ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Christoph Bartels/Markus A. Denzel (Hrsg.), Konjunkturen im europäischen Bergbau in vorindustrieller Zeit. Festschrift für Ekkehard Westermann zum 60. Geburtstag (= Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beiheft 155) Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2000, 272 S., kart., 98 DM.

Entgegen häufigen wissenschaftlichen Gepflogenheiten bieten die verschiedenen Aufsätze der Festschrift für Ekkehard Westermann kein Sammelsurium verschiedenster Themen in Aufsätzen, sondern beschäftigen sich zumeist mit der Bedeutung und Ursachen langfristiger Aufschwungs- und Abschwungsphasen des europäischen Bergbaus in vorindustrieller Zeit, einem Thema dem sich der zu Ehrende in seinem bisherigen wissenschaftlichen Werk immer näher widmete, was auch an der häufigen Zitierung von Westermanns Publikationen deutlich wird. Das räumliche Spektrum der einzelnen Beiträgen beschränkt sich vornehmlich auf Mitteleuropa von Südtirol bis zum Harz sowie von Böhmen bis zum Lütticher Revier. Nach Rudolf Palmes Überblick über den Stand der Forschungen zur Bergbaugeschichte Tirols im 12. und 13. Jahrhundert anhand des Trienter und Schwazer Bergbaus beschreibt Jiøí Majer die Ursachen und Folgen der Konjunkturen und Krisen im böhmischen Silberbergbau im Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Hans-Joachim Kraschewski fragt in seinem Beitrag nach den Einwirkungen der wirtschaftlichen Wechsellagen auf die bergbauliche Arbeitsverfassung des Bergbaus im 16. und 17. Jahrhunderts und interpretiert das Aufkommen des Direktionsprinzip sowie der verstärkten staatlichen Aktivitäten als eine Antwort auf die Strukturkrise des mitteleuropäischen Bergbau, vor allem der Kapitalknappheit. Karl Heinrich Kaufhold wiederum stellt die neueren Forschungsprojekte und -ergebnisse zur Wirtschaftsgeschichte des Berg- und Hüttenwesens im westlichen Harz (Rammelsberg und Kommunionharz) vor 1860 vor und betont die Bedeutung der Angebotsfaktoren (Natur, Technik, Organisation, Bergbaupolitik) als Ursache für die einzelnen wirtschaftlichen Wechsellagen, wogegen den Absatz- und Beschaffungsmärkten erst ab dem 19. Jahrhundert ein größeres Gewicht zukam. In einem programmatischen Artikel, den man auch als Einleitung dem Sammelband hätte voranstellen können, verneint Christoph Bartels die Vorstellung einer allgemeinen Krise der Montanwirtschaft im Spätmittelalter, die auf einer zu starken Konzentration der Forschung auf den Buntmetallbergbau beruhten. Vielmehr gab es in wichtigen Bergbauzweige wie dem Steinkohlenbergbau, der Eisenproduktion oder der Zinn- und Galmeigewinnung, die in einzelnen Regionen ein großes ökonomisches Gewicht besaßen, große Fortschritte und eine erhebliche Weiterentwicklung, weshalb die künftige Forschung sich der Untersuchung dieser und anderer Bergbauzweige verstärkt zuwenden solle.

In den weiteren Beiträgen widmet sich dann Harald Witthöft der Numerik in Zahl, Maß und Gewicht, um an der Veränderung dieser Systeme den strukturellen Wandel der Bergbauwirtschaft und ihrer Produktionsmethoden deutlich zu machen, während Wolfgang von Stromer das Lösung des Energie- und Wasserhaltungsproblems im Mittelalter als zentralen Faktor für die Entwicklung des Bergbaus ansah. Daneben geht Marián Skladaný anhand der Entsilberung des Neusohler Schwarzkupfers den technologischen Ursprung des Kupfersaigerns im 15. Jahrhunderts nach und Lothar Suhling arbeitet anhand einer Hüttenrechnung einer Fuggerschen Kupferhütte in Tirol um 1540 den genauen Produktionsablauf mit den verschiedenen Vor-. Halb- und Fertigprodukten heraus. Den Zusammenhang der Philosophie, Naturwissenschaft und Technik im 16. Jahrhundert versucht Graham Hollister-Shorts in seinem Beitrag anhand der aufkommenden Idee der Atmosphäre und des Vakuums mit Vorgeschichte der Newcomen-Dampfmaschine aufzuzeigen, wobei er auch die unterschiedliche Diffusion dieser Erfindung auf dem europäischen Kontinent und den britischen Inseln darstellt.

Stärker quantitativ auf Basis der Produktionsdaten arbeitend untersucht Björn Ivar Berg die Krisen und Konjunkturen im skandinavischen Bergbau von 1546 bis 1800 und kann an mehreren Vergleichen überzeugend allgemeine Konjunktureinflüsse entdecken, wobei er allerdings neben der Anpassung an die internationale Marktverhältnisse auch die Standortfaktoren und hier speziell die Lagerstättenverhältnisse und Entwicklung der Technik als weitere Einflussfaktoren herausgearbeitet. Auch Michael Fessners Beitrag über den märkischen Steinkohlenbergbau und seine konjunkturelle Entwicklung im 17. und 18. Jahrhundert beruht auf einer quantitativen Datengrundlage, die durch Untersuchung der Nachfrageseite und staatlichen Politik ergänzt wird. Auf dieser Basis konstatiert Fessner, dass der Steinkohlenbergbau in der Grafschaft Mark schon viel früher als bisher von der Forschung angenommen eine große wirtschaftliche Bedeutung besaß und dass dieser wichtigste Gewerbezweig der Region seit dem Ende des 16. Jahrhunderts einen langen Aufschwung durchlief. Die Fruchtbarkeit mühsamer quantitativer Arbeit für die wirtschaftshistorische Forschung der frühen Neuzeit wird ebenfalls anhand des Beitrages von Markus A. Denzel, Hans-Jürgen Gerhard und Alexander Engel deutlich, die anhand von Preisreihen verschiedener Kupferarten eine Verflechtungsanalyse mehrerer nordeuropäischer Märkte vornehmen. Ihr vorläufiges Ergebnis zeigt deutlich die unterschiedlichen Strukturen der im frühen 18. Jahrhundert noch stärker unabhängig voneinander agierenden Kupfermärkte sowie die vorhandenen Konkurrenz- und kommerziellen Kommunikationsbeziehungen zwischen den einzelnen Waren und Märkten, die erst nach 1750 international stärkere Marktverflechtungen bis hin nach Südamerika aufwiesen.

Insgesamt bestätigen vor allem die quantitativ ausgerichteten Beiträge der gelungenen Festschrift, in der allein die fehlende Definition bzw. eine Problematisierung des modernen Konjunkturbegriff für die vorindustrieller Zeit fehlt, die berechtigte Forderung Westermanns nach einer stärkeren Quantifizierung. Nur anhand langer Datenreihen kann die in den Beiträgen des vorliegenden Sammelbandes unterschiedlich beantwortete Frage nach Verlauf und Ursachen des Bergbaus in Mittelalter und früher Neuzeit ermöglichen.

Ralf Banken, Frankfurt am Main





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