ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Birgit Pape, Kultureller Neubeginn in Heidelberg und Mannheim 1945-1949, C. Winter Verlag, Heidelberg 2000, 397 S., kart., 50 EUR.

Mit der Verfilmung und Erschließung der Akten der amerikanischen Militärregierung für Deutschland in den Achtzigerjahren und dem darauf aufbauenden Projekt des Instituts für Zeitgeschichte zur Entwicklung von "Politik und Gesellschaft in der US-Zone 1945 bis 1949" hat eine Phase intensiver Forschung begonnen, sodass wir heute ausgesprochen gut über die formativen Jahre zwischen der totalen Niederlage des Deutschen Reiches und Gründung der Bundesrepublik Deutschland informiert sind. Von Anfang an spielte dabei die Frage eine zentrale Rolle, welche Funktion der amerikanischen Besatzungsmacht beim Aufbau einer demokratischen Staats- und Gesellschaftsordnung zukam, mit welchen Leitbildern die verantwortlichen Stäbe und Offiziere der Militärregierung an die Arbeit gingen, welche Reformprojekte Erfolg hatten und welche nicht. Während sich die Historiographie dabei lange Zeit intensiv mit – im weiteren Sinne – politischen Institutionen und Organisationen beschäftigt hat, blieben viele Aspekte des kulturellen Lebens in den ersten Nachkriegsjahren ebenso unberücksichtigt wie das Bündel entsprechender Initiativen der Besatzungsmacht, das man durchaus als "amerikanische Kulturoffensive" bezeichnen kann, wie Maritta Hein-Kremer dies 1996 mit Blick auf die US-Information Centers in Westdeutschland getan hat.

In ihrer 1998 von der Universität Heidelberg angenommenen Dissertation beschäftigt sich Birgit Pape mit lange vernachlässigten Aspekten des kulturellen Neubeginns, wobei sie diese Thematik mit dem regionalgeschichtlichen Zugriff verbindet, der gerade für die Jahre der Besatzung seine Fruchtbarkeit immer wieder unter Beweis gestellt hat. Im Mittelpunkt ihrer Untersuchung stehen mit Heidelberg und Mannheim zwei benachbarte Städte im Westen der amerikanischen Besatzungszone, die auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam hatten – hier die ehrwürdige Universitätsstadt, die vom Luftkrieg weitgehend verschont geblieben war, dort das schwer zerstörte Industriezentrum. Das Ziel der Studie ist es, für beide Städte "die Ausgangssituation nach Kriegsende, die kulturpolitischen Vorgaben der Besatzungsmacht sowie die Programme, Inhalte und Erfolge einzelner Kulturbereiche" zu untersuchen (S. 26) und als Ergebnis "eine umfassende Analyse des kulturellen Neubeginns in Heidelberg und Mannheim" zu liefern (S. 27). Dass die Autorin – dies sei hier vorweg genommen – dieses selbst gesteckte Ziel verfehlt, liegt vor allem daran, dass sie die Sektoren Schule und Hochschule aus der Untersuchung ausklammert. Damit verzichtet Birgit Pape nicht nur darauf, zwei Teilbereiche ihres Themas in die Untersuchung einzubeziehen, die sowohl für den kulturellen Neubeginn als auch für die Demokratisierungspolitik der amerikanischen Besatzungsmacht von zentraler Bedeutung waren, sondern sie nimmt es auch in Kauf, dass einer der Kristallisationspunkte kulturellen Lebens in ihrem Untersuchungsraum – die renommierte Universität Heidelberg – in eine bedauerliche Randlage gerät.

Die Autorin behandelt also, anders als es der Titel des Buches suggeriert, lediglich ausgewählte Teilbereiche des kulturellen Neubeginns in Heidelberg und Mannheim. Sie konzentriert sich – nach einem Überblick über die wirtschaftliche und soziale Lage in beiden Städten bei Kriegsende, einer kurzen Schilderung des kulturellen Lebens vor 1945, einer Analyse der Kulturpolitik der amerikanischen Besatzungsbehörden unter besonderer Berücksichtigung der Information Control Division und einer Skizze über die ersten Initiativen auf deutscher Seite – vor allem auf die Sektoren Publizistik, Verlagswesen und Theaterleben. Im Kapitel über den publizistischen Neubeginn untersucht Birgit Pape neben den alliierten Informationsblättern hauptsächlich die von den Besatzungsbehörden lizenzierten Tageszeitungen (insbesondere die "Rhein-Neckar-Zeitung" und den "Mannheimer Morgen") und Zeitschriften wie "Die Wandlung", wobei sie der Inhaltsanalyse breiten Raum gibt. Das Kapitel über das Verlagswesen beschäftigt sich überwiegend mit Heidelberger Verlagen, da Mannheim auf diesem Feld wenig zu bieten hatte, und setzt einen Schwerpunkt bei den Aktivitäten des "Buchunternehmers" (S. 347) Lambert Schneider, der in Heidelberg nicht nur als Verleger, sondern in vielfältiger Form auch als Protagonist des kulturellen und politischen Neubeginns wirkte.

Das letzte große Kapitel ist dem Theaterleben gewidmet, wobei Birgit Pape sowohl bekannte Bühnen wie die Kammerspiele in Heidelberg und das Nationaltheater in Mannheim als auch kleinere Theater in den Blick nimmt. Die Autorin arbeitet dabei nicht nur das Bemühen der Bühnen heraus, nach zwölf Jahren totalitärer Herrschaft wieder Anschluss an die internationale Dramatik zu gewinnen, sondern betont auch die Bedeutung der Währungsreform als Zäsur, da die dadurch ausgelösten ökonomischen Zwänge auch für die Vielfalt des Angebots und die künstlerische Ausrichtung der Bühnen nicht ohne Folgen geblieben seien. In diesem Kapitel geht Birgit Pape auch in einem kurzen Ausblick auf die Jahre bis 1955 ein. Solche Ausblicke hätte man sich öfter gewünscht, zumal die amerikanischen Bemühungen, den Aufbau einer demokratischen Gesellschaftsordnung zu unterstützen, nach 1949 nicht etwa eingestellt, sondern fortgesetzt und sogar intensiviert wurden, wie Hermann-Josef Rupieper in seinem 1993 erschienenen Buch über "Die Wurzeln der westdeutschen Nachkriegsdemokratie" gezeigt hat, auf das Birgit Pape aber offensichtlich nicht zurückgegriffen hat.

Zwei Kapitel über die "Aktionsgruppe Heidelberg zur Demokratie und zum freien Sozialismus" und über "wichtige Debatten im Heidelberger und Mannheimer Geistesleben" schließen die Darstellung ab. Während Letzteres fast wie ein Fremdkörper wirkt, hat Ersteres eine wichtige Funktion, da es Exponenten des kulturellen Lebens Heidelbergs wie Lambert Schneider oder Dolf Sternberger auch als politisch Handelnde zeigt und so die Dimensionen Politik und Kultur miteinander verknüpft. Allerdings hätte Birgit Pape besser darauf verzichtet, der "Aktionsgruppe" den ebenso anachronistischen wie unzutreffenden Begriff "Bürgerinitiative" (S. 313) überzustülpen.

In ihrer zusammenfassenden Analyse betont die Autorin abschließend, dass sich das kulturelle Leben in beiden Städten nach Kriegsende rasch zu entfalten und zu erneuern begonnen habe, wobei vor allem in Heidelberg die Vielfalt der Aktivitäten beeindruckend gewesen sei. Sowohl in Heidelberg als auch in Mannheim habe es kein Diktat der amerikanischen Kulturoffiziere gegeben, die den kulturellen Neubeginn allerdings vielfältig unterstützt hätten. Ein solches Diktat sei schon deshalb nicht notwendig gewesen, weil die Ziele der Besatzungsmacht den Vorstellungen der kulturell aktiven deutschen Intellektuellen entsprochen hätten, die demokratiebereit gewesen seien und keine Sympathien für den Nationalsozialismus gehegt hätten. Allerdings seien Leserschaft und Publikum mit den Überzeugungen und Anregungen der führenden Kulturschaffenden in Heidelberg und Mannheim nicht immer einverstanden gewesen. Angesichts dieser Befunde ist es nur konsequent, dass Birgit Pape für ihren Untersuchungsraum die These als "einseitig und zum großen Teil unzutreffend" (S. 354) zurückweist, das kulturelle Leben habe nach 1945 das Kainsmal der Restauration getragen. Allerdings ginge es zu weit, so die Autorin weiter, von einer revolutionären Zäsur auszugehen, wie etwa das Theaterleben in beiden Städten zeige, wo sich Kontinuität auf personell-organisatorischer Ebene und Diskontinuität im Bereich der Programmgestaltung die Waage gehalten hätten.

Um den kulturellen Neubeginn in Heidelberg und Mannheim zu beschreiben, greift Birgit Pape auf einen Begriff zurück, den sie der 1992 erschienenen Darstellung von Ulrich M. Bausch über "Die Kulturpolitik der US-amerikanischen Information Control Division in Württemberg-Baden" zwischen 1945 und 1949 entnommen hat: Den Begriff der "Transformationsgeschichte", der nach ihrer Ansicht der Gemengelage von Tradition und Neubeginn am ehesten Rechnung trägt.

Thomas Schlemmer, Rom





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