ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Hermann Graml, Zwischen Stresemann und Hitler. Die Außenpolitik der Präsidialkabinette Brüning, Papen und Schleicher (= Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Band 83), R. Oldenbourg Verlag, München 2001, 239 S., brosch., 24,80 EUR.

Die Studie des langjährigen Mitarbeiters des Instituts für Zeitgeschichte in München geht von dem Eindruck aus, dass die deutsche Außenpolitik der Jahre 1930, 1931 und 1932 trotz einiger tüchtiger Arbeiten zu Einzelfragen insgesamt weniger gut erforscht sei als die Außenpolitik der Weimarer Republik bis zum Tode Stresemanns und die nationalsozialistische Außenpolitik und darum "noch in einer Art Dämmerlicht" (S. 9) liege. Das Anliegen des Autors ist, die Leitprinzipien und den Zusammenhang der außenpolitischen Handlungen Brünings, Papens und Schleichers aufzuhellen. Die leitenden Fragestellungen der Untersuchung sind, ob die Außenpolitik der Präsidialkabinette als Einheit begriffen werden kann und in welchem Verhältnis sie zur vorherigen Stresemanns sowie zur darauf folgenden Hitlers steht, womit das Problem der Kontinuität oder Diskontinuität der deutschen Außenpolitik zwischen den Weltkriegen berührt wird. Eine gewisse Einengung erfolgt indes durch die Ankündigung, insbesondere den Fragen nachgehen zu wollen, ob die 1932 auf der Konferenz von Lausanne beschlossene Beendigung der deutschen Reparationszahlungen ein Erfolg der Politik Brünings gewesen sei oder doch primär Ergebnis der englischen Politik und welche Bedeutung französische Kreditangebote für die deutsche reparationspolitische Strategie hatten. Damit wird deutlich gemacht, dass die Reparationspolitik als Dominante der Außenpolitik gesehen wird.

Die Einengung wirkt sich - das sei hier vorweggenommen - insofern aus, als der Außenpolitik Papens und Schleichers insgesamt nur 20 Seiten eingeräumt sind (im Rahmen von Kapitel VI). Darin beschränkt Graml sich darauf, Papens Auftreten in Lausanne darzustellen und die Entwicklung, die zum deutschen Boykott der Genfer Abrüstungskonferenz führte, zu skizzieren. Die These, mit Papens Außenpolitik sei "der Übergang zu jener neuen Periode, die von den Ambitionen und Formen des nationalsozialistischen Expansionismus bestimmt wurde", erfolgt (S. 223), ist gewiss diskutabel, wird aber nicht eingehend begründet; ebenso wenig die Neigung Schleichers, in der Außenpolitik bei Brüning anzuknüpfen (S. 225) - zumal er ja Papens Außenminister Neurath übernahm, also Kontinuität zu beabsichtigen schien.

Hinsichtlich der Durchführung bekennt sich Graml ausdrücklich zum diplomatiegeschichtlichen Ansatz, mit Konzentration auf die Aktionen der beteiligten Personen, der Politiker, Diplomaten und Militärs. Die innenpolitische Komponente, die jeder Außenpolitik in parlamentarischen Staaten eigen ist, dass sie Parlament und öffentlicher Meinung verständlich gemacht werden muss, wird kaum in die Betrachtung einbezogen. Nur die Reaktion des aufsteigenden Nationalsozialismus und die Wirkung dieses Umstandes im Ausland wird gelegentlich berücksichtigt. Wie aber und mit welchem Erfolg insbesondere Brüning seine Außenpolitik nach innen rechtfertigte, wie die Presse der demokratischen Parteien dazu Stellung nahm - der Reichstag erhielt ja kaum noch Gelegenheit dazu -, was sie unterstützte oder kritisierte, darüber erfährt man nur wenig.

Gleichsam als Einleitung fungiert ein Überblick über die Ausgangslage (Kapitel I): die Entwicklung der internationalen Stellung Deutschlands während der Zwanzigerjahre bis zur Annahme des Young-Plans sowie die Vorstellung einiger wichtiger Diplomaten. Gefragt sei jedoch, ob die Darstellung hier wie auch gelegentlich später so holzschnittartig ausfallen musste. Was z.B. zur Europapolitik Briands und zur amerikanischen Stabilisierungspolitik mitgeteilt wird, bleibt hinter den differenzierten Ergebnissen von Walter Lipgens bzw. von Werner Link (dazu weiter unten) zurück.

Kapitel II, das den Hauptteil eröffnet, beginnt mit der These, seit dem Regierungsantritt Brünings habe sich eine bemerkenswerte klimatische Veränderung auf internationaler Ebene vollzogen, nachdem die neue Regierung alsbald etliche Signale gesendet habe, die bisherige Politik Stresemanns erheblich modifizieren zu wollen. Das wird an verschiedenen Äußerungen von Kabinettsmitgliedern (Curtius, Treviranus, Wirth) über außenpolitische Bedürfnisse Deutschlands, an der stillosen deutschen Reaktion auf die pünktliche Einhaltung der zugesagten vorzeitigen Räumung des Rheinlandes durch Frankreich, an der Zurückweisung von Briands Europaplan und der umgehenden Instrumentalisierung des nationalsozialistischen Wahlerfolges im September 1930 durch die Regierung demonstriert. Ferner wird eine Tendenz der deutschen Außenpolitik herausgearbeitet, jene Staaten in Europa, die ebenfalls an einer Revision der Versailler Friedensordnung interessiert waren, "in eine Art Formation zu bringen ... mit dem Blick auf alle revisionspolitischen Vorhaben" (S. 63). An erster Stelle der Revisionsziele stand für Brüning die Streichung der Reparationen, um wieder finanzielle Bewegungsfreiheit für rüstungs- und außenpolitische Aktivitäten zu gewinnen, damit "in einem anderen Kriege Deutschland insgesamt leidlich gerüstet dastehe" (S. 41). Mehrfach betont der Autor, dass Brüning, um dieses Ziel zu erreichen, eine weitere Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage Deutschlands "durchaus willkommen war" (S. 77 u.ö.), während er und seine Regierung so taten, als sei die Überwindung der elenden Lage der Arbeitslosenheere ihr leitendes Motiv. Damit wird als ein Grundzug der Politik Brünings Unaufrichtigkeit nach innen wie nach außen deutlich.

Unklar bleibt, wieweit Brüning dieses Konzept mit dem im Amt verbliebenen Nachfolger Stresemanns, Curtius, abgestimmt hat. Curtius, den Graml als überzeugten Revisionisten mit relativ geringem außenpolitischen Verständnis darstellt, habe sich zwar als Testamentsvollstrecker Stresemanns gefühlt, dessen Politik aber nicht begriffen; die Ablösung von Stresemanns Mitarbeiter von Schubert als Staatssekretär und seine Ersetzung durch von Bülow, der die deutsch-französische Kooperation skeptisch und die Mitarbeit im Völkerbund negativ beurteilte, passt ins Bild eines intendierten Kurswechsels. Graml erörtert aber nicht, ob oder wie weit Curtius eine Abkehr von Stresemanns Politik schon vor der Kanzlerzeit Brünings eingeleitet hat, vielmehr erweckt er den Eindruck, dass erst unter Brüning der Kurswchsel eingeleitet und die außenpolitische Richtung alsbald vom Kanzler entscheidend mitbestimmt worden sei.

In Kapitel III behandelt Graml die von Briand und anderen französischen Politikern ausgehenden Versuche, die deutsch-französische Annäherung zu retten, u.a. durch französische Kredite für Deutschland, die vom deutschen Botschafter in Paris von Hoesch im Rahmen seiner Möglichkeiten unterstützt wurden, vor allem bei Brüning aber nur wenig Gegenliebe fanden. Die Verhandlungen über französische Kredite und die damit verbundenen politischen Garantieforderungen Frankreichs werden detailliert dargestellt. Graml zeigt, dass trotz aller Verstimmung - insbesondere über das verfehlte Projekt einer deutsch-österreichischen Zollunion, das in diesem Zusammenhang ausführlich erörtert, in seiner Bedeutung aber letztlich relativiert wird - das Interesse Frankreichs an der wirtschaftlichen Kooperation mit Deutschland erhalten blieb. Bemerkenswert ist seine These, Brüning habe schon bald erkannt, dass die Zollunion die deutsch-französischen Beziehungen belasten musste und zum Scheitern verurteilt war, dass ihm beides aber "zupass gekommen" sei, denn "die französische Bereitschaft zur Gewährung von Krediten begann ja Formen anzunehmen, die eine Ablehnung zunehmend erschwerten und daher für seine Reparationspolitik gefährlich zu werden drohten" (S. 97); darum habe er Curtius nicht gehindert und von seinen illusionären Lagebeurteilungen abgebracht. Brüning hätte demnach seinen Außenminister bewusst abstürzen lassen.

Das besonders umfangreiche Kapitel IV (Britisch-deutsche Allianz gegen den Young-Plan) behandelt die zeitweilige Kooperation der beiden Mächte in der Reparationspolitik. Es wird deutlich gemacht, dass die englische Regierung bereit war, trotz Zollunion und weiterer deutscher Ungeschicktheiten wie Verweigerung einer Erklärung, im Haushaltsjahr 1931/32 nicht mit dem Bau des Panzerschiffs B zu beginnen, dem Verlangen Deutschlands nach völliger Preisgabe des Young-Plans nicht nur zu entsprechen, sondern auch gegen Frankreich zu unterstützen, das grundsätzlich an der vereinbarten Regelung der Reparationen fest halten und nur über Erleichterungen verhandeln wollte. Graml ist um den Nachweis bemüht, dass alle maßgeblichen deutschen Außenpolitiker, da sie in der aus ihrer Weltkriegs"erfahrung" herrührenden Vorstellung des von seinen Feinden "eingekreisten" Reiches befangen blieben, die für ihre politischen Absichten günstige Wendung in der englischen Politik erst relativ spät erkannt hätten, am ersten wohl Brüning, Curtius dagegen im Grunde nie.

In Kapitel V (Auf dem Weg zur Konferenz von Lausanne) zeigt Graml, wie der englische und amerikanische Druck auf Frankreich zu Gunsten der endgültigen Lösung der Reparationsfrage Wirkung zeigte, und im ersten Teil des letzten Kapitels, dass der Teilerfolg Hitlers bei den Reichspräsidentenwahlen im Frühjahr 1932 die Bereitschaft in den westlichen Hauptstädten, nun auch in Paris, verstärkt hat, Deutschland in der Reparationsfrage entgegenzukommen (d.h. den deutschen Zahlungen ein endgültiges Ende zu setzen), um Hindenburg und Brüning gegen Hitlers Ambitionen zu stützen; während die deutsche Politik durch ihre auf der seit Februar 1932 in Genf tagenden internationalen Abrüstungskonferenz erhobene Forderung nach militärischer Gleichberechtigung und die offen zur Schau getragene revisionistische Attitüde jene Bereitschaft eher erschwerte als förderte. Brünings Urteil über die Absichten der Westmächte blieb - trotz der berühmten Aussage, man stehe 100 Meter vor dem Ziel - erstaunlich lange skeptisch. Seine plötzliche Entlassung beraubte ihn tatsächlich der Möglichkeit, die Frucht der Streichung zu ernten.

Ein erheblicher Gewinn der Arbeit liegt in der Erschließung und Auswertung von unpublizierten Akten des Auswärtigen Amtes aus den Jahren 1930-1932. Außerdem hat Graml selbstverständlich die edierten Akten der Reichskanzlei mit außenpolitischem Inhalt herangezogen. Für die Reaktion der europäischen Mächte und der USA auf die deutsche Politik sowie für seine Darlegungen zu ihren Intentionen begnügt er sich mit der Berichterstattung der deutschen Auslandsvertretungen und den publizierten Documents of British Foreign Policy. Für die Ausführungen zur französischen Politik und für die in dieser Phase so wichtigen amerikanischen Positionen (vor und nach dem Hoover-Moratorium) erscheint mir diese Quellenbasis etwas schmal, vermag sie doch nur zu sichern, wie die französischen und amerikanischen Politiker von ihren Gesprächspartnern verstanden worden sind. Warum für die amerikanische Politik, die zum Hoover-Moratorium führte, nicht auf die von Werner Link in seinem grundlegenden Buch zur amerikanischen Stabilisierungspolitik 1920-1932 in beträchtlichem Umfang ausgewerteten und zitierten amerikanischen Akten zurückgegriffen wurde, ist mir nicht verständlich. Wie weit sich Graml in den Einzelheiten auf Arbeiten stützt, die französische Akten verwertet haben, geht aus seinem Anmerkungsapparat nicht hervor.

Ernst Laubach, Münster i. W.





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