ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Ruth Ben-Ghiat, Fascist Modernities. Italy 1922 –1945, University of California, Berkeley/Cal.-London 2001, 317 S., geb., 28,50 £.

Eine der strittigsten Fragen bei der Erforschung des italienischen Faschismus gilt der Kulturpolitik des Mussolini-Regimes. In der Debatte steht der These, es habe unter dem Duce eine enge Verknüpfung zwischen Ideologie und Kultur gegeben, die Behauptung gegenüber, die Intellektuellen hätten Freiräume gefunden, in denen sie ihre kulturelle Produktion ohne sich zu kompromittieren weiter verfolgen konnten. Hierbei habe sich das Regime im Gegensatz zu Nazi-Deutschland als tolerant und von relativer Offenheit gezeigt.

Diese Debatte ist zudem von Aussagen italienischer Kulturgrößen der Nachkriegszeit geprägt, die ihre ersten Schritte zum Ruhm den verschiedenen faschistischen Kultureinrichtungen und faschistischen Kulturwettbewerben zu verdanken hatten. Stars wie Elio Vittorini sprachen sich gerne selbst vom eigenen "vizio d‘origine" (wörtlich "Ursprungslaster") frei, um ihren fließenden Übergang vom Faschismus zum Antifaschismus widerspruchslos erscheinen zu lassen. Die umfangreiche historische Forschung zum Thema macht dagegen deutlich, dass die Realität weit komplexer war, als die "crocianische Interpretation einer vom Faschismus weitgehend unabhängigen und alternativen italienischen Kultur glauben machen möchte.

In ihrer kulturgeschichtlichen Arbeit zeigt Ruth Ben-Ghiat nun auf, dass das faschistische Regime die Kultur gezielt zur Verwirklichung eines weitreichenden "social engineering" und zur Unterstützung seines Imperialismus einsetzte. Die relative Offenheit der faschistischen Kulturpolitik diente demnach dem Zweck, Expansivkräfte zu wecken und gleichzeitig selbst expansiv zu wirken. In der Frühphase des Faschismus sollte diese Toleranz auf dem Kultursektor zudem die innen- wie außenpolitische Respektabilität erhöhen und widerstrebende Intellektuelle für die Sache des Faschismus gewinnen. Durch kontrollierten Kulturaustausch hoffte das Regime, italienische Intellektuelle zur Schaffung einer modernen spezifisch italienisch-faschistischen Kultur zu inspirieren, die auch auf internationalem Parkett bestehen könnte. Besonders die Filmindustrie war angehalten, das Bild einer typisch faschistischen Modernität nach außen wie auch nach innen zu transportieren. Dieses faschistische Modernitätsmodell, das die Lösung sowohl der europaweiten Krisenerscheinungen der Zwischenkriegszeit als auch die der ungelösten Probleme der nationalen Integration versprach, begeisterte – so die Autorin – die große Mehrheit der italienischen Literaten, Künstler und Cineasten für den Faschismus. Zudem gelang es dem Regime die italienischen Intellektuellen durch ein ausgeklügeltes Patronagesystem an sich zu binden, was trotz der offiziell propagierten Offenheit einen hohen Grad an Kontrolle versprach und Abhängigkeiten schuf. Vor allem die jungen Intellektuellen gewann das Regime im Rahmen der über das Kulturleben hinausgehenden Kampagne "far largo ai giovani" (Platz machen für die Jungen) auf diese Weise.

Die Perzeption des Faschismus als eines gesunden Weges zur Modernität hätte, besonders bei der jungen Generation Anklang gefunden, die sich vor allem für das Korporationensystem, als der zentralen Komponente des faschistischen Modernitätsmodells begeistern konnte. So erkläre sich warum in den Reihen der Autoren, die in den Zeitschriften "Critica fascista", "Lavoro fascista" und sogar in Mussolinis "Popolo d’Italia" publizierten, illustre Namen italienischer Kulturstars, wie Elio Vittorini, Romano Bilenchi und Vitalino Brancati zu finden sind.

Der gesamten Arbeit Ben-Ghiats liegt eine Interpretation zu Grunde, die im Faschismus einen "ambitionierten totalitären Plan" erkennen will, der vorsah, Italien und die Italiener im Dienste einer Vision von internationaler Hegemonie neu zu erschaffen. Mittels einer Kombination aus Indoktrination, Gesetzesänderungen und Repression sollten Körper, Psyche und Verhaltensweisen der Italiener modelliert werden, um das doppelte Ziel von nationaler Einheit und internationalem Prestige und Expansion zu erreichen. Der Duce, der sich selbst als Arzt im Kampf gegen nationale Degeneration und Abstieg verstand, hätte demnach eine neue italienische Rasse von Eroberern heranzüchten wollen. Dieses Projekt, das weit über das "fare gli italiani" ("Schaffung der Italiener") des liberalen Italiens der Zeit vor 1914 hinausging, sei auch in der Kulturpolitik die grundlegende Konzeption Mussolinis und seiner Jünger gewesen. Der Kultur als Multiplikator für das faschistische Modernisierungskonzept sei die zentrale Aufgabe, zugefallen eine neue Einheit des Glaubens und des Geistes zu schaffen und die Transformation der ganzen Gesellschaft tatkräftig zu unterstützen. Hierzu hätten sich die italienischen Intellektuellen auch noch nach dem Kolonialkrieg in Ostafrika, den Rassengesetzen und dem Kriegseintritt Italiens im Jahr 1940 bereitwillig zur Verfügung gestellt. Obwohl der Abessinienkrieg 1935/36 das Ende der vermeintlichen Offenheit mit sich brachte, begrüßten die meisten Intellektuellen die anachronistische Eroberung italienischer Kolonien, und viele der jüngeren meldeten sich freiwillig an die Front. Auch für die Verbreitung des staatlichen Antisemitismus Ende der dreißiger Jahre sollen Journalisten, Schriftsteller, Archäologen, Historiker und andere kulturelle Autoritäten in großem Stil gesorgt haben. Ganz im Gegensatz zur bisherigen "Mainstream-Interpretation" hätten sich die italienischen Intellektuellen erst vom Faschismus distanziert, als Italiens militärische Schwäche in Griechenland und Afrika zutage getreten war und seine Zweitrangigkeit im Achsenbündnis immer deutlicher wurde.

Die Arbeit Ben-Ghiats rührt an vielen Mythen, vielleicht an zu vielen. Obwohl sich die Autorin als ausgezeichnete Kennerin der einschlägigen Fachliteratur erweist, bleibt ihre diskurs- und konzeptanalytische Arbeit oft an der Oberfläche. Die "faktische" Ebene – nie ganz vernachlässigt – kommt des öfteren zu kurz. So thematisiert die Autorin beispielsweise an keiner Stelle das gegen Antifaschisten oft genutzte Zwangsmittel des "Confino". Diese Verbannung in abgeschiedene Gegenden oder auf einsame Inseln mussten zahlreiche aufmüpfige Intellektuelle erleiden, – ein Kapitel, das bei einem solch allumfassenden Ansatz wie dem Ben-Ghiats nicht fehlen dürfte. Auch dem Nachweis des Konsenses auf diskursiver Ebene, den die italienischen Intellektuellen zeigten, wäre eine größere Untermauerung auf der faktischen Ebene zuträglich gewesen. Ben-Ghiats Arbeit wird man in Zukunft dennoch schwer ignorieren können, auch wenn ihre Thesen nicht in allen Punkten überzeugen. "Fascist modernities" kann in eine Reihe von Werken gestellt werden, die mit der Entlarvung der verbrecherischen faschistischen Kolonialpolitik durch Angelo del Boca und Giorgio Rochat ihren Anfang nahm und einen vorläufigen Höhepunkt mit Michele Sarfattis und Enzo Collottis Untersuchungen der faschistischen Juden- bzw. Außenpolitik fanden: Das gewaltsame und rassistische Gesicht des italienischen Faschismus, das sich lange im Schatten des brutaleren Nationalsozialismus verbergen konnte, tritt mit dem Fortschreiten der Forschung zunehmend zutage.

Steffen Prauser, Florenz





DEKORATION

©Friedrich Ebert Stiftung | Webmaster | technical support | net edition ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE | Juni 2002