Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online
Holger Berschel, Bürokratie und Terror. Das Judenreferat der Gestapo Düsseldorf 1935-1945 (=Düsseldorfer Schriften zur Neueren Landesgeschichte und zur Geschichte Nordrhein-Westfalens; Band 58), Klartext, Essen 2001, 478 S., geb., 39,90 Euro.
Berschels Untersuchung der Tätigkeit des Judenreferats der Düsseldorfer Gestapo, der nach Berlin wichtigsten Leitstelle der Geheimen Staatspolizei, ist ein wichtiger Beitrag zur Geschichte der politischen Polizei des NS-Regimes sowie zur Erforschung des Vorfelds des Holocaust. Sie bietet einen sehr präzisen Einblick in die konkrete Verfolgungstätigkeit derjenigen Institution, die die Erfassung, Kontrolle, Verfolgung und Deportation der Juden maßgeblich vorantrieb und regional koordinierte. Das Buch ergänzt in wichtiger Weise unser Wissen über die Täterseite des Holocaust auf einer Ebene, die bislang noch weitgehend unerforscht war: Der Institutionen und Personen unterhalb des berüchtigten Eichmann-Referats des RSHA, IV B 4, zu dem zuletzt Jaacov Lozowick (Hitlers Bürokraten) eine wichtige Studie vorgelegt hat.
Quellenbasis des Buchs ist der Bestand der Gestapoleitstelle Düsseldorf mit ihren Außendienststellen in Essen, Duisburg, Oberhausen, Mönchengladbach, Krefeld und Wuppertal sowie ihren Nebendienststellen, Grenzpolizeikommissariaten und posten. In diesem Gebiet lebten 1933 ca. 4 Millionen Einwohner, ca. 0,6% von ihnen waren jüdischer Konfession. Nach den Ergebnissen der "Volkszählung" von 1939 lebten hier noch 9.303 Juden (im Sinne der "Nürnberger Gesetze"). Von den insgesamt über 70.000 gegen Ende des Krieges der Vernichtung entgangenen Gestapopersonenakten (des weitaus größten der wenigen noch erhaltenen Gestapoakten-Bestände) befassen sich ca. 5.400 mit der Überwachung und Verfolgung von Juden im Bereich der Stapo Düsseldorf. Auf einer Stichprobe hieraus von ca. 1000 Akten erfolgt Berschels Analyse.
Sein Buch gliedert sich in drei die Untersuchung einleitende Kapitel, in denen der Autor den räumlichen Rahmen, orientierende Informationen zur Opferseite sowie zur zentralen Steuerung der Judenverfolgung auf der Täterseite (Geheime Staatspolizei auf Reichsebene) abhandelt. Der Schwerpunkt des Buchs liegt auf den folgenden Kapiteln, in denen er zunächst das Verfolgungsorgan im Untersuchungsgebiet, dann dessen Praxis untersucht. Dabei wendet sich der Autor allen Fassetten der Tätigkeit des Judenreferats (genannt sei hier nur eine Auswahl der behandelten Aspekte des Verfolgungsprozesses) zu: Der Erfassung und Überwachung der jüdischen Bevölkerung, der Verfolgung von "Rassenschandefällen", der Verfolgung "judenfreundlichen Verhaltens", dem Versuch der Steuerung der jüdischen Vertreibung, den Einschränkungen des Wirtschaftslebens, der Mobilität, der Kommunikation und der Wohnmöglichkeiten, den Konsumverboten und Beschlagnahmungen, dem Verhalten der Gestapo in und nach dem Novemberpogrom vom 9./10. November 1938 und schließlich den Deportationen "in den Osten".
Berschel gelingt es, aus den Akten ein sehr präzises und zugleich auch anschauliches Bild der Gestapomethoden zu gewinnen. Er klärt auch sehr genau den biografischen Hintergrund der Mitarbeiter des Judenreferats: Die sieben in den Jahren des größten Ausbaus des Düsseldorfer Judenrefeats (zwischen 1939 und 1942/43) hier eingesetzten Personen (ein Referatsleiter, zwei Exekutivbeamten, zwei Verwaltungsbeamten, ein Kriminalangestellter und ein abgeordneter SS-Mann) entstammten fast alle dem traditionellen Polizeidienst. Berschel betont, dass es sich insofern, im Sinne Brownings, um "ganz normale Männer" gehandelt haben dürfte. Ihr zynischer Umgang mit den Verfolgten habe aber darauf verwiesen, dass sie ihre Tätigkeit engagiert im Sinne des NS-Regimes ausgeübt hätten. So habe ein Gestapobeamter einer Frau, die besorgt durch umgehende Gerüchte über den Judenmord u.a. bei der "Kanzlei des Führers" einen Rückholungsantrag für ihre im April 1942 deportierte Tochter gestellt hatte, mitgeteilt, dass ihr Antrag "sinnlos" sei. Bei Weiterverbreitung von Gerüchten über den Tod der Deportierten drohte der Beamte mit "schärfsten staatspolizeilichen Maßnahmen".
Kritisch kann zu seinem Buch nur angemerkt werden, dass seine Begrifflichkeiten nicht immer adäquat für das sensible Feld der Verfolgung erscheinen. So spricht er in einer Überschrift von "unbotmäßigem Verhalten von Juden". Auch der an anderer Stelle ohne Anführungszeichen eingesetzte Begriff "Ausrottung" (S. 234) erscheint unangemessen für das, worum es dem NS-Regime am Ende ging um Mord, Massenmord, Genozid. Diese gelegentlich zu verzeichnenden terminologischen Schwächen des Buches, fallen jedoch deswegen nicht zu sehr ins Gewicht, weil der Autor insgesamt sehr sensibel auch dem Schicksal der Verfolgten nachgeht. Insgesamt ist ihm eine wichtige Pionierstudie auf einem bislang fast unerforschten Terrain gelungen.
Bernward Dörner, Berlin