ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Otto Köhler, Rudolf Augstein. Ein Leben für Deutschland, Droemersche Verlagsanstalt, München 2002, 416 S., geb., 24,90 EUR

Die von dem ehemaligen "Spiegel"- Medienkolumnisten und linksalternativen Journalisten Otto Köhler vorgelegte Augstein-Biografie ist ein typisches Köhler-Buch: Polemisch und sarkastisch im Stil, akribisch in der Recherche, bisweilen eindimensional im Inhalt und konsequent in der Verfolgung seiner Ziele. Das Ziel, das er mit seinem neuesten Buch verfolgt, nennt Köhler im Vorwort selbst. Er will Rudolf Augstein, für den er von 1966-1972 selbst einmal gearbeitet hat, von dessen hohen Thron stoßen, auf den dieser vor allem durch die Verleihung zweier hoch angesehener Auszeichnungen in den vergangenen Jahren gehoben wurde. Eine, nämlich die Wahl zum Journalisten des Jahrhunderts, erkennt Köhler an, die andere, nämlich die Übergabe des von der Jüdischen Gemeinde Frankfurt gestifteten Ludwig-Börne-Preis, nicht. Vielmehr war die im Mai 2001 stattgefundene Verleihung des Börne-Preises für Köhler der Anlass, dieses Buch zu schreiben. Die These des Autors: Die Preisübergabe an Augstein war ein schlechter Witz, ein Racheakt eines durch eine "Spiegel"-Enthüllung gekränkten "FAZ"-Herausgebers, der damit eine Diskussion über die Vergangenheit Augsteins und des "Spiegels" lostreten wollte. Tatsächlich sei der mit dem jüdischen Preis Geehrte zeit seines Lebens "Salon-Antisemit" gewesen, beeinflusst von ehemaligen Nazi-Größen, denen er in seinem Blatt die Chance zur späten Rechtfertigung gegeben hätte. Augstein führte ein "Leben für Deutschland", wie es der Untertitel ankündigt und Köhler sucht dies von der ersten bis zur letzten Zeile nachzuweisen.

Das Buch ist in zwei Teile untergliedert. Der erste Teil, vom Autor "Am Sturmgeschütz der Demokratie" betitelt, beschäftigt sich mit Augsteins Wirken im "Spiegel", seinen Kommentaren, die er seit 1947 regelmäßig zu den entscheidenden Fragen der Bundesrepublik geschrieben hat und – so gut es eben geht – mit dessen Leben. Vor allem aus der Zeit vor 1945 ist dazu wenig bekannt, und auch Köhler kann dem spärlichen Wissen nur wenige interessante Anekdoten hinzufügen. Bekannt ist, dass Augstein nach dem Abitur 1941 ein Volontariat beim "Hannoverschen Anzeiger" absolvierte, zwischenzeitlich zum Arbeitsdienst und zur Wehrmacht eingezogen wurde und hin und wieder gänzlich unpolitische Artikel für verschiedene Zeitungen des "Dritten Reichs" schrieb. Daraus, dass ein solcher Artikel später auch im "Völkischen Beobachter" entdeckt wurde, dreht ihm Köhler aber keinen Strick mehr, zumal diesbezügliche Vorwürfe bereits 1992 von Augstein selbst entkräftet werden konnten. Bemerkenswert ist schließlich die Anekdote des sechzehnjährigen Schülers Augstein, der 1940 in einem Schulaufsatz davor warnt, die militärische und wirtschaftliche Macht Englands zu unterschätzen – der beste Schüler seines Jahrgangs durfte daraufhin die Abiturrede nicht halten. Leider schweigt Köhler nicht über Dinge, über die er nichts weiß und auch nichts wissen muss, so zum Beispiel über Augsteins Geburt am 5. November 1923, was sich dann so anhört: "Augstein schreit schon in Hannover, doch in Berlin schläft noch der Reichspräsident Friedrich Ebert." Oder: "Vier Tage später, Klein-Rudi hat schon einige Male kräftig in die Windeln gemacht, marschiert in München Adolf Hitler mit seinen Getreuen zur Feldherrnhalle. So kommt eins zum anderen." Wo hier die Zusammenhänge sind, muss sich der Leser schon selbst denken, aber dank der bekannten Intention des Buches wird er wohl darauf kommen. So funktioniert das Köhlersche Weltbild, der mit seiner zum Teil sehr persönlichen Abrechnung mit Augstein oft mehr Einblicke in sein eigenes Innenleben gewährt als in dasjenige Augsteins. Intrigen, Verschwörungen und braune Täter beherrschen die Welt, auch wenn das auf den ersten Blick oft nicht so aussieht.

Mit dem Geburtsjahr des "Spiegels" bewegt sich Köhler wieder auf sichererem Terrain. Akribisch zitiert er Augstein-Kommentare aus den ersten 45 Jahren des Nachrichtenmagazins und weist nach, dass der wohl bekannteste Adenauer-Kritiker der jungen Republik in Wirklichkeit rechts vom Kanzler stand, und wohl immer linker gelesen worden ist, als er tatsächlich war. Auch das ist nicht richtig neu und der Leser vermisst hier genau das, was die Umschlagseite verspricht, nämlich "verständlich zu machen, wie Augsteins Persönlichkeit zwischen Aufklärung, dunklem Ressentiment und nationalem Denken herangewachsen ist". Köhler gelingt eine Charakterisierung seiner Persönlichkeit gerade nicht, er zitiert reihenweise Artikel, streut hin und wieder ein paar – durchaus interessante – Anekdoten aus dessen Leben dazwischen und rührt all das auf den ersten 218 Seiten zusammen. Das liest sich als journalistische Biografie durchaus fesselnd, auch wenn es den Mangel an brauchbaren Quellen nicht überdecken kann. Dazu kommt ja, dass gerade der "Spiegel" kein Interesse an der Aufarbeitung seiner Geschichte hat und sein Archiv konsequent geschlossen hält.

Der zweite Teil, überschrieben mit "Im Organ der Aufklärung", ist noch weniger eine Biografie Augsteins als der erste. Der Autor, der sich 1995 mit der "verdrängten Vergangenheit der Medienmacher", die er "unheimliche Publizisten" nannte, einen Namen gemacht hat, filtert hier NS-Verstrickungen der frühen "Spiegel"-Jahre heraus. Köhler gebührt der Verdienst, bereits 1992 verschiedene SS-Biografien beim "Spiegel" ausfindig gemacht zu haben, was damals ohne größeren öffentlichen Widerhall blieb. Seit 1997 liegen zudem die Erkenntnisse des Kölner Medienforschers Lutz Hachmeister vor, der bei Recherchen zu seinem 1998 erschienenen Buch über den "Gegnerforscher" Franz Alfred Six auf ein regelrechtes braunes Netzwerk bei Augsteins Magazin stieß. Köhler kann nun aus dem Vollen schöpfen und auf knapp hundert Seiten das Wirken der Mahnkes, Wolffs, Wehners und Diehls` darstellen, was in dieser Komplexität tatsächlich eindrucksvoll ist. Denn dem "Spiegel" gebührt nicht nur das zweifelhafte Prädikat von allen deutschen Nachkriegsmedien die am stärksten belasteten NS-Schergen beschäftigt zu haben – Ressortleiter Horst Mahnke gehörte im Krieg immerhin dem berüchtigten "Vorkommando Moskau" an, das mindestens 46 Menschen tötete, und war zudem mit "Informationsberichten zur Judenfrage" betraut – , das Hamburger Nachrichtenmagazin gab den Tätern auch die Chance zur Rechtfertigung der eigenen Taten. So durfte der ehemalige Gestapo-Chef Rudolf Diehls in einer achtteiligen Serie die Ehre der Gestapo retten, indem er sie von verbrecherischem Aktivitäten freisprach. Köhler zeigt auf, wie formbar der junge Augstein in den ersten Nachkriegsjahren war, wie er auf ehemalige NS-Größen vertraute, wohl auch deswegen, weil sie Nähe zur Macht suggerierten und vor allem über Verbindungen und Informationen verfügten.

Dass der legendäre Ruf des "Spiegel" als ausgezeichnetes Recherchemagazin ganz wesentlich in seiner personellen Ausstattung mit ehemaligen NS-Geheimdienstlern begründet war, hat bereits Hachmeister dargelegt. Köhler rückt jetzt vor allem Augstein ins Zwielicht, der in seiner persönlichen Geschichtsauffassung wesentlich von solchen Männern geprägt worden sei. Von ihm fordert Köhler am Ende seiner Biografie eines: Endlich seine Memoiren zu schreiben, darzulegen, wie er von Männern aus dem Reichssicherheitshauptamt beeinflusst wurde, von wem der "Spiegel" in seinen frühen Jahren redigiert wurde, "was das war, sein Leben für Deutschland". Ist das zu viel verlangt? Darf man von dem deutschen Aufklärungsjournalisten Nr. 1 erwarten, dass er auch über die eigene Biografie ehrlich Rechenschaft ablegt? Schon die Öffnung des "Spiegel"-Archivs würde einen enormen Schritt in die richtige Richtung bedeuten. Köhler hofft auf die selbst verfassten Memoiren, weil es ihn quält, das Idol seiner Jugend vom Thron stürzen zu sehen. Der Mann, von dem "FAZ"- Herausgeber Frank Schirrmacher einst gesagt hat, es sei "Glück und Segen" für die Publizistik der Bundesrepublik Deutschland gewesen, dass es ihn gab, erhält von seinem Biografen eine letzte Chance. Ob es eines Tages zu diesem Buch kommt, bleibt fraglich. Bis dahin dient Köhlers Biografie als schmackhafter Appetithappen für zwischendurch.

Christian Sonntag, Berlin





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