Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online
Christian Eggers, Unerwünschte Ausländer. Juden aus Deutschland und Mitteleuropa in französischen Internierungslagern 1940-1942, Metropol Verlag, Berlin 2002, 566 S., brosch., 24 EUR.
Mit der überarbeiteten Fassung seiner 1993 an der Freien Universität Berlin vorgelegten Dissertation liefert Eggers einen um eine systematische Gesamtdarstellung bemühten Beitrag zur Literatur über französische Internierungslager. Dieser Beitrag, den Eggers selber als eine sorgfältige "Spurensicherung" bezeichnet, geht weit über die 1991 erschienene Monografie von Anne Grynberg und die seit einem Jahrzehnt erschienene Literatur zu diesem Thema hinaus. Zwei wesentliche Fragen leiten seinen Text ein: die Frage nach der Mitverantwortung der französischen Verwaltung für die Judenverfolgung und so wie Azéma nach der Kontinuität der beteiligten Strukturen und Institutionen.
Das Vichy-Regime erbte von der Dritten Republik das Lagersystem, das unter der Volksfront zwecks Unterbringung von Flüchtlingen aus der zusammengebrochenen spanischen Schwesterrepublik entstand und letztendlich ab Sommer 1942 ein Instrument innerhalb der Maschinerie von Deportation und Ausrottung der europäischen Juden werden sollte. Das Lagersystem diente also als Repressionsinstrument unterschiedlicher Regime mit wechselnden Zielrichtungen. Dieses Lagersystem untersucht Eggers chronologisch und aus der Sicht verschiedener Perspektiven: Nachdem er die Entstehung, Aufbau und Ausbau der Internierungslager beschrieben hat, widmet er sich nach und nach den Internierten, den deutschen Besatzungsbehörden und den Hilfsorganisationen.
Im ersten Abschnitt werden ausführlich die verschiedenen Schritte dargestellt, die zur Entstehung der Internierungslager führten. Während sich mit der Flut der aus Spanien geflüchteten Republikaner die Lage der Ausländer in Frankreich von Grund auf änderte, erweckte mit dem Ausbruch des Krieges eine neue Kategorie von Ausländern die Aufmerksamkeit und Sorgen der französischen Behörden. Ein Dekret vom 1. September 1939 erklärte alle deutsche Staatsangehörigen zu "sujets ennemis". Gleichzeitig wurde in jedem Departement eine Sammelaktion aller Auslandsdeutschen und Emigranten in Gang gebracht. Es folgten Maßnahmen, die die Internierung der Ausländer zur Folge hatten. Beim Näherrücken der Wehrmacht wurden die Internierten in die Südzone transferiert, eine Maßnahme, die sie jedoch in keiner Weise vor dem Angriff der Deutschen schützte, denn nach den Bestimmungen der Art. 19 des im Juni 1940 unterschriebenen Waffenstillstandes sollte die Besatzungsmacht über ihre Staatsangehörigen verfügen.
Nach der "Révolution nationale" in Vichy-Frankreich wurde ab Oktober 1940 die jüdische "Rasse" als Kriterium für die Internierung herangezogen. Die vom Vichy-Regime erlassenen Dekrete über die "Ausländer jüdischer Rasse" bildeten eine entscheidende Schnittstelle, denn damit wurde wie Eggers betont "das von der Dritten Republik in einer Ausnahmesituation geschaffene Lagersystem in den Dienst einer rassistisch definierten Ausgrenzungspolitik gestellt". Infolge dieser Politik wurde im November 1940 die Zuständigkeit für das Lagersystem durch das Verteidigungsministerium an das Innenministerium abgetreten. Damit erfolgte sogleich eine Spezialisierung der Internierungslager. Neben den Arbeitslagern später GTE (Groupe de travailleurs étrangers) genannt entstanden Lager, die sich auf bestimmte Kategorien von Personen spezialisierten: Das Musterlager Risevaltes als Cité des Enfants bezeichnet nahm die internierten Kinder auf, und in die zwei Krankenhaus-Lager von Noé und Récébédou wurden nun Kranke transferiert. Als im Frühjahr 1942 das Lagersystem reformiert wurde, standen die Arbeitslager im Mittelpunkt des Lagersystems. Diese Rationalisierung des Lagersystems dauerte nicht lange. Mit den Deportationen aus der unbesetzten Zone ab Sommer 1942 sollte bald das Ende der Internierungslager beginnen. Auf Befehl der Besatzungsmacht verschwanden sogar nach einem Circulaire vom 6. Dezember 1942 sämtliche an der Küste gelegenen Internierungsorte für Ausländer.
Im Zusammenhang mit dem Beginn der Deportationen erörtert Eggers die brisante Frage nach der Verantwortung der französischen Regierung, die von sich aus ganz eindeutig dazu beitrug, bei den infrage kommenden Deportationen die Population der Internierungslager aus der unbesetzten Zone einzubeziehen. Diese Ausführung über die französische Verantwortung bleibt kurz. Erst im Kapitel über die deutschen Besatzungsbehörden wird dieser Themenkomplex umfassend herausgearbeitet.
Nach der Darstellung des Lagersystems konzentriert sich Eggers auf die Internierten. Ihm ist es gelungen, Zugriff auf 2.582 Briefe aus dem Brieffonds der Commission des camps zu erhalten. So kann er Zeugnisse heranziehen, die von besonderer Bedeutung sind, da sie im Gegensatz zu der oft ausgewerteten Memoirenliteratur nicht erst nach Jahren verfasst worden, sondern unmittelbar zur Zeit der Lager entstanden waren. Somit behandelt er eine Reihe von Themenkomplexen, die von den hygienischen Verhältnissen bis zu Fluchtversuchen, Befreiungen und Arbeitsunfälle reichen. Dieser Abschnitt ist auch chronologisch geordnet, da sich die Lage der Internierten im Laufe der Zeit grundsätzlich veränderte und dramatisch verschlechterte. Nach dem Winter 1940/41 beherrschten Hunger, Krankheit und Tod das Leben in den Lagern. Verantwortlich war die Inkompetenz der französischen Verwaltung, die von vornherein bis zum Ende der Internierungslager die akuten Probleme nie in den Griff bekam. Die Lage der Internierten war auch durch die außenpolitischen Ereignisse bestimmt. Während das Vichy-Regime im Herbst 1940 die Emigration nach Übersee erleichterte, um sich so der jüdischen Ausländer zu entledigen, machte bald der Kriegseintritt Amerikas diese Emigration fast unmöglich. Nach Beginn der Deportationen wurden schließlich keine Ausreisevisa mehr an jüdische Flüchtlinge erteilt.
Besonders zu würdigen ist in diesem Abschnitt der Versuch Eggers, die Lagerbevölkerung qualitativ und quantitativ zu definieren. Die Internierten bildeten eine äußerst heterogene Gruppe, deren Zusammenleben nicht immer reibungslos blieb. So berichtet Eggers über wiederholte Spannungen. In der ersten Zeit des Kriegs bewirkte die Entwicklung der Lage an den Fronten eine Polarisierung der Lagerpopulation. Während einige Deutsche sich von einem deutschen Sieg die rasche Befreiung erhofften, erlebten viele andere "die Niederlage Frankreichs als eine Art Weltuntergang". Im Lager Les Milles kam es im Juni 1940 zu einer nächtlichen Schlägerei zwischen "Nazis" und "Antinazis".
Den spannendsten Abschnitt des Buches bildet das Kapitel über die deutschen Besatzungsbehörden. Nun erfährt man ganz detailliert, wie es zu den Deportationen aus der Südzone ab Sommer 1942 kommen sollte. Gleichzeitig wird die Frage nach der Verantwortung der französischen Verwaltung geklärt. Vom Spätsommer 1940 bis Frühsommer 1942 herrschte auf deutscher Seite zunächst Desinteresse an den Lagern vor, was wie Eggers betont nicht unbedingt als ein Zeichen besonderer Humanität gewertet werden darf. Zu diesem Zeitpunkt war die Judenpolitik des deutschen Reiches noch nicht endgültig festgelegt. Erst mit dem Beginn der "Endlösung" in Frankreich begannen die deutschen Behörden, sich intensiv für die Internierungslager der unbesetzten Zone zu interessieren.
Die eigentliche Organisation der Judendeportation aus Frankreich wurde in Paris ab Mai 1942 von Theodor Dannecker, einem Vertrauten Eichmanns, vorbereitet und durchgeführt. Dieser war Leiter des Judenreferates innerhalb der in Paris von Helmut Knochen im Juni 1940 errichteten Zweigstelle des RSHA. Wie Eggers betont, war Dannecker von vornherein auf die Hilfe französischer Behörden angewiesen, da er nur über ungenügende Polizeikräfte verfügte. Unter diesen Umständen gelang es der SS in Paris schnell, sich der Mitarbeit der Franzosen zu versichern, indem sie einige der Hauptsorgen der französischen Regierung wie die französische Souveränität und die Befehlsgewalt über die französische Polizeikräfte ins Spiel brachte. Dieser letzte Punkt sollte eine besondere Wirkung auf René Bousquet, den Generalsekretär der Polizei haben, denn dieser kam angesichts der Drohung einer Unterstellung der französischen Polizei unter den Deutschen Karl Oberg von sich aus dazu, vorher noch unvorgesehene Deportationen von Juden aus der unbesetzten Zone vorzuschlagen. Ein anderes Druckmittel der deutschen Besatzungsbehörden zeigte auch die größte Wirkung. Gegenüber dem Verlangen Eichmanns, der die Zahl von 100 000 Juden aus Frankreich forderte, wollte Dannecker keine Rücksicht auf die Nationalitäten der Deportierten nehmen und drängte bald auf die Deportation von französischen Juden, was der national gesinnte Laval in keiner Weise akzeptieren wollte. Zu diesem Zeitpunkt ordnete Laval die Auslieferung von Kindern an in der Hoffnung, damit die französischen Staatsbürger zu schützen. Dies wird durch eine Depesche Danneckers an Eichmann vom 6. August belegt. Am 8. August einen Tag nach Ankunft des ersten Konvois aus der Südzone in Drancy wurde das Polizeiabkommen, das die administrative Unabhängigkeit der französischen Polizeikräfte versichern sollte, unterschrieben. Mit dem letzten Zug vom 22. Oktober 1942 wurden insgesamt 11.005 Juden aus der Südzone deportiert. Schließlich gerieten Laval und Bousquet unter den Druck der öffentlichen Meinung und der katholischen Kirche und sollten Widerstand gegen weitere Deportationen leisten. Erst im Frühjahr 1944 setzten neue Deportationen ein. Nun gingen die Dienststelle des SD zur systematischen Deportation aller jüdischen Angehörigen der Arbeitseinheiten nach Auschwitz über, deren Nützlichkeit für die deutsche Kriegswirtschaft nun keine beschonende Rolle mehr zu spielen vermochte.
Eggers endet seinen Beitrag mit einer Darstellung der verschiedenen Hilfswerke, die ab Winter 1940/41 in den Lagern zum Einsatz kamen. Nach einigen Ausführungen über die institutionelle Organisation der humanitären Hilfe ist er vor allem um eine Auswertung ihrer Beiträge bemüht. Diese blieben selbst zur Sicherung des Existenzminimums unzureichend. Auch bezüglich der Deportationen ist für Eggers ihre Wirkung fraglich: Die Hilfswerke haben die Deportationen nicht verhindern und auch keine Änderung der ursprünglichen Pläne bewirken können, eher umgekehrt. Zwar haben sie während der gesamten Deportationsperiode versucht, so viele Personen wie möglich auf legalem Wege zu retten, aber diese Strategie konnte nur minimale Auswirkung haben. Eggers betont, dass "[ihre] Arbeit auch zum planmäßigen Ablauf der Deportationen beigetragen hat, da ihre bloße Anwesenheit beruhigend wirkte und Verzweiflungsakte oder Revolten verhinderte". Dennoch muss das Bemühen der Hilfswerke letztlich gewürdigt werden. Immerhin haben sie versucht, die "Unmenschlichkeit so weit wie möglich abzumildern und zu erreichen, dass die Zusammenstellung der Züge und der Transport unter halbwegs erträglichen Bedingungen stattfinden. Oft bewirkte allein ihre Gegenwart eine Entspannung der Situation". Vor allem haben sie sicherlich einen großen Anteil daran, dass Vichy schließlich auf Grund der breiten Missbilligung in der Bevölkerung in seinem Eifer nachließ.
Im Nachwort schließt Eggers u.a. die am Anfang gestellte Frage nach der Kontinuität der französischen Verwaltung und beteiligter Strukturen. Von der Dritten Republik bis zum Vichy-Regime dominierte bei der Einrichtung der Internierungslager ein repressiv definiertes Sicherheits- und Nationalinteresse alle humanitären Überlegungen. Dieses von einem Regime zum anderen übergreifende Interesse sollte schließlich aus den Internierungslagern fast unvermeidlich ein willkommenes Instrument in der Maschinerie der Ausrottung der europäischen Juden machen. So schreibt Eggers abschließend: "Man kommt an der Tatsache nicht vorbei, dass viele der Opfer ihre Anwesenheit in den Lagern im Sommer 1942 Entscheidungen verdanken, die bereits vor Vichy getroffen worden sind. Insofern geht eine Entwicklungslinie von den ersten gesetzlichen Vorbereitungen und der Einrichtung der ersten Lager im Frühjahr 1939 hin zu den Deportationen nach Ausschwitz".
Der systematischen Darstellung und Ausführlichkeit wegen bildet das Buch von Christian Eggers einen wichtigen Beitrag zur Literatur über Internierungslager in Frankreich, von dem man sich wünscht, dass es bald auch auf Französisch erscheint. Somit könnte er umso mehr die erst seit ein paar Jahren in Frankreich eröffnete Diskussion über den Charakter des Vichy-Regimes anregen. Zu bemängeln sind allein die durch die Gliederung bedingten Wiederholungen. Vielleicht wäre es sinnvoller gewesen, sich an eine strikt chronologische Gliederung zu halten und aus dieser Chronologie die behandelten Themen abzuleiten.
Anne Cottebrune, Heidelberg