Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online
Laurette Alexis-Monet, Les miradors de Vichy, Les Éditions de Paris, Paris 2001, 222 S, brosch., 18,50 EUR.
Noch nie ist das Interesse von französischen Historikern und französischer Öffentlichkeit an Vichy-Frankreich so groß gewesen. In letzter Zeit häufen sich die Veröffentlichungen über die zahlreichen Lager, die ab 1939 zwecks Internierung unerwünschter Kategorien von Ausländern in Frankreich errichtet wurden und letztendlich ab Sommer 1942 Zahnräder in der Maschinerie der Deportation und Ausrottung der europäischen Juden werden sollten. Die zahlreichen Einzelveröffentlichungen, die auf den Pionierergebnissen der 70er Jahre basieren, ziehen eine Reihe neuer Quellen und Selbstzeugnissen heran, die einen tiefen Einblick in die dunkle Geschichte des Vichy-Regimes ermöglichen. In diesem Kontext verdient die neue Auflage eines bereits 1994 erschienen Buches, dessen Vorwort von Pierre Vidal-Naquet verfasst wurde, besondere Beachtung. Es war entstanden in der Absicht, der Opfer der Internierungslager zu gedenken, welche allzu oft in Frankreich ein und derselben Kategorie der antifaschistischen "Patrioten" zugeordnet wurden und in Vergessenheit gerieten. Dabei stützt sich die Autorin sowohl auf ihre Erinnerungen als auch auf Archivalien aus der Verwaltung und eine Vielzahl von Dokumenten aus ihrem Privatbesitz. 1942 engagierte sich Laurette Alexis-Monet als junge Studentin an der Seite eines protestantischen Hilfswerkes (CIMADE) und arbeitete fast zwei Jahre in den Lagern von Récébédou in der Haute-Garonne und Nexon in der Nähe von Limoges, bevor die Besatzung der Südzone und Unterwerfung des Lagersystems unter die deutsche Besatzungsmacht der humanitären Arbeit der in den Lagern vertretenen Hilfswerke ein Ende setzten.
Einen großen Teil der veröffentlichen Dokumente bildet ihr Briefwechsel mit einer Freundin des Roten Kreuzes sowie zahlreiche Photos, Zeichnungen und Gedichte von Internierten. Diese Dokumente werden mit einer Erzählung ergänzt, die emotional auf Portraits von Internierten eingeht, die die Autorin kennen lernte und unterstützte. Dabei gelingt es ihr berührend die Lebenswirklichkeit der Internierungslager wiederzugeben, deren Bevölkerung sich aus heterogenen Gruppen zusammensetzte. Nachdem spanische Flüchtlinge bereits unter der Volksfront interniert worden waren, wurden die Lager nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Frankreich allmählich ein Sammelpunkt für Franzosen auf der Flucht, aber auch und vor allem für deutsche Zivilgefangene und ausländische Juden. Unter den namenlosen Opfern der Internierungslager wird man einige lebhafte Personen und (tragische) Schicksale in Erinnerung behalten, wie das der vierjährigen Liselotte, dem einst erfolgreichen Schauspieler Paul Haag vom Berliner Theater, der Mimi Th. aus Mannheim, dem verstümmelten Republikaner Angel Gil Esteban aus Spanien, der Polin Marouchka, die sich für einige Brosamen im Lager prostituierte und dem familienlosen Pärchen Eva und José-Luis. Anhand ihrer subjektiven Darstellung gelingt es der Autorin auch hervorragend, die alltägliche Misere der Internierten zu schildern. Trotz der Verwendung vom Nexon-Lager als "camp hôpital", wohin in der Mehrheit kranke und ältere Internierten aus dem Lager Récébédou nach dessen Auflösung im Oktober 1942 verlegt wurden, blieb die medizinische Verpflegung unzureichend, während Hunger und Kälte stets für hohe Sterbensraten sorgten.
Wie die Archivalien aus der Präfektur von Limoges zeigen, die zum größten Teil als Anhang veröffentlicht werden, soll die Hauptursache der Misere auf die Unfähigkeit und die inkonsequenten Maßnahmen der Verwaltung zurückgeführt werden, deren Sicherheitsinteresse von Anfang an alle humanitären Überlegungen überwog. Unter diesen katastrophalen Rahmenbedingungen reichten die Beiträge der Hilfsorganisationen zur Sicherung des Existenzminimums kaum. Ihr Verdienst so wie das bemerkenswerte Engagement der Autorin muss vor allem in der moralischen Unterstützung der Internierten und dem Versuch, die Grausamkeit der Deportation ab Sommer 1942 zu lindern, gesehen werden.
Die Authentizität der Erfahrung von Laurette Alexis-Monet, die mittels einer einfühlsamen Erzählung und zahlreicher sehr interessanter Dokumente bestens vermittelt wird, machen ihre Veröffentlichung zu einem berührenden und hervorragenden Beitrag zur Geschichte der französischen Internierungslager der unbesetzten Zone.
Anne Cottebrune, Heidelberg