ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Panikos Panayi (Hrsg.), Weimar and Nazi Germany. Continuities and Discontinuities, Longman, Harlow 2001, 340 S., brosch., 50,42 £.

Das Buch ist keines zu Problemfeldern von und Kontroversen um Kontinuitäten und Diskontinuitäten, wie womöglich auf Grund des Titels vermutet werden könnte. Vielmehr handelt es sich um den Versuch, eine auch für den "general reader" und für Studierende geeignete Einführung in die Geschichte der Weimarer Republik und des "Dritten Reiches" zu präsentieren, die ihr Augenmerk auf die Frage nach Kontinuität oder Diskontinuität richtet.

Das Werk teilt sich in drei Abschnitte. Im ersten führt der Herausgeber in die Thematik und Problematik ein. Das ist weniger eine systematische Orientierung des Lesenden über die komplexe Frage nach dem Verhältnis von Weimarer Republik und "Drittem Reich" im Fluss der deutschen Geschichte, sondern ein gedankenreicher, eher assoziativer, die Ebenen schnell wechselnder Essay, der oft ungewöhnliche Fragen und Perspektiven an die Geschichte heranführt, aber streckenweise auch verwirren kann.

Der zweite Teil versteht sich als Überblick über die Zeit zwischen 1919 und 1945. Richard Overy bietet einen Querschnitt der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Er legt einen Schwerpunkt darauf, das Verhältnis von Staat, Ideologie und Wirtschaft zu bestimmen, wobei er einen Primat der Politik postuliert. "Did Hitler create an new society?" fragt Hartmut Berghoff und untersucht, um zu Antworten zu kommen, erstens in sehr eindringlicher und kompakter Weise Beharrung und Wandel in der sozioökonomischen Situation der relevanten sozialen Gruppen und zweitens die soziale Mobilität und die Rekrutierung der Eliten in der Weimarer Republik und unter dem Nationalsozialismus. Die konventionelle Politikgeschichte ist durch Edgar Feuchtwanger vertreten, der vor allem die in Verwaltung und Reichswehr liegenden Kontinuitäten im stufenweisen Übergang von der Demokratie zur Diktatur unterstreicht. Das Gebiet der Außenpolitik übernahm mit Immanuel Geiss ein sehr profilierter Historiker. Eingebettet in die longue durée der Entwicklung seit 1198 und die mit Bismarck anhebende "German gambling tradition" in der deutschen Außenpolitik, gelingt Geiss mit seiner klaren Gedankenführung ein souveränes Resümee deutscher Außenpolitik im Zeichen von fortdauerndem Großmachtstreben und Revision von Versailles.

Im dritten Teil vertiefen die Autoren und die einzige Autorin des Bandes ausgewählte Schlüsselthemen. J. Adam Tooze unterzieht in sehr anregender, wenn auch zuweilen polemischer Weise, die von Fritz Fischer, der Bielefelder Schule um Hans-Ulrich Wehler und Jürgen Kocka sowie der ostdeutschen Geschichtsschreibung gezogenen Kontinuitätslinien für die Rolle des "big business" in der neueren deutschen Geschichte einer kritischen Revision. Er plädiert dafür, Politik und Wirtschaft als zwei autonome Systeme anzusehen und das Verhältnis zwischen beiden konkret für bestimmte Phasen zu bestimmen, statt pauschal durch Vorannahmen. Lisa Pine skizziert in ihrem Aufsatz "Women and the family" einen Kontinuitäten und Zäsuren sorgsam abwägenden Abriss der Familienpolitik zwischen 1919 und 1945. Bedauerlich ist, dass Frauen als eigenständige Faktoren und Akteurinnen, also jenseits ihrer Rolle in der Familie, kaum Erwähnung finden. Panikos Panayi befasst sich mit der Situation von Juden, Sinti und Roma sowie der slawischen Minderheit in Deutschland. Vor dem Hintergrund der Tradition von Vorurteilen und Ausgrenzung, insbesondere in der Weimarer Republik zeichnet er ein in hohem Maße vom intentionalistischen Paradigma (Hitlers "Mein Kampf" als "blueprint" nationalsozialistischer Herrschaft) geprägtes Bild von der Verfolgung im "Dritten Reich". Einen komprimierten Überblick über die extreme Rechte und darin eingebettetet der NSDAP vor und nach 1933 gibt Lee McGowan. Stefan Bergers Beitrag zu dem Band ist eine kurze, fassettenreiche und zugleich klare Linien ziehende Sozial- und Mentalitätsgeschichte der SPD, die nicht zuletzt der Frage nachgeht, was die Sozialdemokratie zunächst von einer realistischen Einschätzung der nationalsozialistischen Gefahr abhielt. Abschließend zeichnet G.T Waddington die englisch-deutschen Beziehungen vom Ende des Ersten bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges nach.

Die Qualität eines Sammelbandes wird von zwei Merkmalen bestimmt, von der Güte der jeweiligen Beiträge und von der Gesamtkonzeption. Die Aufsätze sind unter dem Strich gute oder sehr gute Zusammenfassungen zu ihrem jeweiligen Thema und manche weisen zudem durch ihre Gedankenführung deutlich darüber hinaus. Die Lektüre sensibilisiert dafür, der Komplexität gewahr zu werden, welche in der Verschränkung von Fortdauerndem und Bruch im Übergang von der ersten deutschen Demokratie zur nationalsozialistischen Herrschaft liegt.

Die Gesamtkonzeption von "Weimar and Nazi Germany" stellt den Rezensenten allerdings vor Probleme. Das Buch ist weder eine breite, vielleicht handbuchartige Einführung in die doppelte Epoche 1919 bis 1945 noch eine systematische und den Lesenden orientierende Erörterung der Fragen von Kontinuität und Bruch geworden. Es wirft eher Schlaglichter auf den historischen Verlauf selbst wie auf die leitende Perspektive des Bandes. Wichtige Bereiche und Aspekte bleiben unterbelichtet: Der Bereich des alltäglichen Lebens ist weitgehend beiseite gelassen worden: Mit den vielfältigen Kontinuitäten (z.B. in der Welt des Konsums oder an den Stammtischen), die jenes Gefühl von Normalität vermittelt haben, welches das relativ reibungslose Funktionieren der nationalsozialistischen Herrschaft mit ermöglichte; mit den Brüchen im alltäglichen Leben, wie dem Kriegsbeginn, Erfahrungen von Repression, den Bombenangriffen etc. Des Weiteren fehlen beispielsweise Beiträge, die sich dem Gebiet von Recht und Justiz mit dem spannungsvollen Verhältnis von Normen- und Maßnahmenstaat, dem Sektor von Jugend und Erziehung oder dem kulturellen Leben widmen. Hier zeigt sich, dass die Konzeption sich zu sehr auf die inzwischen von der Forschung relativierte Trennung von Politik-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte verlässt. Was jenseits oder quer zu diesen drei Hauptströmungen liegt, blieb weitgehend außen vor.

Der Verzicht auf annähernde Vollständigkeit wäre eher zu verschmerzen, wenn eine systematische Vertiefung hinsichtlich der Fragen nach Kontinuität und Diskontinuität geschaffen worden wäre. Geschichte besteht für jede Epoche aus Fortdauer und Wandel, das ist ihr Wesen. Die weit verzweigten und vielschichtigen Kontroversen um das Thema – wie etwa Sonderwegsthese, eliminatorischer Antisemitismus (Goldhagen), Ambivalenzen und Pathologien der Moderne – werden allenfalls nebenher angerissen. Die Lesenden erfahren nicht, wofür diese Fragen wichtig sind und welche Geschichtsbilder mit den verschiedenen Antworten einhergehen. Dadurch mangelt es an Schneisen und Wegweisern durch den Urwald auszumachender Kontinuitäten und Zäsuren, da Gewichtungen und Bedeutungen nicht greifbar sind. Hinzuzufügen bleibt aber, dass einzelnen Autoren dies für ihre spezifischen Themen zum Teil in hervorragender Weise gelungen ist.

Da die meisten der Aufsätze durchaus mit Gewinn zu lesen sind, sei der Band trotzdem empfohlen.

Erik Eichholz, Hamburg





DEKORATION

©Friedrich Ebert Stiftung | Webmaster | technical support | net edition ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE | Juni 2002