Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online
James J. Barnes/Patience P. Barnes, Nazi Refugee Turned Gestapo Spy. The Life of Hans Wesemann 1895-1971, Praeger Publishers, Westport/CTLondon 2001, 184 S., kart.,54, 95 £.
Wer sich je mit der Biographie des 1932 nach Frankreich emigrierten pazifistischen Militärjournalisten Berthold Jacob beschäftigt hat, wird sich die Dramatik von dessen zweimaliger Entführung nach NS-Deutschland (aus Basel 1935, aus Lissabon 1941) und Jacobs trauriges Ende vergegenwärtigt haben. Und es mag sich dabei auch die Frage aufgedrängt haben, wer eigentlich jener Hans Wesemann gewesen ist, der als journalistischer Exilgenosse Jacobs an dessen erster Entführung auf so widerwärtige Weise beteiligt war.
Eine Biographie dieses 1895 in Nienburg an der Weser geborenen Mannes liefert jetzt das Buch des US-amerikanischen Autorenpaares James J. Barnes und Patience P. Barnes.
Wesemann nahm am Ersten Weltkrieg an der Ost- und an der Westfront teil, erhielt neben anderen Auszeichnungen das EK II. und wurde bei Kriegsende als Artillerieleutnant (und leicht verwundet) entlassen. Es folgte, da er vergeblich seine Dienste Führern der sozialistischen Linken wie Georg Ledebour anbot, anscheinend mehr aus Verlegenheit, ein literatur- und geschichtswissenschaftliches Studium in Berlin und Freiburg, wo er mit einer literaturwissenschaftlichen Arbeit zum Dr. phil. promoviert wurde. Seine journalistische Tätigkeit setzte bereits während seines Studiums 1921 ein. Er schrieb zuerst für den "Vorwärts", doch entzog ihm die Zeitung einen ihm 1924 übertragenen Posten als Völkerbundskorrespondent in Genf infolge kompromittierender Gerüchte über seinen extravaganten Lebenswandel. Der Ruf eines Mannes überdurchschnittlichen Geldbedarfs, unzuverlässiger Zahlungswilligkeit bei Geldschulden und eines windigen Charakters blieb seither an ihm haften. Nach Berlin zurückgekehrt, heiratete Wesemann 1926 Ilse Meier, eine erheblich jüngere Mitarbeiterin des "Vorwärts", Tochter eines jüdischen Pelzhändlers aus Leipzig. Die Ehe war nur von kurzer Dauer, ohne dass die Kontakte der beiden abrissen, und Ilse Meier blieb, wie sich zeigen sollte, an Wesemann auf eigenartige schmerzliche Weise gekettet. Ein journalistisches Zwischenspiel als Korrespondent der "Deutschen Allgemeinen Zeitung" stellte Wesemanns Aufenthalt in Brasilien 1926/27 dar, - einschneidend für sein Leben durch eine schwere Erkrankung und seinen Übertritt zum Katholizismus.
Bei seiner jetzigen Rückkehr nach Berlin hatte er sich bereits durch Arbeiten bei der "Weltbühne" empfohlen. Seither und bis zum Ende der Weimarer Republik schrieb er für die "Welt am Montag", als deren Theater- und Filmkritiker er mit zahlreichen Schauspielern und Regisseuren bekannt wurde. Seine Artikel zeigten Biss und verrieten journalistischen Spürsinn. Sie ließen keinen Zweifel daran, dass Wesemanns politische Sympathien der demokratisch-republikanischen Linken und der Weimarer Republik gehörten. Der spektakuläre Aufstieg des Nationalsozialismus inspirierte ihn zu einem journalistischen Genre eigener Art: Fiktive Interviews mit und über NS- Größen, in der Absicht, sie der Lächerlichkeit preiszugeben. Ein solcher Streich, die witzige Schilderung einer erfundenen Begegnung mit Hitler, führte 1930 zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung der NSDAP mit der "Welt am Montag", die den Prozess gewann.
Es verwundert nach alldem nicht, dass Wesemann es nach dem 30.Januar 1933 ratsam fand, sich der Rache der Nazis durch die Emigration nach Frankreich zu entziehen. Rastlos und unstet, wie es seinem Naturell entsprach, empfand Wesemann offenbar nicht die Heimatlosigkeit als Bürde seiner Exilexistenz, sondern die durch den Mangel an journalistischen Möglichkeiten verursachte Mittellosigkeit und den Umstand, dass er ohne gültigen Pass in seiner Mobilität eingeschränkt war.
Als Mensch ohne Skrupel und moralische Hemmungen trug Wesemann binnen kurzem
seine Dienste der deutschen Botschaft in London an, durch deren Vermittlung ein immer intensiverer und immer weniger lösbarer Kontakt mit der Gestapo zu Stande kam. Als Morgengabe und Entree bei den deutschen Diplomaten in London dienten ihm u.a. Briefe so prominenter deutscher Emigranten wie Emil Julius Gumbel und Hellmut von Gerlach, - von dem erstgenannten ein Brief (Lyon, den 10.4. 34), den er sich als "Herr Meyer" erschlichen hatte und von Hellmut von Gerlach ein an Otto Lehmann Rußbüldt in London gerichtetes Schreiben, das er nach eigener Aussage von dessen Schreibtisch entwendet hatte. Gerlachs angeblicher, zweiseitiger maschinenschriftlicher Brief indes, auf einem Briefbogen der französischen Liga für Menschenrechte in Paris geschrieben und datiert vom 6. April 1934, offenbart die ganze Dreistigkeit von Wesemanns Vorgehen, legt er doch die folgende Hypothese nahe. Um etwaigen Zweifeln an dessen Authentizität zu begegnen, könnte Wesemann bei einem seiner Aufenthalte in Paris in den Geschäftsräumen der französischen Liga, bei welcher die deutsche Schwesterliga im Exil unter Gerlachs Leitung Gastrecht genoss, einen oder mehrere Briefbögen entweder selbst oder mit Hilfe seiner nach wie vor von ihm abhängigen und zeitweilig für Gerlach arbeitenden Ex Frau Ilse Wesemann für seine Zwecke gestohlen haben. (Dies würde übrigens auch neues Licht auf den Suizidversuch Ilse Wesmanns im Zusammenhang mit dem Entführungsfall Berthold Jacob werfen.) Der angebliche Brief Gerlachs an Lehmann Rußbüldt nun weist wenigstens drei Merkmale einer plumpen Fälschung auf. Die angebliche Unterschrift Gerlachs ist ein Phantasieprodukt. Die Schreibmaschine, auf welcher der Brief geschrieben wurde, ist offenkundig nicht jene, auf der Gerlach seine Korrespondenz in der fraglichen Zeit üblicherweise schreiben ließ. Und schließlich ist der Brief nicht in der von Gerlach gewohnten sachlichen, knappen, ja, lakonischen Diktion abgefasst. Wesemann hatte dreifachen Erfolg: bei den deutschen Diplomaten, da sie die ihnen vorgelegten Dokumente nur so lasen, wie sie sie lesen wollten; sozusagen posthum bei den Autoren Barnes & Barnes, da sie anscheinend Gerlachs authentische Unterschrift nicht kannten, und dies gilt, so scheint es, auch für die englische Exilforscherin Charmian Brinson, die in einem vorzüglich recherchierten Aufsatz "The Gestapo and the German Political Exiles in Britain During the 1930s: The Case of Hans Wesemann and others" (German Life and Letters 51: 1 January 1998) weiteres Licht in das Dunkel von Wesemanns Londoner Umtrieben hat bringen können.
Wesemanns aus Berliner Tagen rührenden, nun in die deutschen Exilmilieus des demokratischen Europa reichenden Verbindungen sollten ihm, so mag er zunächst geplant haben, die Chancen zu deren lukrativer Ausbeutung eröffnen: Mit Hilfe seines Kredits als Nazigegner versuchte er, exilierten deutschen Intellektuellen Perspektiven für Kontakte mit ausländischen Verlagen und für entsprechende Publikationsmöglichkeiten vorzugaukeln. Damit war aber offenkundig von Anfang an die Absicht ihrer Ausspähung und ihres Verrats an NS-Stellen verbunden. Eine letzte Steigerung erfuhren seine sinistren Machenschaften durch die Einfädelung von Entführungsaktionen, so nachgewiesen im Falle der Verschleppung des Gewerkschaftsführers Carl Balleng 1934 von Kopenhagen aus, während die Beteiligung Wesemanns an der Verhaftung des deutsch-britischen Kaufmanns Werner Kohlberg immerhin als sehr wahrscheinlich gilt.
Die zahlreichen von Hitler-Deutschland ins Werk gesetzten Morde an exilierten Gegnern des NS-Regimes ließ die unter den Hitler-Flüchtlingen verbreitete Furcht vor Spitzeln als allzu begründet erscheinen. Auch Warnungen vor Wesemann machten in Kreisen des politischen Exils schließlich die Runde. Berthold Jacob, auch er seiner Gefährdung in seinem Exil in Straßburg bewusst, war im Falle des ihm persönlich gut bekannten Wesemann nicht wachsam und argwöhnisch genug. Tatsächlich setzte seine Entführung mit Hilfe Wesemanns dessen Treiben die Krone auf. Die Umstände des Vorgangs, die Proteste der Schweiz, die erfolgreich auf der Rückführung des Verschleppten bestand, die Auslieferung Wesemanns an die Schweizer Behörden, seine Verurteilung zu einer Haftstrafe durch ein eidgenössisches Gericht, dies alles hat bereits früher eine Darstellung durch die Arbeit von Jost Nikolaus Willi (Frankfurt/M..-Bern 1973) gefunden.
Die vorliegende Veröffentlichung enthält aus den Untersuchungsakten ein Foto des Entführungsfahrzeugs und eine Aufnahme des Tatorts, aber kein Bild Wesemanns.
Nach der Verbüßung seiner Haftstrafe gelang Wesemann, nun der Gestapo lästig geworden, mit deren Hilfe die Ausreise nach Venezuela, in das Land seiner wohlhabenden Verlobten, die er 1938 heiratete. Vergeblich hoffte er, in Venezuela unterzutauchen und Ruhe zu finden, indes, sein übler Leumund folgte ihm auch dorthin. Der Zweite Weltkrieg, der Kriegseintritt der USA, deren Einfluss in mittelamerikanischen Staaten wie Nicaragua, wohin Wesemann nach seiner auf Druck der USA erfolgten Ausweisung aus Venezuela übersiedelte, neue heftige Malariaanfälle, die Erkrankung seiner ihm nach Nicaragua gefolgten Frau, die gemeinsame Internierung in US-amerikanischen Camps, nachdem Wesemann durch Aufsehen erregende Veröffentlichungen, eine davon von Otto Strasser, als Gestapo-Agent benannt worden war, von immer neuen Problemen wurde Wesemanns gehetztes Leben jetzt bestimmt. Nach Kriegsende wehrte Wesemann sich mit Erfolg gegen seine Ausweisung nach Deutschland. Dem Ehepaar wurde nach langwierigen Prozeduren, bei welchen Wesemann sich dank geschickter, fintenreicher juristischer Vertretung seiner Interessen als Unschuldsengel aufzuführen wusste, die Ausreise nach Venezuela gestattet. Dort starb Hans Wesemann im Jahre 1971.
James J. und Patience P. Barnes haben auf Grund intensiver Recherchen und auf Grund leider nur selektiv herangezogener einschlägiger Literatur viele Mosaiksteine zusammengetragen, die sich zum fesselnden Porträt eines begabten Journalisten, eines allzeit wendigen Virtuosen des Überlebens und eines moralisch haltlosen Menschen fügen, der einigen seiner Zeitgenossen, die der Begegnung mit ihm nicht hatten ausweichen können, verhängnisvoll wurde. Aber auch mit dieser Lebensbeschreibung bleibt der Charakter Hans Wesemanns letztlich rätselhaft.
Ärgerlich an dem Buch ist die Vielzahl der Druckfehler ärgerlich besonders bei Namen von Personen und Orten und manche Irrtümer, deren bizarrer Charakter am besten in der Form wörtlicher Zitierung einiger Beispiele hervortritt: "The Italian city of Locarno
" (S. 8); "as a Jew Lehmann-Rußbüldt had been deprived of his German citizenship by the Government of the Third Reich" (S. 28); oder mit Bezug auf den 9. November 1923: "In Munich Adolph Hitler rallied his storm troopers in a protest against Berlins inability to cope with the monetary crisis" (S.5).
Karl Holl, Bremen