ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Jürgen Schneider (Hrsg.), Öffentliches und privates Wirtschaften in sich wandelnden Wirtschaftsordnungen. Referate der 18. Arbeitstagung der Gesellschaft für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte vom 7. bis 9. April 1999 in Innsbruck (= Viertelsjahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beiheft Nr. 156), Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2001, 266 S., kart., 88 DM.

Der Rückzug des Staates als Unternehmer und Produzent von privaten Gütern und Dienstleitungen seit den Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts bildete für die Gesellschaft für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte den Anlass, sich auf ihrer 18. Arbeitstagung 1999 mit der Entwicklung des öffentlichen und privaten Wirtschaftens seit dem Mittelalter zu beschäftigen. Da neben der Rolle staatlicher Institutionen als Wirtschaftsteilnehmer zusätzlich der Wandel von Wirtschaftsordnungen vom Mittelalter bis zum Ende des 20. Jahrhunderts als zweite, ebenfalls sehr umfassende Fragestellung auf der Tagung behandelt wurde, beinhalten die zehn, unterschiedlich qualitätsvollen Beiträge des nun vorliegenden heterogenen Tagungsbandes ein großes Themenspektrum, das von der Entwicklung der Staatsquote, der Staatswerdung der deutschen Territorialstaaten oder dem Erfolg staatlicher Unternehmen reicht. Auch die Einleitung von Jürgen Schneider vermag es nicht die zwei Themengebiete und die einzelnen Beiträge miteinander zu verbinden. Vielmehr geht Schneider auf die Rolle und den Erfolg öffentlicher Unternehmen in Deutschland gar nicht ein und präsentiert stattdessen einige Gedanken zu den Begriffen öffentliche Güter und Gemeinwohl.

In einem von vier Beiträgen, die sich mit Zeit des Mittelalters und der frühen Neuzeit beschäftigen, untersucht Oliver Volckardt die Staatswerdung zwischen dem 12. und 18. Jahrhundert mit Hilfe der modernen Institutionenökonomik. Er konstatiert dabei eine Entwicklung der militärischen bzw. Rechts-Sicherheit von einem privaten zu einem öffentlichen Gut, die der Herrscher bzw. Staat im Tausch gegen jährlich erhobene Steuern als Monopolist gewährleiste und erklärt den Gesamtprozess mit sinkenden Transaktionskosten in Form von geringen Organisations- und Kommunikationskosten. Ähnlich wie Volkardt untersucht auch Harald Witthöft mit der Entwicklung der Währung zwischen dem 8. und 17. Jahrhundert den langfristigen Strukturwandel, doch belegt er den schon im 11/12. Jahrhundert beginnenden Wandel von statistischen Währungsverhältnissen einer Sachwährung zu einem dynamischen Geldwirtschaftssystem anhand von Münz- bzw. Edelmetallkurswerten und geht von einer Dialektik beider Systeme aus, wobei die älteren verbreiteten Vorstellungen eines festen Wertes von Münzen und Dingen noch lange die kollektiven Erfahrungen von Wirtschaft prägten. Die beiden Beiträge von Markus Denzel und Uwe Schirmer wiederum untersuchen öffentliches Wirtschaften in Spätmittelalter und früher Neuzeit detalliert anhand der Einkünfte zweier Territorialfürsten (Kursachen, Bayern), wobei sich in beiden Fällen übereinstimmend zeigt, dass die wirtschaftliche Tätigkeit der Landesherren aus fiskalpolitischen Gründen bewusst eingesetzt wurde. Allerdings war man aber nur in einigen Fällen bei Monopolisierung der Produktion oder des Verkaufes mit staatlichen Machtmitteln erfolgreich. Für Sachsen zeigte sich zudem, dass die Einkünfte staatlichen Wirtschaftens einen immer geringeren, wenngleich nicht unbedeutenden Anteil an den staatlichen Ausgaben besaßen, für Bayern, dass das öffentliche Wirtschaften vor allem auf dem landwirtschaftlichen Dominialbesitz beruhte und keinesfalls eine fortschrittliche Wirtschaftspolitik darstellte. In zwei weiteren Artikeln wird dann das öffentliche Wirtschaften in Österreich während des 19. und 20. Jahrhunderts thematisiert. Das unterschiedliche Ausmaß öffentlicher Wirtschaftsaktivität der Kommunen in unterschiedlichen politischen und ordnungspolitischen Systemen und deren langfristiger Wandel steht bei Christian Dirningers im Vordergrund der Analyse, wobei er sich vor allem auf eine Analyse des Sparkassenwesens und der Versorgung und Infrastrukturbereichs konzentriert. Ausgehend von einer aus fiskalischen Gründen einsetzenden Kommunalisierung ab 1873 verstärkte sich diese Entwicklung ab Ende des 19. Jahrhunderts und wurde nach dem Ersten Weltkrieg aus sozialpolitischen Motiven zu einem umfassenden System ausgebaut, das erst ab Ende der Achtzigerjahren mit der einsetzenden Privatisierungen zu einer gewissen Entkommunalisierung führte. Den politischen und dogmengeschichtlichen Ursachen der österreichischen Ordnungspolitik und insbesondere der starken Rolle des Staates widmet sich Jürgen Nautz in seinem Artikel, in dem er nicht nur die politischen Vorstellung der beiden großen politischen Gruppierungen (Sozialdemokraten und Christlich-Soziale) seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert, sondern auch die Entwicklung der österreichischen Wirtschaftsverfassung zwischen Liberalismus, Korporatismus und Etatismus bis in die Neunzigerjahre darstellt. Im dritten Beitrag zur österreichischen Entwicklung stellt Franz Mathis die Frage nach dem Erfolg staatlicher Unternehmen von 1946 und 1979, die er als sehr erfolgreich beurteilt. Allerdings verwundert hier die Wahl des Indikators für den unternehmerischen Erfolg, den er an der positiven Entwicklung der Belegschaft statt der Gewinn- und Umsatzentwicklung misst.

Die Gemeinwohl-Konzeptionen der Nationalsozialisten und der kommunistischen DDR sowie ihre Folgen für die Wirtschaftsordnung vergleicht André Steiner und arbeitet trotz der antiliberalen und idealistischen Gemeinsamkeiten vor allem die Unterschiede zwischen der als Mittel für die Politik dienenden gelenkten Marktwirtschaft und der zentralgelenkten Wirtschaft heraus. Dem Erbe dieser Planwirtschaft, d.h. dem Übergang von der Staat- zur Marktwirtschaft und insbesondere der Entstehung und Arbeit der Treuhandanstalt widmet sich anschließend Wolfram Fischer, der den Übergang trotz aller Schwierigkeiten und auch die Tätigkeit der Treuhand unter den gegebenen politischen Verhältnissen als erfolgreich und sinnvoll ansieht. In einem abschließenden Artikel analysiert der Finanzwissenschaftler Norbert Andel die Expansion der Staatsquote in Deutschland und Europa seit den Fünfzigerjahren, die im Wesentlichen durch die steigenden Sozialabgaben verursacht wurden. Andel beschreibt auch die Strukturverschiebungen zwischen den Gebietskörperschaften und die Auswirkungen der EU-Harmonisierungen.

Vor allem auf Grund der Heterogenität des vorliegenden Bandes bleibt zu konstatieren, dass weniger mehr gewesen wäre. Obwohl die beiden Themen der sich wandelnden Wirtschaftsordnung oder der wirtschaftlichen Tätigkeit des Staates durchaus eng zusammenhängen, wäre die Konzentration auf eines der beiden Untersuchungsthemen sinnvoll gegeben, zumal dann nicht angesprochene, aber aktuell diskutierte Aspekte, wie z.B. die Diskussion um die Alternative des Kapitalismus rheinischer oder angelsächsischer Prägung oder die Rolle der öffentlichen Banken im europäischen Wirtschaftsraum, hätten thematisiert werden können.

Ralf Banken, Frankfurt am Main





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