ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Martin Schumacher (Hrsg.), M.d.B. Volksvertretung im Wiederaufbau 1946 - 1961. Bundestagskandidaten und Mitglieder westzonaler Vorparlamente. Eine biographische Dokumentation, Droste Verlag, Düsseldorf 2000, 574 S., kart., 60 DM.

In der Reihe seiner biografischen Dokumentationen legt die "Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien e. V. in Bonn" ein wertvolles Handbuch vor, das von Martin Schumacher herausgegeben, bearbeitet und eingeleitet wurde. Es dokumentiert nicht nur sehr genau die Lebensdaten der im genannten Zeitraum gewählten Abgeordneten des Bundestages sowie der zonalen und überzonalen westdeutschen Vorparlamente, sondern auch, so weit möglich, die aller Bundestagskandidaten. So enthält das Handbuch die stichwortartigen Lebensläufe von insgesamt mehr als 6600 Männern und Frauen, die mit einem Mandat in einem überregionalen Parlament Einfluss auf den Aufbau eines westdeutschen demokratischen Staates nehmen wollten. Der Bearbeiter selbst bedauert, dass es aus arbeitsökonomischen Gründen nicht möglich war die Landtagsabgeordneten und Landtagskandidaten mit einzubeziehen. Bei den Bundestagsabgeordneten bzw. -kandidaten werden andere frühere oder gleichzeitige regionale Mandate mitgenannt.

In der Einleitung behandelt Schumacher zuerst die fünf westzonalen Vorparlamente: den Zonenbeirat der Britischen Zone in Hamburg, den Parlamentarischen Rat des Länderrats der Amerikanischen Zone in Stuttgart, den Bizonalen Wirtschaftsrat der Amerikanischen und Britischen Zone in Frankfurt am Main, den Trizonalen Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee (Bayern) und den Trizonalen Parlamentarischen Rat in Bonn. Im zweiten Teil der Einleitung beschreibt er die Parlamente der Bundesrepublik Deutschland: Bundestag, Bundesrat und Bundesversammlung, im dritten Hauptkapitel "Europäische parlamentarische Versammlungen und internationale Parlamentariergruppen", d. h. die "Beratende Versammlung des Europarates", das "Montanparlament", das "Europäische Parlament", die "Versammlung der Westeuropäischen Union", die "NATO – Parlamentarierkonferenz" und die "Interparlamentarische Union".

Es folgen dann in einem Hauptkapitel mit der Überschrift "Vertreter des ganzen Volkes" längere mehr analytische Betrachtungen zum Verhältnis der Wahlbewerber zu den Abgeordneten in den ersten drei Legislaturperioden und zur sozialen Zusammensetzung des Bundestages. Hier werden auch die sich etwas verändernden Bedingungen für eine Kandidatur bei den Wahlen von 1949, 1953 und 1957 erläutert und in sehr informativen Tabellen das Verhältnis von Abgeordneten und Kandidaten in den einzelnen Bundesländern aufgezeigt. Die Zahl der weiblichen Kandidaten und Abgeordneten wird in diesen Tabellen gesondert ausgewiesen. Auch die indirekt gewählten Berliner Abgeordneten werden in die Analysen und Tabellen mit einbezogen.

Zum umfangreichen, insgesamt sehr informativen und zuverlässigen biografischen Teil (fast 500 Seiten) sei eine kritische Anmerkung erlaubt: Hohe Parteifunktionen der behandelten Parlamentarier und Parlamentarierinnen werden nicht immer vollständig angegeben. So wird bei Elisabeth Selbert erwähnt, dass sie von 1951 bis 1958 Vorsitzende des Rechtspolitischen Ausschusses beim SPD-Parteivorstand war, nicht aber, dass sie von 1946 bis 1956 dem Parteivorstand selbst als Mitglied angehörte. Bei Herbert Kriedemann wird zwar erwähnt, dass er nach 1945 Referent für Agrar- und Wirtschaftspolitik beim Parteivorstand der SPD in Hannover war, nicht aber, dass er bis 1950 Mitglied des Geschäftsführenden Vorstandes der Partei war. Bei Egon Franke wird diese Funktion mitgenannt.

Der biografische Teil wird durch verschiedene tabellarische "Indices" ergänzt, u. a. durch Verzeichnisse der weiblichen sowie der Berliner Bundestagsabgeordneten, durch Verzeichnisse der Mitgliedschaften in verschiedenen Parlamenten, durch eine Konkordanz der Geburts- und Familiennamen, durch ein Verzeichnis der in den Kurzbiografien noch genannten Personen und ein Verzeichnis der Geburtsorte. Die Benutzung wird dadurch erheblich erleichtert.

Man vermisst eine ähnlich gute Erschließung der umfangreichen Einleitung - wenigstens durch ein Personenregister. So findet man z. B. die prominenten Emigranten, den früheren Reichskanzler Brüning (Zentrum) und den früheren preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun (SPD), die am Neuaufbau der demokratischen Ordnung gerne mitarbeiten wollten, nicht im Personenregister, obwohl sie in der Einleitung kurz behandelt werden, weil sie den neuen Parteiführern Adenauer und Schumacher für einen Neuaufbau der deutschen Demokratie ungeeignet schienen.

Vielleicht können einige der aufgezeigten Mängel bei der geplanten Fortschreibung des Handbuches beseitigt werden und möglicherweise finden sich auch Geldgeber für die wünschenswerte Ausdehnung des Handbuches auf die regionalen Parlamente der Bundesrepublik. Vor allem wäre eine Ausdehnung auf den Bayerischen Landtag wünschenswert, da bei den Kommunal- und Landtagswahlen in Bayern die Wähler seit jeher mehrere Stimmen und damit die Möglichkeit haben durch Stimmenhäufung und durch Panaschieren die von den Parteiführungen vorgelegten "Listen" zu verändern. Ein Vergleich der bayerischen Wahlen mit denen der anderen Bundesländer, in denen es nur die Möglichkeit gab und teilweise bis heute gibt sich für eine der von Parteien oder Wählergemeinschaften vorgelegten Listen zu entscheiden wäre sehr reizvoll.

Willy Albrecht, Bonn





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