ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Sibylle Küttner, Farbige Seeleute im Kaiserreich. Asiaten und Afrikaner im Dienst der deutschen Handelsmarine, Sutton Verlag (Edition Tempus), Erfurt 2000, 224 S., brosch., 17.90 EUR.

Die bisherigen Forschungen zur Arbeitsmigration im wilhelminischen Deutschland haben eine kleine Gruppe nahezu vollständig übersehen: auf deutschen Handelsschiffen arbeitende "farbige Seeleute". Dies überrascht angesichts des lautstarken Streits um ihre Beschäftigungsverhältnisse in Politik und Öffentlichkeit seit dem Ende des 19. Jahrhunderts. Die Hamburger Historikerin Sibylle Küttner legt nun auf der Basis ihrer Magisterarbeit erstmals eine Monographie über dieses Thema vor. Sie ist in ihrer Darstellung um eine Synthese von Außen- und Innenperspektive bemüht, was jedoch durch das Fehlen von schriftlichen Zeugnissen seitens der Seeleute erschwert wird. Ihre Quellenbasis besteht aus Hamburger und Bremer Archivalien, den Stenographischen Berichten der Reichstagssitzungen und anderen zeitgenössischen Veröffentlichungen.

Der Einsatz der aus Asien und Afrika stammenden Seeleute hing eng mit der Modernisierung der Seeschifffahrt im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts zusammen. In diesem Zeitraum stellten auch die deutschen Reeder den Großteil der Schiffe von Segel auf Dampf um, es entstanden die körperlich anstrengenden Tätigkeiten der Heizer und Trimmer (Kohlenzieher). Wegen der Mobilität der Dampfschiffe war es möglich, auch an weit entlegenen Orten wie Hongkong und Aden Seeleute anzuheuern. War der Einsatz der fremden Seeleute anfangs auf klimatisch heiße Fahrtgebiete begrenzt, so wurden sie in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg verstärkt auch auf anderen Routen wie der Transatlantikfahrt eingesetzt.

Im ersten der insgesamt vier Kapitel beschreibt die Verfasserin die Situation und Herkunft der "farbigen Seeleute", wie die verschiedenen ethnischen Gruppen zusammengefasst bezeichnet wurden. Sibylle Küttners Bewertung dieser Bezeichnung als "relativ neutralen Sammelbegriff" darf jedoch angezweifelt werden, vielmehr verdichtet sich darin die Wahrnehmung einer "rassischen" Differenz der Seeleute. Anders als es der Begriff vermuten lässt, stammte die Mehrzahl der "Farbigen" aus dem südlichen China, u.a. weil deutsche Reedereien sehr aktiv in der chinesischen Küstenschifffahrt waren. Indische und besonders afrikanische Seeleute wurden weit seltener von deutschen Reedereien angemustert. Um 1900 fuhren bereits annähernd 5000 dieser Seeleute - 3000 Chinesen und 1300 Inder – meist als Heizer auf deutschen Schiffen und stellten damit einen Anteil von 10% aller Beschäftigten. Diese Arbeitskräfte wurden streng nach dem "Prinzip der Segregation" behandelt, Mannschaften ethnisch einheitlich zusammengestellt und von Europäern getrennt untergebracht. Obwohl die "farbigen Seeleute" Billiglöhne erhielten, waren diese für sie vergleichsweise hoch. Ihr Ziel war es, wenige Jahre auf deutschen Schiffen zu fahren, um sich mit dem ersparten Geld eine bessere Zukunft in ihrer Heimat zu ermöglichen. Nur wenige konnten sich als Steward, Koch oder Wäscher sprichwörtlich emporarbeiten und der auszehrenden Arbeit im Feuerungsdienst entgehen.

Sibylle Küttner sieht die Gründe für die Beschäftigung von "farbigen Seeleuten" auf deutschen Schiffen vor allem in der Kostenersparnis. Wegen ihrer vermeintlichen Willigkeit und Billigkeit wurden asiatische Seeleute von den Reedern bevorzugt, schienen sie doch das Gegenteil von den als sozialistisch verrufenen Deutschen zu sein. Die große Zahl von Desertionen deutscher wie ausländischer Seeleute zeigt jedoch, wie wenig dieses Wunschbild der Wirklichkeit entsprach. Die Reeder, deren Perspektive im zweiten Kapitel untersucht wird, begründeten den Einsatz "farbiger Seeleute" biologistisch mit einer vermeintlich besseren Widerstandsfähigkeit gegen die hohen Temperaturen im Feuerungsdienst. Deutsche Reedereien erklärten eine Kostenersparnis als unabdingbar für die Aufrechterhaltung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Global player wie der Norddeutsche Lloyd aus Bremen und die Hamburg-Amerika-Linie(Hapag) konnten auch wegen der hohen symbolischen Bedeutung der Schifffahrt mit weit reichendem Verständnis der deutschen Regierungspolitiker rechnen. Wenngleich die Verfasserin den virulenten Rassismus keineswegs verschweigt, hält sie sich in Bezug auf die Reedereien doch auffallend zurück. Dabei haben Untersuchungen wie die von Laura Tabili über die Kategorie "Rasse" in der britischen Schifffahrt gezeigt, dass Reeder Rassismus auch strategisch einplanten. In der räumlichen Segregation wurde es offensichtlich, dass die Beschäftigung von "farbigen Seeleuten" die maritime Arbeiterschaft erfolgreich spaltete.

Im dritten Teil beschreibt Sibylle Küttner die Reaktionen des politischen Widersachers der deutschen Reeder, der Sozialdemokratie. Deren Vertreter/innen sahen in der Beschäftigung von außereuropäischen Seeleiten eine Angriffsfläche gegen die verhassten Reeder, die eine einflussreiche Lobby insbesondere bei den Nationalliberalen besaßen. Wegen der Billiglöhne sahen Sozialdemokraten die legitimen Interessen ihrer Klientel verletzt und trugen die Debatten regelmäßig in den Reichtag. Sie sahen in der Anwesenheit der kolonialen Arbeiter einen Verstoß gegen den Primat der nationalen Arbeit und kritisierten die Ungleichbehandlung der Seeleute. Die staatlich subventionierten Reichspostdampfer, die die Verbindung zu den deutschen Kolonien herstellten, standen als nationale Prestigeobjekte wegen der Beschäftigung von "Farbigen" besonders in der Kritik. In Zeiten der systematisch Flottenrüstung führten sozialdemokratische Kritiker auch die Gefahr einer Schwächung der Marine an, da im Kriegsfalle nicht mehr genügend deutsche Heizer zur Verfügung stünden.

Wenngleich einige Vertreter der deutschen Seeleute bemüht waren, das Problem Niedriglöhne nicht mit diskriminierenden Vorstellungen zu vermischen, war auch in der Arbeiterschaft Rassismus gegenüber den fremden Seeleuten verbreitet. "Farbige Seeleute" galten als "Lohndrücker" und hygienisches Risiko und wurden bisweilen als kulturell zu tief stehend für eine gewerkschaftliche Organisierung angesehen. In den politischen Kampfbegriffen "Kuli" für Chinesen und "Laskar" für Inder verdichtete sich diese diskriminierende Wahrnehmung. Im vierten und letzten Kapitel beschreibt die Verfasserin die Bemühungen um Integration und Segregation der farbigen Seeleute. Die Forderung der Sozialdemokratie, die Seeleute entweder rechtlich gleichzustellen oder auszugrenzen, wurde nicht erfüllt. Die Reichsregierung pendelte zwischen dem Schutz nationaler Arbeit und Förderung der Wirtschaft und konnte keinen tragfähigen Kompromiss vermitteln. Bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges und auch wieder in der Weimarer Republik blieb die Beschäftigung von "farbigen Seeleuten" deshalb umkämpft.

Die gut lesbare Studie von Sibylle Küttner zeigt anschaulich, wie ein sekundärer "rassisch" aufgeladener Kolonialismus in Deutschland wirkte. Wegen der wenigen Vorarbeiten weist das Buch einige Lücken auf, etwa die Zeit des Ersten Weltkrieges, als hunderte Seeleute jahrelang in den Häfen von Hamburg und Bremerhaven fest saßen. Auch waren die dortigen Landgänge der Seeleute und beispielsweise die Niederlassung von Chinesen im Hamburger Stadtteil St. Pauli weit bedeutender, als von der Verfasserin angedeutet. Diese kleineren Aussparungen ändern aber nichts an dem Wert dieser Veröffentlichung über einen weithin unbekannten Nebenaspekt des deutschen Kolonialismus.

Lars Amenda, Hamburg





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