ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Friedhelm Boll, Die deutsche Sozialdemokratie und ihre Medien. Wirtschaftliche Dynamik und rechtliche Formen (Politik im Taschenbuch 29). Verlag J.H.W. Dietz Nachf., Bonn 2002, 123 S., kart., 9,60 EUR.

Der Verfasser hätte wahrscheinlich, wenn das Buch drei Monate später erschienen wäre, einen anderen aktuellen Einstieg gewählt. Die Hinweise der CDU/CSU und konservativer Meinungsblätter auf den geheimnisumwitterten Medienverbund der Sozialdemokratie, schreibt Friedhelm Boll, dienten der Ablenkung von der Untersuchung des eigenen Finanzskandals. Nach den jüngsten Fällen, welche nun die SPD in Nordrhein-Westfalen zu verantworten hat, entfällt wohl die Notwendigkeit einer solchen Umwegargumentation. Aber von dieser rasch überholten Aktualisierung abgesehen: Friedhelm Boll liefert eine instruktive und konzise Skizze der sozialdemokratischen Presse als gleichermaßen publizistisches Instrument und Wirtschaftsfaktor von den Anfängen im Kaiserreich bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.

Es wird deutlich, dass die Parteipresse ein zentraler Faktor für die personelle Stabilität der frühen Sozialdemokratie war: Schon 1876 sicherten 23 Zeitungen und ein Unterhaltungsblatt den wichtigsten beruflichen Rückhalt des Führungspersonals; der technische und redaktionelle Bereich der Parteipresse zählte um die Jahrhundertwende etwa 1.800 Beschäftigte, 1908 registrierte man doppelt so viele Abonnenten (1,1 Millionen) wie Mitglieder. Die Blüte der sozialdemokratischen Presse wurde in der Weimarer Zeit kaum mehr und nach dem Zweiten Weltkrieg nur noch in der Zeit vor der Währungsreform erreicht und übertroffen – danach setzte ein Niedergang ein, der in den 1970er-Jahren zu einer wirtschaftlichen Krise, einer starken finanziellen Belastung der SPD und der Veräußerung einzelner Unternehmen führte. Heute werden die Partei-Beteiligungen an Mediengruppen treuhänderisch von der Deutschen Druck- und Verlagsgesellschaft m.b.H. verwaltet, die jeweiligen Gewinnausschüttungen in den Rechenschaftsberichten der SPD ausgewiesen.

Einen inhaltlichen Schwerpunkt legt Boll auf die Rechtsformen der Unternehmungen, eine eher spröde Materie, die aber übersichtlich und kompetent dargestellt wird. Es waren demnach vor allem die repressiven Maßnahmen des Kaiserreichs, die es nahe legten, den Besitz der parteieigenen Medienunternehmen nicht direkt durch einzelne Funktionäre oder den Vorstand der Partei selbst, sondern treuhänderisch verwalten zu lassen und damit dem Zugriff des Staates zu entziehen, wie Bebel auf dem Hamburger Parteitag 1897 betonte (das Dokument ist zusammen mit einigem statistischem Material im Anhang abgedruckt). Auch später wurde diese vorteilhafte Form der Vermögensverwaltung beibehalten. Hinsichtlich der Rechtsformen selbst dominierten bald "Gesellschaften mit beschränkter Haftung", während Formen genossenschaftlichen Eigentums seltener vorkamen. Zu einer Holding, der "Konzentration AG", wurden die meisten Unternehmen 1925 zusammengeschlossen. Mit dieser Maßnahme sollte vor allem die Parteizentrale statt der lokalen Parteiorganisationen Besitzer werden, nachdem die Spaltung der Sozialdemokratie im Ersten Weltkrieg zu zahlreichen Rechtsstreitigkeiten und Verlusten von Druckereien und Zeitungen geführt hatte. Dieser Prozess der Zentralisierung zog sich über Jahre hin und wurde durch die nationalsozialistische Aneignung des SPD-Vermögens gestoppt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde am Prinzip der Treuhänderschaft angeknüpft, allerdings war die Holding zunächst weniger straff organisiert als vor 1933, eher Service-Angebot als Unternehmenszentrale; erst 1960 setzte eine erneute Straffung ein.

Friedhelm Boll hat ein nützliches Buch nicht nur für aktuelle Informationsbedürfnisse, sondern auch als Orientierung einer noch zu schreibenden Geschichte der sozialdemokratischen Medien geschrieben.

Axel Schildt, Hamburg





DEKORATION

©Friedrich Ebert Stiftung | Webmaster | technical support | net edition ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE | Juni 2002