ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Michael Fröhlich (Hrsg.), Das Kaiserreich. Portrait einer Epoche in Biographien, Primus Verlag, Darmstadt 2001, 463 S., geb., 39,90 EUR.

Eine Epoche in 40 Biographien porträtieren - kann man das? Man könnte es vielleicht, wenn man sich klar machte, was ihr Charakter war, und dann versuchte, 40 besonders charakteristische Persönlichkeiten auszuwählen. Beides scheint hier entweder nicht versucht worden oder nicht gelungen zu sein. Unter den 40 sind gerade zwei Frauen - von denen eine zwar sehr bekannt, aber gewiss nicht repräsentativ für das deutsche Kaiserreich ist. Musiker fehlen ganz - trotz Wagner, Brahms und Richard Strauß. Für die Maler steht Liebermann (aber weder Menzel noch Werner), für die Schriftsteller Gerhart Hauptmann und die Brüder Mann (Fontane nicht). Katholiken - immerhin ein Drittel der damaligen Deutschen - kommen nicht vor, auch Windthorst nicht. Parteipolitiker nur in problematischer Auswahl, die großen Liberalen der Reichsgründungszeit (Bennigsen, Lasker, Bamberger) fehlen, von den Späteren Erzberger, Naumann, Ebert. Die Auswahl der Wirtschaftsführer ist sehr einseitig, Siemens, Ballin, Rathenau finden sich wenigstens im Register, Fritz Haber nicht (dafür eine bisher noch nirgends erwähnte Frau namens "Historiker,

Friederike"). Dafür gibt es jede Menge Kaiser, Reichskanzler, Militärs - und Historiker, die zwar alle wichtig waren oder sind, von denen einige aber doch wohl wichtigeren Repräsentanten des Kaiserreichs den Platz wegnehmen. Antisemiten, Alldeutsche fehlen wieder ganz, dafür bekommen Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg je einen Artikel (und werden darin ganz verschieden beurteilt). Hat etwa die Verfügbarkeit von kompetenten Autoren die Auswahl bestimmt? Im Falle des (fehlenden) Eugen und des (aufgenommenen, aber so gut wie unbekannten) Albert Richter könnte man fast auf diese Vermutung kommen.

Historiker, auch rezensierende, sollten nicht ungerecht sein. Ein "Porträt einer Epoche" (war das Kaiserreich eine "Epoche"?) bekommen wir in diesen 40 Biographien doch nur in problematischer Ausführung, aber die (leider nicht bebilderten) Biographien, fast immer von ersten Kennern geschrieben, sind fundiert, lesbar, zu weiterer Lektüre anregend (die durch Quellen- und Literaturangaben erleichtert wird). 40 gelungene Porträts also, die sich zwar nicht zu einer überzeugenden Gesamtdarstellung fügen wollen, aber unser Bild des Kaiserreichs sehr bereichern.

Bernhard Mann





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