Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online
Patrice Gueniffey, La politique de la Terreur. Essai sur la violence révolutionnaire 1789-1794, Fayard, Paris 2000, 376 S., kart., 25 EUR.
Die Genese des Terrors stellt in den Debatten um die Französische Revolution seit 1793/94 ein Kernproblem dar, das wie eine Reihe jüngerer Publikationen zeigt auch heute noch die Historiker bewegt 1. Schon im 18. Jahrhundert entstanden zwei extreme Posititionen, welche bis heute die Diskussion über das Thema strukturieren: Zum einen die Auffassung der Revolutionsgegner, allen voran Edmond Burkes, für den illegitime Gewalt den Gang der Revolution von ihrem ersten Tag an bestimmte, sodass er im Terror nichts weiter als eine Enthüllung des Wesens der Revolution sah. Zum anderen eine rechtfertigende Deutung des Terrors, die unmittelbar nach seinem Ende entstand, und die misslichen Umstände des Jahres 1793 Krieg, Bürgerkrieg, Versorgungskrise zur Erklärung oder gar Rechtfertigung der Exzesse des Terrorjahres heranzog.
Noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert lassen sich diese Denkmuster in den Debatten über die Französische Revolution nachweisen. Während die marxistische Sozialgeschichte der théorie des circonstances zu neuem Leben verhalf, entwickelten die französischen Revisionisten, vor allem François Furet in Penser la Révolution française, eine Deutung, die sich zumindest insofern an die frühen gegenrevolutionären Erklärungsmuster anlehnt, als sie Kontinuitäten von 1789 bis 1794 konzediert. Auch wenn sie die Revolution nicht insgesamt als Ausbruch der Gewalt verdammt, so vertrat sie doch die These, dass der sich 1789 durchsetzende Glaube an eine einheitliche volonté générale eine zentrale geistige Voraussetzung für die Herausbildung des Terrorregimes darstellte und dass sich die Phase des Terrors nicht vom Gesamtprozess der Revolution abtrennen lässt.
Patrice Gueniffey ist ein Schüler von François Furet und es ist ihm durchaus nicht zu unrecht vorgehalten worden, er habe in seinem Essai La politique de la Terreur lediglich die von seinem Lehrer und dessen Zirkel Mona Ozouf, Bronislaw Baczko an verschiedenen Stellen ausgearbeiteten Deutungen kompiliert. Doch Gueniffey geht wie im Folgenden gezeigt werden soll einen Schritt weiter und entwickelt durch eine Verschiebung der Akzente eine eigene Deutung. Seine Interpretation von Gewalt und Gesetzlosigkeit zwischen 1789 und 1794 gewinnt vor allem an Gestalt in seiner Suche nach den Ursachen: Weder seien es die Umstände noch wie von Furet betont die Ideologie der Revolution gewesen, welche für die Eskalation der Revolution verantwortlich gewesen seien, sondern vielmehr politische Konflikte, la dynamique révolutionnaire. Erst im Verlauf der Abhandlung wird allerdings im ganzen Umfang deutlich, was mit diesem Begriff gemeint ist.
Gueniffey beginnt seine Analyse mit der Darstellung verschiedener Formen revolutionärer Gewalt (Kapitel I). Sein Konzept schärft er zunächst, indem er den staatlichen Terror zu anderen Formen der Gewalt ins Verhältnis setzt. Der Terror sei von der für die journées révolutionnaires charakteristischen spontanen Gewalt zu unterscheiden, da diese unorganisiert sei, von Volksmengen ausgehe und eine klar abgegrenzte Opfergruppe zum Zweck der Bestrafung ins Visier nehme. Die Gewalt des Terrors hingegen sei von staatlichen Institutionen geplant und durchgeführt, ihre Opferdefinition diffus und die Gruppe der Bedrohten daher sehr groß. Ziel der spontanen Gewalt sei die Wiederherstellung eines durch das Opfer gestörten gerechten Zustandes, Ziel des Terrors darüber hinaus die Einschüchterung von Gegnern, aber auch von Regierten. Gueniffey versteht die terreur als ein Mittel zum Zweck des Machterhaltes, das in instabiler politischer Lage besonders nötig ist.
Von einer hart strafenden Justiz unterscheide sich der Terror dadurch, dass er nicht Taten Einzelner sanktioniert, sondern sich gegen Gruppen wegen ihres Wesens richte. Die Grenze zwischen Ausnahmegesetzen, wie dem Gesetz über den Kriegszustand vom 21. Oktober 1789, und Gesetzen im Sinne des Terrors, wie das Gesetz über die Verdächtigen, seien dennoch fließend. Vom Terror zu unterscheiden sei auch die bei den Ausrottungsfeldzügen in der Vendée ausgeübte Gewalt. Ziel sei hier nicht mehr die Einschüchterung der Gesamtbevölkerung, sondern die Ausrottung einer Gruppe aus Gründen der Bestrafung und der Prävention weiterer Untaten.
In einem zweiten Schritt der Analyse, der in den Kapiteln II-IV dargestellt wird, wendet sich Gueniffey den frühen Jahren der Revolution und gleichzeitig der Rolle der Ideologie für die revolutionäre Radikalisierung zu. Hier referiert er zunächst die Ergebnisse der revisionistischen Schule, die ihre Wurzeln im Denken von Hannah Arendt, Raymond Aron und Jakob Talmon hat. Es sei der sich stets an der Grenze zum Machbarkeitswahn bewegende Voluntarismus der Revolution, ihr vom Ancien Régime ererbter Wille zur politischen Einheit, ihre fast schon zwanghafte Furcht vor Verschwörungen und ihre Tendenz, politische Gegnerschaft als Fundamentalkonflikt auszutragen, welche die revolutionäre Ideologie anfällig für eine Politik des Terrors mache. Dies gelte insbesondere für die extremen Stimmen der Frühzeit wie den Publizisten Jean-Paul Marat, der sein fundamentales Misstrauen gegen jede Form der Machtausübung, sei sie gottgewollt oder konstitutionell, in seinem Ami du peuple herausschrie. Marat war einer der Ersten, der die allgemein verbreitete Verschwörungsangst schürte und zu einer Rechtfertigung für eine unerbittliche Strafe und diktatorische Kontrolle machte.
Die Constituante war in ihrer Politik nicht völlig unbeeinflusst von diesen ideologischen Prägungen, wie die Einsetzung eines Comité de recherches, das Gesetz über die lèse-nation und die Einrichtung einer Haute Cour Nationale zeigen. Doch stellt sich die Frage, warum die Constituante trotz dieser geistigen Potenziale und trotz großer Radikalität in den Zielen in ihren Mitteln sehr moderat blieb. Laut Gueniffey sei es die Selbstbeschränkung des ersten französischen Parlaments gewesen, welche Exzesse in der Frühzeit verhinderte; er führt dies insbesondere auf die trotz zahlenmäßiger Unterlegenheit existierende Dominanz der alten Eliten in der Versammlung zurück. Ihre Umgangsformen, ihr aus dem Ancien Régime mitgebrachtes Gemeinschaftsgefühl und ihr nicht gerade umstürzlerisches Ziel, in einem neuen Frankreich neue Machtpositionen und neues Prestige zu gewinnen, hätten sie von martialischem Vorgehen gegen etwaige Gegner abgehalten. Gueniffey testet hier zum ersten Mal die Festigkeit seiner Annahmen, indem er zeigt, dass die Politik ihre Unabhängigkeit von der Ideologie behaupten konnte und dass zwischen den Diskursen und den Taten große Lücken klafften. Dieses Testverfahren ist allerdings insofern problematisch, als es von einer allzu einseitigen Darstellung der frühen revolutionären Ideologie ausgeht. 1789 verbanden sich autoritäre und freiheitliche Elemente zu einem teilweise widersprüchlichen geistigen Gemisch. Nur wer den Blick allzu starr auf Einheitsdenken und Machbarkeitswahn und nicht auf Freiheit und Gleichheit richtet, kann Gueniffeys Schlüsse einer von der Ideologie unabhängigen Politik nachvollziehen.
Weitaus überzeugender wird die These einer Genese der Terreur aus den politischen Konflikten der Revolution daher in einem dritten inhaltlichen Bogen des Buches (etwa Kapitel V-VII), in dem sich Gueniffey der Legislative, den Anfängen des Konvents und gleichzeitig der théorie des circonstances zuwendet. Überzeugend führt er aus, dass aus den Wahlen zur Legislative eine Versammlung hervorging, die ganz neuen politischen Gesetzen gehorchte. Das elitäre Element der ersten Assemblée war weitgehend verschwunden; in der Legislative kamen Männer zusammen, welche die erste Phase der Revolution in der Provinz erlebt hatten. Nur wenige von ihnen hatten sich in der nationalen Politik profiliert oder empfanden anfangs auch nur eine klare politische Zugehörigkeit zu einer der Pariser Parteien; aber viele von ihnen waren als Revolutionäre in ihren Heimatorten heftigen Anfeindungen ausgesetzt gewesen. Dies erklärt, warum die neue Versammlung innerhalb kurzer Zeit auf den Kurs der Abgeordneten Condorcet und Brissot einschwenkte. Sie waren diejenigen, die schnell ein deutlich profiliertes Programm und gleichzeitig politische Professionalität bieten konnten. Der Angriff auf das Königtum, die den Boden der Verfassung verlassenden Gesetze gegen Emigranten und Eidverweigerer und die Kriegstreiberei erlaubten es den frühen Girondisten, sich als Führer zu etablieren; sie gaben den Mitgliedern der Legislative das Gefühl, mehr zu tun als nur das Erbe der Constituante zu verwalten.
So entstand der Krieg im Kontext von Machtinteressen und die Umstände späterer Radikalisierung waren hausgemacht. Dies so könnte man einwenden ist kein Beleg dafür, dass ein von Frankreich angezettelter Krieg später ein treibendes Element der Radikalisierung werden konnte. Gueniffey begegnet diesem Einwand mit Rückgriff auf einen profunden Artikel von Mona Ozouf 2, der belegt, dass der Krieg im Bewusstsein der Akteure keineswegs eine auslösende Rolle für den Terror spielte. Dieser Zusammenhang sei vielmehr erst von den Thermidorianern hergestellt worden. Um das Gegenargument, die Deutung der Akteure sei für die objektiven Zusammenhänge nicht entscheidend, zu entkräften, entwickelt Gueniffey noch ein weiteres Argument aus dem Arsenal der Revisionisten: Die schon von Edgar Quinet herausgestellte Tatsache, dass der Terror mit den Colonnes infernales und den Prairialgesetzen erst seinen Höhepunkt erreichte, als die Aufstände in der Vendée niedergeschlagen und die äußeren Feinde weit hinter die Grenzen Frankreichs vertrieben waren.
In einem vierten Gedankenschritt (etwa Kapitel VIII-XI) wendet sich Gueniffey der eigentlichen Terreurzeit (5. September 1793 bis 9. Thermidor des Jahres II) und ihrer unmittelbaren Vorgeschichte zu, wobei er nach der Widerlegung des ideologiegeschichtlichen Standpunktes und der théorie des circonstances seine eigene Deutung entwickelt: Er versteht den Terror als "le produit nécessaire de la révolution considérée en elle-même, c´est-à-dire comme une forme particulière du changement historique, indépendamment de ses principes et même du lieu et du moment où elle éclate" (S. 202). Hier wird deutlich, was unter dem Begriff der dynamique révolutionnaire zu verstehen ist. Gueniffey interpretiert die Revolution als eine spezifische Form politisch-gesellschaftlichen Wandels; zu dieser gehört unweigerlich die Zerstörung bestehender Autorität und Legitimität, welche das Problem der Rekonstruktion derselben nach sich zieht. In dem durch die Revolution entstandenen politischen und geistigen Vakuum stehen verschiedene Gruppen mit unterschiedlichen Zielvorgaben in Konkurrenz miteinander. Sie agieren in der Hoffnung, durch eine radikalere Definition dessen, was die Revolution ist, ihre Machtbeteiligung zu legitimieren. Durch diese aus der Instabilität resultierende Notwendigkeit zur Überbietung erklärt sich die Tendenz der französischen, ja aller moderner Revolutionen zur Eskalation und zum Terror. Inbegriff dieses Prozesses ist für Gueniffey der Jakobinismus: la dynamique révolutionnaire en acte. François Furet hat die dynamique révolutionnaire durchaus gedacht und auch den Begriff benutzt; gleichwohl war es für ihn undenkbar, die Politik in der gleichen Weise in den Vordergrund zu stellen und zu isolieren wie Gueniffey.
Abschließend zeigt Gueniffey anhand der Herrschaft Robespierres und der "Grande Terreur", dass der Prozess der Radikalisierung schließlich eine Phase erreichte, in der sich Gewalt und Schrecken von einem Mittel des revolutionären Prozesses zu einem Wesenszug desselben entwickeln. Die Triebkräfte einer solchen Fortentwicklung sieht Gueniffey wiederum in der Politik: Nur durch extreme Gewaltbereitschaft konnte Robespierre in einer Situation erbitterter Auseinandersetzungen die Macht erhalten.
Patrice Gueniffey ist ein kluger und kenntnisreicher Essay gelungen, in dem er das Denken der revisionistischen Schule gekonnt fortsetzt und akzentuiert ein Essay jedoch, bei dem die Stärken und Schwächen nah beieinander liegen. Denn erstens hat Gueniffey um den Preis einer großen These abweichende Forschungsergebnisse bewusst ignoriert. So ist ihm einerseits vorzuwerfen, dass er das Schlachtfeld der revolutionären Machtkämpfe allzu eng absteckt. Eine zumindest ausschnitthafte Analyse von Konflikten zwischen Metropole und Provinz, sowie von innerprovinziellen Konflikten hätte die Analyse verkompliziert, aber auch den Tatsachen näher gebracht. Der Blick in die Provinz hätte darüber hinaus gezeigt, dass die saubere Trennung politischer von sozialen oder kulturellen Konflikten nicht immer möglich ist. Zweitens ist bei der Ausarbeitung eines neuen Ursachenmodells das Explikandum ein wenig aus dem Blick geraten: Gueniffey schreibt eine Geschichte der Gewalt, in der die Gewalt fast keine Rolle spielt. Abstraktion, elegante Sprache und der leicht abschätzige Blick auf die Konvulsionen der revolutionären Politik lassen für Täter und Opfer, ihre unmittelbaren Motive und Erfahrungen wenig Raum. Es stellt sich die Frage, ob der Rückgriff auf eine dynamique révolutionnaire als ein gleichsam über den Köpfen der Akteure stattfindenden Prozess, nicht auch eine Entlastung derselben von der Verantwortung für ein tragisches Blutbad darstellt.
Daniel Schönpflug, Berlin
Fußnoten:
1 Richard D. E. Burton, Blood in the City: Violence and Revelation in Paris 1789-1945, Ithaca, New York, London 2001; Alain Gérard, "Par principe d´humanité...". La Terreur et la Vendée, Paris 1999; Arno Mayer, The Furies. Violence and Terror in the French and Russian Revolutions, Princeton 2000.
2 Mona Ozouf, Guerre et Terreur dans le discours révolutionnaire: 1792-1794, in: L´Ecole de la France, Paris 1984, S. 109-127.