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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Ralf Thomas Baus, Die Christlich-Demokratische Union Deutschlands in der sowjetisch besetzten Zone 1945 bis 1948. Gründung - Programm - Politik (= Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte, Band 36), Droste Verlag, Düsseldorf 2001, 592 S., geb., 42 EUR.

Die Diskussion über die "Zwangsvereinigung" und die "Blockflöten" hat seit den Neunzigerjahren für ein breiteres Interesse an der Parteiengeschichte der SBZ/DDR gesorgt. Besonders die Frage nach Handlungsspielräumen bildete dabei einen Schwerpunkt. Mittlerweile scheinen auch in der Parteienforschung die Publikationen zur DDR-Geschichte die westdeutsche Nachkriegsforschung zu überrunden. Nachdem Manfred Wilde vor vier Jahren eine Monographie zur "SBZ-CDU 1945-1947" vorgelegt hatte, kann nun Ralf Thomas Baus mit einer neuen, bei Hans-Peter Schwarz entstandenen Dissertation zu diesem Thema aufwarten.

Im Vergleich zu den bisherigen Arbeiten zur SBZ-CDU ruht Baus’ Studie sicherlich auf dem breitesten Quellenfundament. Sie stützt sich nicht nur auf Nachlässe und Verbandsakten der Konrad-Adenauer-Stiftung und des Bundesarchivs, sondern auch auf ostdeutsche Landesarchive. In der quellennahen Darstellung liegt zugleich die Stärke des Buches. Detailliert zeichnet es verschiedene Gründungszirkel und ausgewählte innerparteiliche Diskussionsabläufe zur Programmatik und Politik der CDU nach. Allerdings führt der recht deskriptiv-endogener Ansatz auch dazu, dass Baus kaum mit neuen Gesamtergebnissen oder Erklärungsansätzen aufwarten kann. Vielmehr knüpfen seine Resultate im Wesentlichen an die bisherigen Überblicksdarstellungen an. Kernpunkt seines Resümees ist, dass der Handlungsspielraum der CDU geringer war als bisher angenommen (469).

Im Unterschied zu den bisherigen Studien betrachtet Baus nicht die Parteistruktur oder deren gesellschaftliche Anbindung. Parteiaufbau, -kommunikation oder -finanzierung lässt er weitgehend außen vor. Statt dessen konzentriert er sich auf die christdemokratischen Positionen zur Bodenreform und Deutschlandfrage sowie auf die Absetzung der ersten Vorsitzenden. Dies untersucht er anhand der Berliner Führungsebene und an einzelnen Landesverbänden. Dabei dominiert allerdings bei fast allen Kapiteln der Blick auf den CDU-Landesverband Sachsen.

Das einleitende Kapitel zur Parteigründung unterstreicht an zahlreichen Beispielen, dass die CDU auch im protestantischen Osten in hohem Maße auf dem politischen Katholizismus aufbaute. Wie Wilde bereits belegt hatte, war die Hälfte der führenden Christdemokraten katholisch, bei den Mitgliedern 40 Prozent. Evangelische Geistliche gewährten eine weitere wichtige Starthilfe. Ähnlich wie in Norddeutschland war der Name "CDU" zunächst wegen des "C" umstritten. Erst der russische Druck sorgte für eine Vereinheitlichung (S. 130). Immer wieder stellt Baus heraus, dass die ostdeutschen Parteigründer aus Widerstandskreisen kamen und dass hier die CDU ihren geistigen Ursprung hatte. Hinweise auf Verbindungen zum Nationalsozialismus macht er dagegen nirgends aus, was den etwas hagiographischen Unterton der Studie verstärkt. Ausgeblendet werden dementsprechend etwa die 1946 geführten Berliner Vorstandsdiskussionen, wie man ehemalige NSDAP-Mitglieder in die Partei führen könne.

Die weiteren Kapitel belegen entlang verschiedener Bereiche die Repressionen der Sowjetischen Militäradministration (SMAD). Bei den Wahlen wurden die Versammlungen, Plakate und Papierzuteilungen der CDU behindert. Als schwerste Benachteiligung macht Baus die Nicht-Registrierung von Christdemokraten aus (S. 330). Die Wahlen von 1946 seien deshalb nicht als freie Wahlen zu bezeichnen. Anhand der Blockpolitik der SED, der Bodenreform und des Volksentscheids über die Enteignung von "Kriegs- und Naziverbrechern" zeichnet Baus nach, wie der CDU durch Taktik und Bedrohung echte Oppositionsmöglichkeiten genommen wurden. Nachdem der erste Vorsitzende, Andreas Hermes, zum Rücktritt gedrängt wurde, habe sein Nachfolger Jakob Kaiser für einen "Linksruck" gesorgt. Dabei habe der von Kaiser propagierte "christliche Sozialismus" vor allem durch seine Verbindung mit der "Reichseinheit" an Attraktivität gewonnen (S. 269). Auch in den übrigen Landesverbänden sei dieser Ansatz gut aufgenommen worden. Kaisers Brückenkonzept zwischen Ost und West führte allerdings zu einer gegen ihn gerichteten Pressekampagne, die ihn im Zuge seiner Absetzung als "Agenten" der "amerikanischen Reaktion" diffamierte (S. 405). Seit 1948 habe die SMAD schließlich den Spielraum der CDU völlig eingeschränkt. Mit Otto Nuschke installierte sie einen kompromissbereiten Vorsitzenden, setzte SED-freundliche Leute in den Partei-Apparat, schüchterte die Mitglieder durch Verhaftungen ein und drängte Christdemokraten aus der Verwaltung. Zugleich betont Baus aber, dass in der CDU auch jetzt keine pro-kommunistische Haltungen bestanden habe (S. 432).

Die Vorzüge dieser Darstellung gehen mit einigen analytischen Schwächen einher. Obwohl die Studie mit einem breiten Panorama beginnt, verengt sie sich zunehmend auf die unmittelbare Führungsspitze. Wie die Entwicklung der CDU in der weiteren Partei und ihrem Vorfeld (Kirchen, Verbände) aufgenommen wurde, erfährt man kaum. Ausgeblendet bleibt auch die Beziehung zu den westlichen Besatzungszonen, obwohl hier wichtige Präjudizierungen für die Ost-Partei fielen. Obwohl die Arbeit in einem politikwissenschaftlichen Kontext entstanden ist, verzichtet sie zudem auf einen methodischen Rahmen oder eine Begriffsklärung. Die Ost-CDU bezeichnet Baus als "bürgerliche" Partei, wobei die fortlaufend benutzten Anführungszeichen zugleich sein Unbehagen mit dem Terminus signalisieren. Gängige Ansätze der Parteienforschung, wie das Cleavage- oder Milieukonzept, finden keine Beachtung. Erklärende Kraft haben daher nur die Anweisungsschreiben der Geschäftsstellen oder der SMAD. Das führt z.B. dazu, dass der hohe Stimmenanteil der CDU bei den Frauen (68%) mit der Wahltaktik der "Reichsgeschäftsstelle" erklärt wird – und nicht mit der stärkeren Kircheneinbindung der Frauen, die schon in der Weimarer Republik bei den christlichen Parteien zu einer überdurchschnittlichen Wählerinnen-Unterstützung beschert hatte. Denn trotz aller Umbrüche galt auch für die SBZ, dass die CDU nicht nur "einen Aufschwung aus dem Nichts" (S. 170) oder aus dem Widerstand (S. 174) erreichte, sondern vor allem erfolgreich an politische Traditionen und Gesellschaftsnetze von vor 1933 anknüpfen konnte.

Allen diesen Anmerkungen zum Trotz, die sich von Rezensentenseite allzu leicht vorbringen lassen: Baus hat ein Buch vorgelegt, das unsere Kenntnis von der "Gründung, Politik und Programmatik" der SBZ-CDU auf breiter Quellenbasis vertieft. Dabei ist auch seine Konzentration auf ausgewählte Politikbereiche und auf Sachsen zu begrüßen, werden doch gerade hierdurch neue Einsichten gewonnen.

Frank Bösch, Göttingen





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