ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Matthias Frese/Burkhard Zeppenfeld (Hrsg.), Kommunen und Unternehmen im 20. Jahrhundert. Wechselwirkungen zwischen öffentlicher und privater Wirtschaft (= Bochumer Schriften zur Unternehmens- und Industriegeschichte, Band 7), Klartext, Essen 2000, 264 S., kart., 68 DM.

Titel und Untertitel dieses aus einer Tagung des Arbeitskreises für kritische Unternehmens- und Industriegeschichte (sollte übrigens Geschichtsforschung nicht immer eo ipso kritisch sein?) hervorgegangenen Sammelbandes sagen präzise, worum es den Herausgebern und den Verfassern ging: Das spannungs- und fassettenreiche Thema des privaten und öffentlichen Wirtschaftens, behandelt am besonders geeigneten Beispiel der Kommunen. Selbstverständlich war nur eine Auswahl aus der Fülle der denkbaren und wichtigen Fragestellungen möglich, zumal der Forschungsstand – was auf den ersten Blick erstaunt – nicht gut ist. Mit Recht merken die Herausgeber das in ihrer sachlich ergiebigen Einleitung ebenso an wie die Konzentration der bisherigen Arbeiten zum Thema auf die Zeit vor 1914 (und auch für diese fällt es nicht leicht, geeignete Bearbeiter zu finden, wie der Rezensent aus eigener Erfahrung weiß). Zeitlich konzentriert sich der Band auf die Zwischenkriegszeit; nur wenige Arbeiten greifen darüber hinaus bis an die Schwelle der Gegenwart.

Die zehn Beiträge des Bandes sind in drei große Sachgruppen gegliedert. Die Erste beschäftigt sich mit dem unternehmerischen Einfluss auf kommunale Entscheidungen, also mit einem brisanten Thema. Hier ist die Gegenüberstellung der von der Montanindustrie bestimmten Großstadt Bochum (Burkhard Zeppenfeld) mit der "Großindustrie in der Kleinstadt" Trossingen, konkret mit der Firma Hohner (Hartmut Berghoff) gelungen. Der anschließende Beitrag über "Friedrichshafens Entwicklung zur Industriestadt wider Willen" (Raimund Hug-Biegelmann) behandelt dagegen einen Sonderfall. Alle drei Beiträge sind überaus lehrreich, dürfen aber nicht zu der in der Literatur immer wieder vertretenen Ansicht verführen, die Dominanz der ökonomischen Interessen in den Städten sei bis 1918 allein schon durch das Wahlrecht (besonders in Preußen) gesichert gewesen. Sie ist zu pauschal und wird auch durch die ständige Wiederholung nicht richtiger. Im Bande ist vor allem Trossingen für längere Zeit ein eindrucksvolles Gegenbeispiel. Generell lässt sich dazu die Sozialpolitik der Städte (im weiten Sinne verstanden) mit ihrer oft starken Zuwendung zu den Unterschichten anführen. Allerdings verdiente dieses Thema eine nähere Behandlung, da es hier nicht ausgeschöpft werden konnte.

Die zweite Gruppe, den Kommunen als Arbeitgeber und Unternehmer gewidmet, ist im Hinblick auf ihre Bedeutung zu knapp und zu einseitig ausgefallen, da die Personal- und Sozialpolitik im Vordergrund steht (Matthias Frese, Andreas Salewski) und die unternehmerische Betätigung nur mit dem Thema Gelsenkirchen und das RWE (Christian Kleinschmidt) zu wenig berücksichtigt ist, denn hier handelt es sich um einen (allerdings hochinteressanten) Sonderfall.

Besondere Aufmerksamkeit verdient die dritte Gruppe, die sich mit der Kooperation von Unternehmen und Kommunen beschäftigt. Sie ist inhaltlich sehr unterschiedlich ausgefallen, was bei der sachlichen Breite der möglichen Beziehungen nicht überrascht. Zwei Fallstudien über unterschiedliche Gegenstände, kommunale Wirtschaftspolitik in Oberhausen (Magnus Dellwig) und die "Wirtschaftsberatung Deutscher Städte" (Eberhard Laux) sind als stark faktenorientierte Arbeiten zwei generellen Studien gegenübergestellt, einem souveränen Überblick über Public Private Partnership (Gerold Ambrosius) mit einer berechtigten Wendung gegen eine Enthistorisierung dieses Begriffes und über betriebswirtschaftliche Steuerungsinstrumente (Robert Schmitz). Ein Beitrag von Manfred Rasch über Quellen zur Stadtgeschichte im Archiv der Thyssen Krupp AG schließt den Band mit nützlichen Hinweisen.

Wie bei Sammelbänden fast immer, fällt wegen der Vielgestaltigkeit des Inhalts ein zusammenfassendes Urteil schwer. Unbestritten war es verdienstvoll, das Thema aufzugreifen, da die Defizite der Forschung hier besonders für das 20. Jahrhundert beachtlich sind. Die Einzelbeiträge, zumeist aus umfangreicheren Studien ihrer Verfasser erwachsen, sind informativ und anregend. Die Zusammenfassung zu den drei großen Gruppen bildet einen gelungenen Ansatz, sie inhaltlich zueinander in Beziehung zu setzen und über eine "Buchbindersynthese" hinauszukommen. Alles in allem ist der Band also für die moderne Stadtgeschichte innovativ, indem er einige von deren weniger beachteten Aspekten hervorhebt.

Karl Heinrich Kaufhold, Göttingen





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