdisziplinierung als gesellschaftlichem ‚Fundamentalprozess’" (S. 190) erscheint mir unangebracht und ist offenbar auf eine zu eng gefasste Definition des Begriffs zurückzuführen.

Fazit: Elisabeth Schepers hat in ihrer Studie mit den "Mandaten" eine originelle Quellengattung herangezogen und wichtige Aspekte der bayerischen Armenfürsorge vor allem zu Beginn des 17. Jahrhunderts beleuchtet. Jedoch wurde nicht das gesamte Potenzial des untersuchten Materials ausgeschöpft und eine sorgfältige Endredaktion wäre dringend notwendig gewesen.

Matthias Willing, Bamberg





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