ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Christina Vanja/Helmut Siefert (Hrsg.), "In waldig-ländlicher Umgebung..." Das Waldkrankenhaus Köppern: Von der agrikolen Kolonie der Stadt Frankfurt zum Zentrum für Soziale Psychiatrie Hochtaunus (=Historische Schriften des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen, Quellen und Studien, Band 7), Euregio-Verlag, Kassel 2001, 334 Seiten, 70 Abbildungen, geb., 44,80 DM.

Zu besprechen ist eine wissenschaftlich ausgerichtete Festschrift zum 100-jährigen Gründungsjubiläum des Waldkrankenhauses in Köppern und zum 25-jährigen Bestehen des Bamberger Hofes in Frankfurt am Main. Das heutige hochmoderne "Zentrum für Soziale Psychiatrie Hochtaunus GmbH" kann dabei auf eine sehr wechselvolle Geschichte zurückblicken, die von den Autorinnen und Autoren des Bandes mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung nachgezeichnet wird.

Agrikole Kolonien wurden Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts aus therapeutischen Zwecken gegründet, mit deren Hilfe man Kranke zum einen "die Möglichkeit kräftigender Arbeit im Freien" (S. 36) bieten und sie damit in die landwirtschaftliche Arbeit integrieren wollte. Zum anderen trugen die Kranken zur Nahrungsversorgung der Anstalt bei. Die agrikole Kolonie in Köppern, angesiedelt in der Hüttenmühle im Köpperner Tal im Taunus, wurde 1901 als "Filiale B" der Frankfurter "Anstalt für Irre und Epileptische" gegründet. Die ersten Patienten waren Alkoholiker, die sich durch die Arbeit an der frischen Luft geistig und körperlich regenerieren sollten. Damit wurde eine neue Form der Hilfe für Süchtige eingerichtet, die bis dato in der Regel von der Polizei aufgelesen und in "Irrenanstalten" eingewiesen worden waren. In solchen Verwahranstalten standen sie zwar unter ärztlicher Überwachung, eine besondere Therapie wurde ihnen aber nicht zuteil. Die in Köppern nunmehr angewandte Therapie ging vor allem auf das Wirken des ersten Klinikleiters Dr. Emil Sioli zurück, der damit eine der ersten öffentlichen Heilstätten für mittellose alkoholkranke Menschen schuf. Sein Therapiekonzept war stark von der Naturheilkunde geprägt, die zu diesem Zeitraum nicht nur in der Psychiatrie an Einfluss gewann.

Dabei besaß die Anstalt in Köppern, wie die Herausgeber in der knappen Einleitung betonen, den "Charakter eines Sanatoriums" (S. 13), in dem allerdings körperliche Arbeit als wichtiges Therapeutikum angesehen wurde. Bereits in der Planung gingen die Verantwortlichen davon aus, in Köppern eine größere Heilanstalt anzusiedeln. Dies führte dazu, nachdem auch immer mehr Nervenkranke im "Zeitalter der Nervosität" (Joachim Radkau) den Weg nach Köppern gefunden hatten, dass die Anstalt bis 1913 zu einer Nervenheilanstalt ausgebaut wurde.

Der Erste Weltkrieg brachte auch für die Köpperner Anstalt Veränderungen mit sich, wurde sie doch in ein Reservelazarett umgewandelt. Patienten waren nun, auf Grund der Kriegsereignisse, psychisch erkrankte Soldaten. Dabei bildeten die so genannten "Kriegszitterer" eine große Patientengruppe, und Michael Putzke und Herwig Groß zeigen die Therapieversuche auf, mit denen die Ärzte diesem Leiden Einhalt gebieten wollten. David Arnold, Konrad und Ulrike Maurer, Karen Nolte und Heinz-Peter Schmiedebach beleuchten in ihren Beiträgen die weiteren Arbeits- und Therapieschwerpunkte der Klinik in diesem Zeitraum, immer eingebettet in die allgemeinen historischen und medizingeschichtlichen Entwicklungslinien.

In der Weimarer Republik diente die Anstalt Köppern als Heilanstalt und als Alters- und Erholungsheim für Frauen, galt aber hinsichtlich der Konzeption als rückständig. Dies brachte die Anstalt in wirtschaftliche Nöte, zumal sich mit dem Bau einer Nervenklinik an der Universität in Frankfurt ein wichtiges Aufgabengebiet verlagerte. Fortan wurden nur noch chronisch Kranke und alte Menschen aufgenommen. Veränderungen unterschiedlicher Art brachte auch die nationalsozialistische Machtübernahme. Wie andernorts auch, wurden zuerst die jüdischen Beschäftigten gemäß den Bestimmungen des "Berufsbeamtengesetzes" entlassen. Des Weiteren diente die Anstalt auch während des Zweiten Weltkrieges als Lazarett. Um Platz für die verwundeten Soldaten zu schaffen, wurden ca. 350 Patienten verlegt, wobei die Hälfte diese Strapazen nicht überlebte. Die Einrichtung war des Weiteren auch als "Krankenhaussonderanlage Aktion Brandt" vorgesehen. Deshalb wurde aus der Köpperner Anstalt ein Allgemeinkrankenhaus, das als Ausweichkrankenhaus vor allem für die bombardierte Großstadt Frankfurt dienen sollte. In diesem Kontext erhärtet sich der Verdacht, dass auch in Köppern ein enger Zusammenhang zwischen der Beschaffung des eingeforderten Krankenhausraumes und der Ermordung von alten und kranken Patienten der Anstalt bestand. Die Beiträge von Susanne Hahn, Bernd Vorlaeufer-Germer, Peter Sandner und Christina Vanja beleuchten dieses bislang weitgehend vernachlässigte Kapitel der Anstaltsgeschichte sehr differenziert und die von ihnen erarbeiteten Befunde "legen es nahe, zukünftig auch diese hessische Einrichtung zum Kreis der nationalsozialistischen Krankenmordanstalten zu zählen" (S. 17).

Das 1943 eingerichtete Allgemeinkrankenhaus existierte bis zu Beginn der 1960er-Jahre. 1967 übernahm der Landeswohlfahrtsverband Hessen die Einrichtung und gründete das psychiatrische Waldkrankenhaus Köppern mit 325 Betten, das sich ab Anfang der 1980er-Jahre auch auf die Behandlung von Suchtkranken konzentrierte.

Die in der Festschrift versammelten Beiträge erörtern jedoch nicht nur die historischen Aspekte der Anstalt, sondern beschreiben auch umfassend das Bild der heutigen Einrichtung, ihrer Beschäftigten und ihrer aktuellen Situation. Gerade diese unterschiedliche Herangehensweise und die verschiedenen Blickrichtungen auf die Köpperner Anstalt in Geschichte und Gegenwart geben der Festschrift einen besonderen Charakter. Daher ist der Sammelband insgesamt eine verdienstvolle Arbeit, fern den reinen "Erfolgsgeschichten" anderer Festschriften. Er kann auch dazu beitragen, den Blick für bislang weitgehend vernachlässigte Kapitel der Anstaltsgeschichte zu schärfen.

Wolfgang Woelk, Düsseldorf





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