ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Helmut G. Asper, "Etwas Besseres als den Tod...". Filmexil in Hollywood. Porträts, Filme, Dokumente, Schüren, Marburg/Lahn 2002, 680 S., brosch., 24,80 EUR.

Mit bewundernswerter Konsequenz beschäftigt sich Helmut G. Asper, Dozent an der Universität Bielefeld, seit Jahren mit deutschen und österreichischen Exilanten aus den Jahren des Nationalsozialismus, insbesondere mit solchen aus dem Filmbereich, aber darüber hinaus – oft gibt es da ja Überschneidungen – auch mit Theaterleuten und Schriftstellern. Er bewegt sich damit im Grenzbereich zwischen Sozial- und Politikwissenschaft auf der einen und Literatur- und Medienwissenschaft auf der anderen Seite.

Aspers buchstäblich grundlegende Arbeit besteht in der oft mühevollen und aufwändigen Recherche. Man hat dem Wissenschaftler gelegentlich vorgeworfen, er würde unzuverlässige, in mündlichen Gesprächen oder aus privaten Niederschriften vermittelte Informationen allzu glaubensselig und unüberprüft als Tatsachen darstellen. Es gehört zum Wesen der Exilforschung, dass manche Angaben nur noch aus unzuverlässigen Quellen zu bekommen sind. Soll man ganz auf sie verzichten? Soll man, nach der zeitweiligen Überschätzung der oral history, zurückkehren zu einer Beschränkung auf das eindeutig Nachweisbare?

Das Problem bleibt bestehen. Aber es verliert an Schärfe, wenn der Leser zur Kenntnis nimmt, worauf er sich einlässt. Das gelegentlich Anekdotische, im strengen wissenschaftlichen Sinne nicht unbedingt Abgesicherte macht gerade auch den Reiz von Aspers Arbeiten aus, füllt sie mit Lebensnähe und rückt die Menschen, deren Schicksale Asper beschäftigen und bewegen, dem Leser auch emotional näher. Auch von der Rezeption her betrachtet bewegen sich diese Arbeiten also auf der Grenzlinie zwischen dem politisch Gewollten – der Empathie für die mehr und mehr vergessenen Opfer deutscher Verfolgung – und dem wissenschaftlich Belegten. Und Aspers jüngstes Werk wendet sich erklärtermaßen an ein breites Lesepublikum, nicht nur an "den kleinen Kreis von Filmhistorikern und –wissenschaftlern" (S. 658).

Der Band, der seinen so trefflichen Titel den Bremer Stadtmusikanten entlehnt hat, basiert auf einer Artikelserie, die Asper in der Zeitschrift film-dienst veröffentlicht und für das Buch überarbeitet und ergänzt hat. In einzelnen Kapiteln, die mit Dokumenten und mit Bildern nicht geizen – in manchen Abschnitten lässt Asper die mit viel Fleiß aufgefundenen Dokumente auch für sich sprechen –, findet man Porträts von Regisseuren, Produzenten, Schauspielern, Kameraleuten, Cuttern, Filmarchitekten, Drehbuchautoren, Choreografen und Komponisten, ohne die Hollywood nicht wäre, was es in unserem Bewusstsein geworden ist. Aspers umfangreiches Kompendium macht deutlich, wie sehr diese amerikanischste aller amerikanischen Einrichtungen von Europäern geformt wurde, die freilich, wenn sie überleben wollten, die amerikanischen Spielregeln sehr schnell befolgen lernten. Dass die meisten von ihnen Juden waren, ist offensichtlich eine Folge der nationalsozialistischen Politik. Dass Hollywood auch heute noch vorwiegend von Juden dirigiert werde, gehört hingegen in den Bereich hartnäckiger Legenden.

Asper kann belegen, dass einige der exilierten Filmkünstler und Schriftsteller trotz vielfacher Klagen in Hollywood erfolgreich waren. Was insbesondere die Schriftsteller schmerzte, war, "dass niemand sie in den USA kannte und niemand ihre Bücher las" (S. 451). Sie mussten oft ganz von vorne anfangen, was ihnen umso schwerer fiel, wenn sie bereits in fortgeschrittenem Alter waren. Dazu kamen Sprach- und Mentalitätsprobleme und Schwierigkeiten mit dem Studiosystem Hollywoods.

Paradigmatisch für viele Biografien ist das Schicksal von Curt Courant. Er gehörte zu den bedeutendsten Kameramännern des deutschen Stummfilms. Im amerikanischen Exil fand er praktisch keine Arbeit mehr, weil er nicht bereit war, als Lehrling und Filmeinleger anzufangen, um in die Gewerkschaft, die Amerikanische Union der Kameraleute, aufgenommen zu werden, was Voraussetzung für eine Anstellung war.

Asper erinnert an Persönlichkeiten der Filmgeschichte, die heute fast vergessen sind, wie zum Beispiel der Regisseur Gerd Oswald, der nach dem Krieg in den USA und in Deutschland Filme fürs Kino und fürs Fernsehen drehte. Zu den zahlreichen Entdeckungen, die Aspers Buch ermöglicht, gehört der Wiener Hans J. Salter, der sich als Komponist für Horrorfilme profilieren konnte. Das dauerte freilich seine Zeit und musste erarbeitet werden. Wie viele seiner exilierten Kollegen blieb Salter auch nach Kriegsende in den USA. Bereits 1942 hatte er die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen. Auch andere Emigranten konnten nach fünf Jahren Aufenthalt in den USA die Staatsbürgerschaft erwerben.

Manche – auch das lässt sich Aspers Darstellung entnehmen – wurden dem FBI schon in den frühen Vierzigerjahren als wirkliche oder angebliche Kommunisten verdächtig. Ein paar Jahre später landete Paul Henreid, der Victor Laszlo aus Casablanca und längst amerikanischer Staatsbürger, auf der "Schwarzen Liste" des Komitees für unamerikanische Aktivitäten. Ein Kapitel für sich – auch in Aspers Buch – sind die Versuche der Exilanten, Hollywood für den Kampf gegen Nazideutschland zu gewinnen. In den Dreißigerjahren, stellt der Autor fest, gab es in Hollywood "so gut wie keine Möglichkeiten, offene antifaschistische Filme, d.h. Filme, die sich unmittelbar mit dem ’Dritten Reich’ befassten, zu drehen" (S. 521). Wirtschaftsinteressen überwogen gegenüber politischen Überlegungen. Der deutsch-jüdische Aufbau klagte in einem Artikel vom November 1944, der bei Asper wiedergegeben ist: "Man muss sich wirklich fragen, warum jüdische Produzenten Themen wie ’Das Lied der Bernadette’ ohne weiteres verfilmen, aber nicht genügend Mut besitzen, einen Film über das Epos der Warschauer Ghettoschlacht herzustellen" (S. 522).

Von den Feindschaften unter Künstlern und von despektierlichen Äußerungen von Exilanten über andere Exilanten kann man immer wieder lesen. Sie werden genussvoll kolportiert. Immerhin entnimmt man Aspers Buch, dass es auch Solidarität gab, wo Not herrschte. Unter dem Titel "Emigranten helfen Emigranten" beschreibt er die Aktivitäten des European Film Fund. Dieser EFF hat lang über 1945 hinaus existiert. Das erzwungene Exil war längst vorüber. Seine Spuren reichen bis in die Gegenwart.

Thomas Rothschild, Stuttgart





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