ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Karin Hartewig, Zurückgekehrt. Die Geschichte der jüdischen Kommunisten in der DDR, Böhlau Verlag, Köln-Weimar-Wien 2000, 646 S., 25 Abb., geb., 98 DM.

Um es gleich vorweg zu sagen: Karin Hartewig hat mit ihrer Studie über die jüdischen Kommunisten und Kommunistinnen in der DDR weit mehr als eine Untersuchung dieser relativ kleinen Gruppe von Remigranten in der DDR vorgelegt. Denn ihre Untersuchung erlaubt nicht allein Einblicke in die Biographien einzelner Personen, sondern beleuchtet auf eindrucksvolle Weise das spannungsvolle Wechselspiel der "jüdischen Herkunft" zwischen Selbst- und Fremdzuschreibung bereits in der Emigration und vor allem in der DDR. Darüber hinaus zeichnet sie die Rolle dieses Personenkreises innerhalb der Partei, ihrer "Wahlfamilie" (S. 257), nach und stellt die Verdrängung dieser Gruppe aus Geschichtsbild und Erinnerungskultur in der DDR dar.

Hartewig nähert sich ihren Protagonisten auf biographischem Wege, indem sie familiäre Herkunft und Traditionen untersucht. Die in der Mehrzahl assimilierten Juden stammten aus bürgerlichen und kleinbürgerlichen Familien und waren im Kaiserreich und der Weimarer Republik aufgewachsen. Den Weg in die Kommunistische Partei hatten viele von ihnen aus Ablehnung des Zionismus gewählt der die Alternative für radikal politisch engagierte Juden in Deutschland vor 1933 darstellte. Bereits diese Entscheidung war für die meisten mit Brüchen in ideologischer und biographischer Hinsicht verbunden, weil sie familiäre Kontakte vielfach abrupt beendete. Die KPD wurde zur "Ersatzfamilie" (S. 37).

Hartewig macht innerhalb der Gruppe jüdischer Kommunisten vier verschiedene Generationen ausfindig, die sich durch unterschiedliche Erfahrungen auszeichneten. Da war zum einen die Gründergeneration der 1885-1900 Geborenen, die das "Urgestein der SED" bildeten (S. 42); die zweite Gründergeneration der nach der Jahrhundertwende Geborenen, denen das Kriegserlebnis zwar fehlte, die aber durch die Krisen des Krieges und der Nachkriegszeit sozialisiert und politisiert worden waren. Kurz vor dem Krieg war die erste Aufbaugeneration geboren, deren Vertreter in der DDR mit sehr jungen Jahren politische Funktionen übernahmen und sich im Alter selten von ihnen trennen wollten. Als vierte Generation charakterisiert sie schließlich die im Exil geborenen Kinder, die nach dem Krieg in einem fremden und zerstörten Land eintrafen.

Zu diesen unterschiedlichen Hintergründen der vier Generationen jüdischer Kommunisten kamen nach 1933 verschiedenartige Erfahrungen von Diktatur, Verfolgung und Emigration, die die Autorin am Beispiel von 14 ausführlichen Biografien, darunter Alexander Abusch, Klaus Gysi und besonders eindrücklich J. Ch. Schwarz, vorstellt und nachzeichnet. Ähnlich den Generationen macht Hartewig in Anlehnung an Überlegungen von Lucie Varga verschiedene "Erlebnisgemeinschaften" (S. 101) aus. Diese Gemeinschaften wirkten und spielten eine wichtige Rolle in der DDR und fanden ihren Niederschlag in der Unterscheidung von sogenannten "West-" im Gegensatz zu "Politemigranten", die einen ungleich höheren Status und damit Machtzugang besaßen. Über den Begriff des "Erlebnisses" und seine Konnotationen mag man im Zusammenhang mit Verfolgung und Emigration streiten, die doppelte Differenzierung erlaubt Hartewig jedoch Einblicke in Macht- und Herrschaftsstrukturen und Konflikte innerhalb der politischen Führung und die Rolle wie die Funktion jüdischer Kommunisten in diesem Feld.

Nach ihrer Rückkehr in die SBZ/DDR gelang dieser Gruppe in großem Maße der Zugang zur politischen Führung und die Etablierung als "Gegen-Elite". Zu ihren zentralen Betätigungsfeldern gehörten die kulturellen und wissenschaftlichen Bereiche von der Justiz bis zur Kulturpolitik, während sie selten in der NVA und im innersten Machtzirkel zu finden waren. Ihr Ankommen und Einleben in der neuen "Heimstatt" DDR war mit äußerst zwiespältigen Erfahrungen verbunden, die in mehrfacher Weise für eine Entfremdung von der selbstgewählten Heimat sorgten. Dazu gehörte die Tabuisierung und Trennung von ihren Überlebensräumen im Westen ebenso wie die erneute Stigmatisierung ihrer "jüdischen Herkunft", die sie in den verschiedenen Wellen der Parteisäuberungen zu spüren bekamen.

Da sich ihre Identität jedoch gerade nicht aus dieser Herkunft speiste, auch wenn sie vielen in der westlichen Emigration das Leben gerettet hatte, sondern ideologisch und politisch fundiert war, führten alle Fragen und Probleme, die aus den Folgen des Nationalsozialismus resultierten, zu Dissens und Konflikten entlang der verschiedenen Lebenserfahrungen. Das war bereits 1946/47 bei der Debatte der "Wiedergutmachung" in der SBZ der Fall und ebenso im Zusammenhang mit den Überprüfungen des vermeintlichen Agenten Noel H. Field und kurze Zeit später in Folge des Prager Slánsky-Prozesses. In ihrer bedingungslosen Loyalität zur Partei, die ihnen als "Wahlfamilie" vielfach die Verarbeitung oder Verdrängung des Verlustes der Herkunftsfamilie erleichtert hatte, und um sich selbst zu retten, wurden sie gleichermaßen zu Tätern und Opfern in dem Teufelskreis von Denunziation und Verfolgung. Am Fall Paul Merkers, einem "Lehrstück der politischen Unterwerfung" (S. 357), zeichnet Hartewig die Machtkämpfe mittels der Konstruktion von Verschwörungen in besonders eindrücklicher Weise nach. Die Autorin wirft mit ihrem Ergebnis ein anderes Licht auf die Rolle von Juden in der DDR als die bisherige Forschung, die viel stärker den "Opferstatus" herausgestellt hat.

Auf die traumatische Erfahrung der Säuberungen reagierten jüdische Kommunisten mit Überanpassung, die den Zielen der Parteiführung nach Homogenisierung und Stabilisierung entsprach und entgegenkam. Bestandteil der Überanpassung und des Selbstverständnisses der Partei und ihrer Politik war ein vollständiges Fehlen des jüdischen "Erbes" in der Partei und im Geschichtsbild der DDR. Im propagierten Antifaschismus gab es keinen Raum für spezifisch jüdische Erinnerungen. Zu dieser Politik gehörte auch die Auflösung der VVN im Frühjahr 1953 und die Haltung gegenüber Israel. Selbst in der Literatur, die den Juden anfänglich noch die Möglichkeit geboten hatte, ihre Geschichte zu erzählen und zu tradieren, gewannen die politischen Antifaschisten den Machtkampf der "Erlebnisgemeinschaften" um die Erinnerung. Dies änderte sich allmählich erst in den 1970er Jahren, als die DDR kurz vor ihrem Ende ihr jüdisches "Erbe" entdeckte.

Obwohl Hartewig auch in diesem dritten Teil über die Geschichtspolitik und Erinnerungskultur in der DDR vorzügliche Analysen liefert, etwa über den sprachlichen Umgang mit der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik in der Neuprägung der "Todesfabriken" (S. 436ff.), so bleibt gerade dieser Teil eigentümlich blass. Das ist sicherlich ein Quellenproblem, denn die überangepassten jüdischen Kommunisten haben zum Beschweigen ihrer Vergangenheit ebenfalls geschwiegen. Aber es gab gleichsam einen Neben- oder Subtext der Erinnerung, der nach Hartewig in Übersetzungsausgaben, Filmen und seit den 1970er Jahren in publizierten Biographien jüdischer Kommunisten fortlief. Und schließlich begann auch in dieser Zeit in der Bundesrepublik die breite und medienwirksame Auseinandersetzung mit der Vertreibung und der Vernichtung der Juden in Deutschland, die bei allen ideologischen Resistenzen auch bei den jüdischen Kommunisten Erinnerungen wachgerufen haben mag. Fragen nach dem Umgang mit dieser Spannung vor allem im Beziehungsfeld deutsch-deutscher Erinnerungskultur und Geschichtspolitik wird zukünftigen Untersuchungen vorbehalten bleiben, die nun auf die ausgezeichnete Studie von Karin Hartewig zurückgreifen können.

Ute Schneider, Darmstadt





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