ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Damian van Melis´ Untersuchung, aus einer Münsteraner Dissertation hervorgegangen, leistet mehr als der Titel verspricht. Dargestellt wird, wie mit dem Instrument der Entnazifizierung ein vollständiger personeller und struktureller Umbruch in der Verwaltung des durch Befehl der Besatzungsmacht neu entstandenen Landes erzwungen wurde. Die soziale Herkunft geriet schnell zum entscheidenden Kriterium für eine Übernahme in die öffentliche Verwaltung. Nur einen Monat nach Bildung der Landesverwaltung, im August 1945, zeigten sich bald erfolgreiche Bemühungen, die zuvor lokal betriebene und forcierte Entnazifizierung systematisch anzuleiten und zu kontrollieren. Hans Warnke, im Schweriner Kabinett für Inneres zuständig, erreichte früh eine "monopolartige Zuständigkeit" (S. 67) für das Personalwesen. Er nutzte sie systematisch für die Umgestaltung der Verwaltungsstruktur und die Herausbildung einer kommunistischen Hegemonie. Deren Kern war die Zentralisierung der Personalpolitik im gesamten Lande, auch für die Kreise, in seinem Ressort. Im Kreis Güstrow hatte Warnke schon zuvor sein "Modell" in die Realität umsetzen können.

Bis Ende September 1945 waren nach Interventionen des Chefs der Zivilangelegenheiten der Militäradministration alle nominellen und aktiven NSDAP-Mitglieder aus den Verwaltungen entlassen. Lediglich Spezialisten wurden temporär (zur Einarbeitung ihrer Nachfolger) noch geduldet. Im November lief auch für diese die Frist ab: Die Sowjets hatten eindeutige Anweisungen erlassen. Diese Phase der Entnazifizierung war früher abgeschlossen als in anderen Ländern der SBZ, aber auch ungleich rigider durchgeführt worden.

Als Anfang 1946 eine neue Phase der Entnazifizierung begann, die nicht mehr die Mitgliedschaft in NS-Organisationen als einziges Kriterium in den Mittelpunkt stellte, war für das Personalamt unter Leitung von Warnke eine "ideale Konstellation" (S. 166) erreicht: der Möglichkeit "unkontrollierbarer Eingriffe in alle anderen Verwaltungsbereiche". Reintegration und Umgestaltung rückten in das Zentrum der Aufmerksamkeit. Die zweite große Etappe der Entnazifizierungspolitik setzte im Sommer 1946 ein, – nachdem die eigentliche Aufgabe ja längst erledigt war. Grundlage bildeten eine Direktive des Alliierten Kontrollrates sowie außenpolitische Interessen der Besatzungsmacht. Dennoch kam der Befehl, Entnazifizierungskommissionen zu bilden, außerordentlich kurzfristig und überraschend. Diese vom September an arbeitenden Gremien hatten nunmehr auch das Personal größerer Betriebe zu prüfen. Eine "Entlassungswelle" wie im Jahre 1945 bewirkten die Kommissionen nicht. Drei Monate nach ihrer Gründung hatten die Kommissionen insgesamt nur wenig mehr als 100 Personen entlassen, darunter aber 14 aus der (verstaatlichten) Industrie. Gleichwohl blieben die Kommissionen bestehen. Im August 1947 gab ihnen Erich Kundermann, faktisch Personalchef des Landes, einen neuen, weiter gehenden Sinn. Sie sollten als Verhaltens-Kontroll-Instanz auch in der Zeit des Wiederaufbaus dienen. Die Entnazifizierungs-Ausschüsse konnten danach, in Übereinstimmung mit Ulbricht, als Gesinnungs- und Überwachungsausschüsse fortgeführt werden. Dem entsprach, dass nicht mehr NS-Belastungen oder -Mitgliedschaften geahndet wurden; das Verfahren richtete sich "immer offener gegen gegenwärtige politische Gegner" (S. 227).

Das offizielle Ende der Entnazifizierung auf Befehl der Sowjetischen Militäradministration im Februar 1948 zeigte die veränderte Weltlage an: Den ehemaligen PGs wurde eine "ehrenvolle Rückkehr in respektable gesellschaftliche Positionen" versprochen (S. 246) und zugleich die Politik der Westmächte angeprangert, weil dort die alten Eliten in ihren Funktionen verblieben waren. Begleitet wurde das Verfahren auch durch einen hier für Mecklenburg in den Grundzügen analysierten Strukturwandel von Polizei und Justiz, mündend in einer exzessiven Politisierung. So wundert nicht, wenn in vielen politischen – und nicht juristischen – (Straf-) Verfahren Abstimmungen mit der politischen Polizei (der K 5) gesucht wurden. Diese Akten dienten später nicht selten der Verfolgungspraxis des MfS.

Die Studie unterstreicht eindringlich den instrumentellen Charakter der Entnazifizierung. Es ging der KPD/SED "um die Errichtung der eigenen Herrschaft, um gesellschaftliche Strukturveränderungen und um die Zurückdrängung oppositioneller oder gar widerständiger politischer Bestrebungen" (S. 330). Herausgehoben wird die Priorität des sozialen Umbruchs durch ein wesentliches Detail: Flüchtlinge und Vertriebene, die nach 1945 zeitweise fast die Hälfte der Bevölkerung des Landes stellten, wurden von der Entnazifizierung weitgehend ausgenommen. Auch auf die in München aufgefundene Mitgliederkartei der NSDAP griff die Personalverwaltung des Landes kaum zurück. Bei allen Verdiensten der Untersuchung ist eine wiederkehrende Aussage des Verfassers problematisch. Eine "erhebliche Eigenständigkeit" der Länder und Provinzen der SBZ hat es zu Beginn der Besatzungszeit wohl kaum gegeben (S. 328). Zu rigide waren die Vorgaben und Kontrollen der Besatzungsmacht, die der ersten ernannten Landesregierung lediglich die Rolle einer Auftragsverwaltung im Interesse der SMA zugewiesen hatte. Dass hingegen die Besatzungspolitik in den einzelnen Ländern uneinheitlich war, bleibt davon unberührt.

Der von Damian van Melis besorgte Sammelband kreist verständlicherweise um das Themenspektrum seiner Dissertation – und ist doch in vielerlei Hinsicht so heterogen wie andere Tagungsbände. Er gibt die Vorträge einer Tagung aus dem Jahr 1997 in Wismar wieder. Unglücklich ist schon der Titel: Vom Sozialismus "in den Farben der SED" ist kaum die Rede. Die Staatspartei, fraglos neben der Besatzungsmacht die entscheidende Trägerin der sich herausbildenden und festigenden Diktatur, wird nicht behandelt. Den umfangreichsten Einzelbeitrag steuert der Herausgeber selbst bei: zum Aufbau der Landesverwaltung. Ergänzt wird dieser Beitrag durch einige weitere "sachnahe" Themen. So behandelt Richard Bessel die Volkspolizei. Diese verfügte nur über bescheidene personelle Ressourcen, eine kümmerliche finanzielle und technische Ausstattung und war (daher) angesichts der Nachkriegs-Kriminalität völlig überfordert. Rolf Bartusel kommt zu der unerwarteten Konsequenz, dass das Rechtswesen im Lande trotz des "Volksrichter"-Einsatzes bis 1952 keine "wirkliche Suprematie" der SED über den Justizapparat zugelassen habe. Souverän zeichnet Dierk Hoffmann die Herausbildung einer einheitlichen Sozialversicherung nach. Zwei Beiträge (Michael Schwartz und Michael Grottendieck) behandeln das in Mecklenburg-Vorpommern selbstverständlich vorrangige Problem der Eingliederung der Flüchtlinge, begleitet von einer Analyse der Bodenreformkommissionen und deren Beitrag zur politisch-gesellschaftlichen Transformation (Sabine Marquardt).

Ein umfangreicherer Beitrag (Theresa Bauer) befasst sich mit Gründung und Entwicklung der Demokratischen Bauernpartei in Mecklenburg-Vorpommern. Die "künstlich herbeigeführte Gründung" (S. 317) füllte zwar die von der SED vorgezeichnete Transmissionsfunktion aus, organisationspolitisch blieb die Bauernpartei selbst im Agrarland Mecklenburg eine Randgröße. Zwei Beiträge liegen im Schnittfeld von Industrialisierungs- und Sozialgeschichte und gründen sich auf die Dissertationen der Verfasser. Andreas Wagner behandelt kenntnisreich Arbeit und Alltag in der Rostocker Brauerei, Katrin Möller beleuchtet den Aufbau der Werftindustrie. Eine kompakte Analyse zur Zerstörung des bürgerlichen Milieus in der Universitätsstadt Greifswald steuert Helge Matthisen bei. "Es dauerte einige Jahre und erforderte einen hohen Aufwand, bis das bürgerliche Milieu und seine Partei erfolgreich zurückgedrängt war" (S. 388). Wie weit das für andere Gemeinden als für eine alte Universitätsstadt gültig ist, bleibt noch zu untersuchen.

Insgesamt ist erfreulich, dass manche Aspekte der mecklenburgischen und vorpommerschen Landesgeschichte nun größere Aufmerksamkeit in der Forschung gefunden haben. Gravierende Lücken bleiben gleichwohl.

Werner Müller, Rostock





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