ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Clemens Wischermann/Peter Borscheid/Karl-Peter Ellerbrock (Hrsg.), Unternehmenskommunikation im 19. und 20. Jahrhundert. Neue Wege der Unternehmensgeschichte (= Untersuchungen zur Wirtschafts-, Sozial- und Technikgeschichte, Band 19), Ges. für Westfälische Wirtschaftsgeschichte, Dortmund 2000, 263 S., brosch., 38 DM.

Kommunikation ist mittlerweile zu einem zentralen Begriff von Theorien und Modellen der Unternehmenssteuerung geworden. Der Begriff wird dabei keineswegs eng technisch gefasst, sondern bezieht sich auf alltagsweltliche Rituale, Symbole und Werte – allgemein gesprochen, auf die Unternehmenskultur. In institutionenökonomischer Sichtweise hat diese wiederum gehörigen Einfluss auf die Höhe der Transaktionskosten. Im Unterschied zur neoklassischen Position ist die Benutzung des Marktes nicht kostenlos, vielmehr entstehen Reibungsverluste, eben jene Transaktionskosten. Um diese kontrollieren zu können, bedarf es förmlicher und informeller Regeln und Normen, so genannter Institutionen. Während dieses Theorieangebot der "New Institutional Economics" die angelsächsische Unternehmensgeschichte neu orientierte, ist ihr Einfluss im deutschsprachigen Raum noch eher begrenzt. Der hier anzuzeigende Sammelband, der auf den Ergebnissen einer interdisziplinären Tagung der Gesellschaft für Westfälische Wirtschaftsgeschichte beruht, greift deshalb den institutionenökonomischen Ansatz explizit auf und versucht, ihn durch kulturwissenschaftliche und kommunikationstheoretische Überlegungen zu erweitern.

In einem ersten theoretischen Teil führt Wilfried Feldenkirchen in die Thematik ein und erläutert verschiedene Bereiche der Unternehmenskommunikation (interne Kommunikation, Marktkommunikation, Öffentlichkeitskommunikation), bevor Holger Bonus die institutionenökonomische Analyse von Unternehmen vorstellt. Betont wird in diesem Zusammenhang die Vertrauenskultur, die notwendig ist, um die Transaktionskosten zu begrenzen, sowie die Rolle des Wissens und der kollektiven Identität eines Unternehmens. Clemens Wischermann erörtert den Zusammenhang von Unternehmensgeschichte und Unternehmenskommunikation und verweist auf die Bedeutung von Kultur und Geschichte zur Erklärung von Kooperation im wirtschaftlichen Handeln. Konkret geht es dabei um den Einfluss der Unternehmenskultur auf die Höhe der Transaktionskosten als eine Leitfrage unternehmensgeschichtlicher Forschung. Unternehmenskultur wird dabei als ständige Auseinandersetzung um das kollektive Selbstverständnis aufgefasst; ebenso wie bei Bonus spielt die Kategorie des Vertrauens eine zentrale Rolle.

Der zweite Teil des Bandes widmet sich nach einer Einführung von Ulrich Pfister der externen Unternehmenskommunikation anhand von vier konkreten empirischen Fallstudien. Unternehmen stellen nicht nur Güter und Dienstleistungen her, sie müssen sie auch verkaufen. Die Außenkommunikation ist deshalb ein zentrales Element erfolgreicher Unternehmensstrategie, das heute mit dem Schlagwort Kundenorientierung umschrieben und in eine Warenkultur eingebettet wird. Peter Borscheid zeichnet diesen Weg vom Verkaufsargument zum Markensymbol am Beispiel der Werbung deutscher Lebensversicherer im 19. und frühen 20. Jahrhundert nach. Dies gelang jedoch nicht immer. Gerade bei mittelständischen Unternehmen fehlte häufig die für eine individuelle Nutzung notwendige Kapitaldecke, gelegentlich bestand keine konsumptive Wahlmöglichkeit oder das Produkt eignete sich nicht zur Markenbildung. Die Beiträge von Dirk Schindelbeck und Rainer Gries widmen sich deshalb der aus solchen Zwängen entstandenen Gemeinschaftswerbung in der Weimarer Republik, in der Bundesrepublik und in der DDR. Karl-Peter Ellerbrock schließlich beschäftigt sich mit der Visualisierung von Unternehmenskultur am Beispiel von Hoesch in den 1950er-Jahren, die sowohl in der externen als auch der internen Unternehmenskommunikation als ästhetische Bildsprache eingesetzt wurde.

Im dritten Teil des Tagungsbandes steht die interne Unternehmenskommunikation im Mittelpunkt. Hartmut Berghoff verweist auf die grundlegende Bedeutung innerbetrieblicher Kommunikation, die – überspitzt gesagt – ein Unternehmen überhaupt erst konstituiert. Umso problematischer ist es, wenn diese Kommunikation gestört ist. Anne Nieberding untersucht dies am Beispiel der "Gelben Gewerkschaft" des württembergischen Maschinenbauunternehmens J. M. Voith. Das Konzept, die Belegschaft mittels eines vom Unternehmen gegründeten Arbeitervereins zu integrieren und zu disziplinieren, scheiterte, da das Unternehmen nur die bereits langjährig Beschäftigten ansprach. Ebenfalls als problematisch erwiesen sich die Kommunikationsstrukturen in den von Thomas Welskopp untersuchten Eisen- und Stahlunternehmen des Ruhrgebiets in der Zwischenkriegszeit. Hier kollidierte die Kultur der Unternehmensleitung und der Ingenieure mit derjenigen der Arbeiter und Meister. An Stelle eines Kommunikationsnetzes standen sich zwei Kommunikationslinien antagonistisch gegenüber. Eher ethnographisch ausgerichtet versucht schließlich Irene Götz das Erzählverhalten von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Münchner Großbäckerei Pfister als Indikator der Unternehmenskultur fruchtbar zu machen.

Unternehmensgeschichte hat Konjunktur. Die zahlreichen Arbeiten der letzten Jahre zeigen, dass mittlerweile eine Absetzung von der älteren Tradition hagiographischer Unternehmergeschichte hin zu einer methodisch reflektierten und historisch-empirischen Ausrichtung gelungen ist. Der vorliegende Sammelband demonstriert eindrucksvoll das Potenzial einer sich kultur- und sozialwissenschaftlichen Ansätzen öffnenden Unternehmensgeschichtsschreibung. Gleichzeitig wird deutlich, wie Ökonomie und Geschichte sich aufeinander zu bewegen und sich gerade für die Wirtschaftsgeschichte dadurch neue Chancen, Perspektiven und auch Herausforderungen ergeben.

Jörg Vögele, Düsseldorf





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