ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Thomas Penka, "Geistzerstäuber" Rundfunk. Sozialgeschichte des Südfunkprogramms in der Weimarer Republik, Verlag für Berlin-Brandenburg, Potsdam 1999, 484 S., brosch., 68 DM.

Thomas Penkas Arbeit ordnet sich in einen Perspektivenwechsel in der Rundfunkgeschichte ein, der kommunikationswissenschaftliche oder organisationsgeschichtliche Zugänge mit sozialhistorischen Analysen verbindet. Die Beschränkung auf einen der Sender, hier den Süddeutschen Rundfunk, wird zwar von Penka nicht näher begründet, erweist sich angesichts der Materiallage jedoch als sinnvoll.(_1)

Penka fühlt sich einem eher traditionellen Verständnis von Sozialgeschichte verpflichtet, da in neueren kultur- oder mentalitätsgeschichtlichen Ansätzen die Gefahr bestehe, in "der Mannigfaltigkeit konkreter Erfahrung zu versinken" (S.15). Demgegenüber will er großräumige soziale Strukturprozesse mit lebensweltlichen Perspektiven vermitteln. Hieraus ergeben sich drei Entscheidungen:

Die Arbeit gliedert sich in zwei Hauptteile. Im ersten untersucht Thomas Penka die Programme, im zweiten die Rezeption durch die Parteien. In der Darstellung der Programmbereiche folgt Penka den Kategorien der Rundfunkforschung, d.h., er behandelt kapitelmäßig das Vortragswesen, Literaturprogramm, Hörspiele als innovatives spezielles Rundfunkprogramm, die so genannten Mischprogramme, die Servicebereiche, das Aktuelle wie die Zielgruppenprogramme. Dieses durchaus plausible Vorgehen impliziert zum einen eine Ungleichgewichtigkeit. Während Unterhaltung (Mischprogramme und Musik) im Rundfunk – von einer kurzen Anfangsphase abgesehen – mehr als fünfzig Prozent einnahm, bedeutet die Zuordnung von Unterhaltung ausschließlich auf die so genannten Mischprogramme, dass die unterhaltende Funktion des Radios, die die Hörererwartungen prägte und stimulierte, meist aus der Perspektive der zeitgenössischen Rundfunkmacher oder Politiker thematisiert wird. Zum anderen werden Fragen von klassen-, geschlechts- und generationsspezifischen Zuschreibungen in den Programmen wie in der Rezeption im Wesentlichen auf die Zielgruppenprogramme verlagert, was letztendlich die zeitgenössischen Diskurse spiegelt. Gerade unter dem Aspekt von Integrationsleistungen aber wäre die zeit- und medienspezifische Definition der Publika zu hinterfragen und mit den Lebenswelten etwa von Jugendlichen oder Frauen in der Weimarer Republik zu verbinden. Allerdings würde das den Ansatz der Arbeit sprengen. Zu bedenken ist auch, dass die technischen Innovationen – hier ist vor allem der qualitative Sprung vom Detektor- zum Röhrengerät zu nennen – wie auch der immense Anstieg der Radiogeräte in den Haushalten direkten Einfluss auf das Programm hatten. Penka benennt zwar die Interessenkoalition zwischen Sendegesellschaften, Handel und Rundfunkindustrie (S. 43-44), diese spielt jedoch im weiteren Verlauf keine Rolle mehr. In diesem Kontext ist auch kritisch anzumerken, dass Technik und Technikbegeisterung – beides veränderte die Lebenswelten in der Weimarer Republik und prägte in vielfältiger Weise den öffentlichen Diskurs – gerade in Verbindung mit dem neuen Leitmedium unter dem Stichwort Moderne zu diskutieren wäre, zumal der Rundfunk dieses selbstreferentiell in vieler Weise tat.

Die Programmanalyse zeigt deutlich, wie sehr der Rundfunk sich zunächst als Bildungsinstrument sah. Mit dem ausgedehnten Programm des Vortragswesens, um hier nur einen Ausschnitt zu wählen, verknüpften die Verantwortlichen, so der Vorstandsvorsitzende des Süddeutschen Rundfunks Alfred Bofinger, große Erwartungen an die Funktion des Rundfunks als "Volkserzieher"(S. 53 ff.). Im Süddeutschen Rundfunk wuchs die Sendezeit für Vorträge bis Ende 1929 stetig an. Da jedoch das im Gegensatz zum Unterhaltungsbedürfnis der Hörerschaft stand, wurde dieser Teil wieder gekürzt und zwar sowohl was die Sendezeit allgemein betraf wie die Länge der einzelnen Vorträge. Zwei Ergebnisse scheinen bemerkenswert: Zum einen das Fehlen antisemitischer Tendenzen in den Vorträgen – offenbar hat man sich im Süddeutschen Rundfunk um eine respektvolle und informative Auseinandersetzung mit dem Judentum bemüht; zum anderen eine meist pluralistische, wenig von nationalistischen oder imperialistischen Tendenzen geprägte Darstellung anderer Völker und Kulturen. Hier wären Vergleiche zu anderen Sendeanstalten wünschenswert.

Ein Blick auf die so genannten Mischprogramme des Unterhaltungsbereiches zeigt, wie schwer sich die Rundfunkverantwortlichen auch im Süddeutschen Rundfunk mit einer nicht an den hegemonialen Leitbildern der bürgerlichen Kultur orientierten Unterhaltung taten. So betonte Bofinger die Notwendigkeit der Unterhaltung als Eskapismus vor den Mühen der Arbeitswelt und des realen Lebens: "Der Schrei der Rundfunkhörer nach Unterhaltung im Anschluss an die tägliche Arbeit, also in den frühen Abendstunden, ist durchaus begründet und berechtigt."(_2) Penka sieht in eben diesem Verständnis von Unterhaltung auch eine Chance für demokratische Integrationsleistungen des Rundfunks. Gerade die Heterogenität der "Bunten Stunden", in der z.B. auch Frauen zu Wort kamen, in ihrer Mischung von bildungsbürgerlicher Hochkultur, regionaler Volkskultur etc. konnte ein disperses Publikum ansprechen bzw. es formen. Dies erkannten dann allerdings besonders die Nationalsozialisten, die die "Volksgemeinschaft" in und durch Rundfunkunterhaltung inszenierten.(_3)

Im zweiten Teil seiner Arbeit untersucht Penka die rundfunkpolitischen Stellungnahmen in den Parteizeitungen. Die Rezeption des neuen Mediums im linken Spektrum, das zeigt die Analyse deutlich, war vielfältiger als bisher angenommen. So erwies sich der Arbeiterradiobund sehr viel kooperationsbereiter mit den Sendegesellschaften als in älteren Darstellungen angenommen. Zugleich schwankte diese Vereinigung stets zwischen den alltagsorientierten Bedürfnissen der Arbeiterhörer, zwischen Bildungsinteressen und Technikbegeisterung und eher fundamentalistischen Grundsatzerklärungen, die den Rundfunk zum Instrument der Klassenerziehung machen wollten. Das Regionalblatt der KPD verblieb letztlich auf dem Standpunkt der Kritik des "bürgerlichen Klassenfunks". Bestärkt wurde diese Position durch das Neutralitätsgebot des Rundfunks, das in vielfältiger Weise zur Ausgrenzung der Linken benutzt wurde. Es ist bedauerlich, dass Penka nur kurz auf diese Funktion des Neutralitätsgebots eingeht. Dieses Beharren auf einer revolutionären Position hinderte allerdings die KPD-Zeitung nicht daran, ab 1924 das Programm des Südfunks abzudrucken und sich auch regelmäßig mit einzelnen Sendungen auseinander zu setzen. Ganz zu Recht interpretiert Penka die eher defensive Kritik auch zu einer Zeit, als die KPD auf eine gegenkulturelle Position eingeschwenkt war, als eine realistische Einschätzung der großen Anziehungskraft des Rundfunks auf die Arbeiterschaft (S. 291). Der württembergischen SPD hingegen bescheinigt Penka einen besonders großen Integrationswillen: nämlich die Bereitschaft, ihre subkulturelle Abschottung aufzugeben und das Medium zur Einübung demokratischer Kommunikationsformen zu nutzen. Dabei entwickelte sie, auch das ein erstaunendes Ergebnis, ein positives Verhältnis sowohl zum Zerstreuungsbedürfnis der Arbeiterschaft wie zum Unterhaltungsangebot des Rundfunks.

Für das liberale Lager ergibt sich ein überraschendes Bild: Während bis 1926 die DDP sich aktiv mit dem Rundfunk auseinander setzte, trat danach Schweigen ein. In den 1930er Jahren, nach dem Zusammenschluss von DDP und DVP zur Deutschen Staatspartei, erschöpften sich die Stellungnahmen in dem Beschwören einer nationalen Harmonie. Für das Zentrum resümiert Penka, dass sich in den Programmkritiken der allgemeine Demokratieverlust des Zentrums widerspiegelt, der sich in größerer Nähe zur Kirche und antimodernistischen Denkmustern niederschlug (S. 367).

Die Polemik gegen die Moderne bestimmte die Programmkritiken der DNVP. Nationalistische Ressentiments verbunden mit Antiamerikanismus, Harmonisierung von sozialen Konflikten und Militarismus schlugen sich in den Rezensionen nieder. Der Befund des fehlenden Antisemitismus, den Penka auf eine breite gesellschaftliche Tabuisierung desselben zurückführt, wäre allerdings zu hinterfragen: Schließlich war Antisemitismus in der Weimarer Republik innerhalb des rechten oder auch bürgerlichen Lagers nicht tabuisiert. Wenn dieser weder in den Programmen des Südfunks noch in den Kritiken der DNVP festzumachen ist, dürfte das entweder in der Lesart dieser Texte oder in der Isolierung des Fokusses liegen. Oder anders: Gerade im Antiamerikanismus-Diskurs des Kulturkonservatismus finden sich viele Versatzstücke des antisemitischen Diskurses der Zeit.

Die NSDAP verfügte in Württemberg in der Weimarer Republik über keinen nennenswerten Einfluss. Entsprechend kurz fällt dieses Kapitel aus. Trotzdem wäre es wünschenswert gewesen, wenn Penka die Zeitung der NSDAP auch auf deren Diskurs über Moderne hin untersucht hätte, um so seine Feststellung über die Rundfunkbegeisterung der Partei einzubetten.

Leider versäumt Thomas Penka es, die Befunde seiner beiden analytischen Teile zu diskutieren und zusammenzubinden. Zum einen wäre eine reflexive Diskussion von Dimensionen und Begrenzungen seines Materials in Bezug auf die Rezeption notwendig – immerhin ist es umstritten, in der Weimarer Republik noch von festgefügten sozialmoralischen Milieus in den Städten zu sprechen - , zum anderen hätten Verweise auf die anderen massenkulturellen Medien sowohl die Besonderheit wie die Einordnung des Rundfunks eher ermöglicht. Medien funktionieren immer im Verbund: Seine – verständliche und begründbare – Entscheidung, ein auditives Medium ausschließlich aus der Perspektive der Printmedien zu untersuchen, hätte doch einiger methodologischer Reflexionen bedurft. Inwieweit bereits für den Weimarer Rundfunk von einem "akustischem Warenhaus" gesprochen werden kann, bei gleichzeitig weit gehender Benachteiligung gerade der Arbeiterschaft, wäre zu diskutieren. Der Widerspruch, dass auf der einen Seite Volksgemeinschaft und Nation zunehmend zu Fixpunkten auch der Rundfunkprogramme und –politik wurden, auf der anderen Seite das Medium selber zumindest in der Perspektive der Zeitgenossen und Zeitgenossinnen als eine der Ikonen von Modernität wahrgenommen wurde, deutet auf die Ambivalenzen von Integrationserwartungen und –leistungen. Ein Medium ist wirkungsmächtig – insofern wären die Einflüsse des Rundfunks auf die Parteien und die Gesellschaft deutlicher, als Penka dies tut, in den Blick zu nehmen.

Diese Kritik schmälert nicht die Leistung der vorliegenden Studie, wirft aber ein Licht auf den Stand der Mediengeschichte in Deutschland: Die Arbeit von Penka zeigt, wie notwendig es ist, dass die Sozialgeschichte sich dieses Feldes mehr bemächtigt. Zugleich aber stellt sich die Frage, ob das engere traditionelle sozialgeschichtliche Set von Quellen, Fragen und Methoden für eine Mediengeschichte nicht doch erweitert werden müsste.

Inge Marszolek, Bremen


1 - Zwar ist die Rundfunkgeschichte in der Weimarer Republik ist kein weißes Blatt mehr. Während ältere Arbeiten vor allem die Organisationsfragen behandelten, legte 1997 eine Projektgruppe am Deutschen Rundfunkarchiv in Frankfurt zwei Bänden zur Programmgeschichte des Rundfunks in der Weimarer Republik vor. Allerdings arbeitete Penka die Ergebnisse dieser Studie aufgrund der früheren Entstehungsphase seiner Dissertation ebenso wenig ein wie die kulturwissenschaftliche Arbeit von Carsten Lenk. Vgl. Joachim Felix Leonhard (Hrsg.), Programmgeschichte des Hörfunks in der Weimarer Republik, 2 Bde, München 1997 u. Carsten Lenk , Die Erscheinung des Rundfunks. Einführung und Nutzung eines Neuen Mediums 1923-1932, Opladen 1997.

2 -Alfred Bofinger , Der Rundfunk als Wertevermittler, in: Rufer und Hörer, 1931/32, S. 5-14; zit. nach Penka, S. 141.

3 - Vgl. Inge Marszolek/Adelheid von Saldern (Hrsg.) Zuhören und Gehörtwerden. Radio zwischen Lenkung und Ablenkung, Bd 1, Tübingen 1998.



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