ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Wolfgang Benz (Hrsg.), Deutschland unter alliierter Besatzung 1945 – 1949/55. Ein Handbuch, Akademie Verlag, Berlin 1999, 494 S. geb., 98 DM.

Wolfgang Benz legt mit diesem Handbuch einen wertvollen Überblick über die Entwicklung Deutschlands, d. h. aller vier Besatzungszonen, in den Jahren der Besatzungsherrschaft vor. Der Schwerpunkt liegt in den Jahren 1945 bis 1949, dem Gründungsjahr der beiden deutschen Staaten, Bundesrepublik und DDR. Das Handbuch hat noch einen zweiten Endpunkt – das Jahr 1955, in dem beide Staaten, durch ihren Eintritt in die jeweiligen Militärbündnisse NATO bzw. Warschauer Pakt ein gewisses Maß an Souveränität gewinnen konnten, vor. Die einzelnen Artikel stammen von verschiedenen Verfassern und werden durch Literaturangaben ergänzt.

Das Handbuch ist aufgeteilt in sechs Hauptabschnitte: Im Abschnitt 1 werden die "Grundzüge der Besatzungspolitik" in Deutschland beschrieben: Nach einem allgemeinen Artikel über die alliierte Besatzungspolitik von Hermann Graml folgen Beiträge zur amerikanischen Besatzungspolitik von Hermann - Josef Rupieper, zur britischen von Kurt Jürgensen, zur französischen von Edgar Wolfrum und zur sowjetischen von Elke Scherstjanoi. Abgeschlossen wird dieser Hauptabschnitt durch zwei kürzere Beiträge von Wolfgang Benz über die Gründung der Bundesrepublik und von Manfred Rexin über die Gründung der DDR. Alle diese Artikel stammen von Fachleuten zu diesen Themen und zeichnen sich dadurch aus, dass sie in der vorgegebenen Kürze die wichtigsten Entwicklungen und Ereignisse zusammenfassen.

Der Abschnitt 2 behandelt in 21 "Längsschnitten" Probleme der Besatzungspolitik im "Vergleich der Zonen": Bildung und Erziehung, Bodenreform, Demokratisierung, Entnazifizierung, Ernährung, Flüchtlinge und Vertriebene, Gewerkschaften, Kultur und geistiges Leben, Öffentlicher Dienst, Parteien, Presse, Reparationen, Rückkehr aus dem Exil, Rundfunk, Sozialpolitik, Strafrechtliche Verfolgung von NS-Verbrechern, Verfassungsdiskussion, Währungsreform, Wahlen, Wiedergutmachung, Wohnungen. Im Abschnitt 3 werden - in chronologischer Reihenfolge - die internationalen Konferenzen von Teheran 1943, Jalta und Potsdam 1945, die Außenministerkonferenzen von London 1945, von Paris 1946, von Moskau und von London 1947, die Londoner Sechsmächtekonferenz 1948, die Außenministerkonferenzen von Paris 1949 und von Berlin 1954 sowie die "Achtmächte-Konferenzen" von Moskau und Warschau 1954 und 1955 in Kurzartikeln von verschiedenen Verfassern beschrieben.

Im Abschnitt 4 werden insgesamt 60 "Institutionen und Organisationen" in alphabetischer Reihenfolge kurz vorgestellt - von "Alliierter Kontrollrat" bis "Zonenbeirat", im Abschnitt 5 etwa 25 "Begriffe und Ereignisse" erläutert – von "Amerikahäuser" bis "Volkseigene Betriebe". Sicher sucht man einzelne Artikel zu wichtigen Ereignissen vergeblich, so einen zum "Gesetz Nr. 75" der amerikanischen und britischen Militärregierung vom 10.11.1948 zur Neuordnung - d. h. in erster Linie zur Entflechtung - der deutschen Montanindustrie. Das wichtige "Petersberger Abkommen" hat keinen eigenen Artikel bekommen, doch findet man im alphabetischen Verzeichnis der "Artikel, Stichwörter und Verweise" am Schluss des Bandes bei "Petersberger Abkommen" Hinweise auf die Stichwörter "Besatzungsstatut" und "Gründung der Bundesrepublik". Bei einem Handbuch mit einer solchen Fülle von Themen sind solche Defizite nicht zu vermeiden. Sehr zufrieden kann man mit dem Personenregister sein, das sich mit Recht "Biografisches Register" nennt, da es zu allen im Handbuch vorkommenden Personen, so weit feststellbar, auch die Lebensdaten und die beruflichen Funktionen nennt.

Nicht ganz einsichtig ist in allen Fällen die Einordnung der verschiedenen Stichworte in die drei Hauptabschnitte 2, 4 bzw. 5. So wird der Artikel über die "Währungsreform" in den Abschnitt 2 aufgenommen, der Artikel über den damit eng zusammenhängenden "Lastenausgleich" aber in den Abschnitt 5. Vielleicht hätte man diese drei Hauptabschnitte besser in einem zusammengefasst. Abschnitt 6 behandelt schließlich die einzelnen Länder und Stadtstaaten, auch die ostdeutschen, die ja bis 1952 noch bestanden. Einen eigenen Artikel widmet Jochen Czerny der im Frühjahr 1945 nur wenige Wochen bestehenden nicht besetzten sächsischen "Republik Schwarzenberg", die vor allem durch den Roman von Stefan Heym aus dem Jahre 1984 bekannt geworden ist.

Es folgt noch eine parallele Chronologie für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet der amerikanischen und britischen Besatzungszone, die französische und die sowjetische Besatzungszone bzw. die Bundesrepublik und die DDR. Leider ist sie nicht sehr übersichtlich, besonders geht aus den angegebenen Daten nicht immer klar hervor, aus welchem Jahr sie stammen. Allerdings vermisst man kritische Hinweise auf die bisherigen Handbücher zu diesem Zeitraum, vor allem auf das von Heinrich Potthoff und Rüdiger Wenzel im Rahmen der von der Parlamentarismuskommission herausgegebenen Handbücher bearbeitete "Handbuch politischer Institutionen und Organisationen 1945-1949" aus dem Jahre 1983. Dieses behandelt zwar nur die drei westlichen Besatzungszonen und die der Gründung der Bundesrepublik vorangehenden zonalen und überzonalen Zusammenschlüsse. Es ist nicht fehlerfrei und bedürfte einer Überarbeitung, doch kann das neue Handbuch von Benz dieses für die westlichen Besatzungszonen nicht ersetzen. Nicht nur, dass im Handbuch von Potthoff/ Wenzel sehr viel mehr Namen von Behörden-, Parteien- und Verbandsvertretern sowie die Zusammensetzung der Landesparlamente und Landesregierungen genannt werden. Wichtiger scheint noch die weit gehende Beschränkung des neuen Handbuchs auf die politische Entwicklung im engeren Sinne. So werden zwar die Gewerkschaften im Handbuch von Benz in einem kurzen, aber informativen Beitrag von Michael Fichter behandelt. Es fehlen jedoch Artikel über die Industrie- und Handelskammern, über Landwirtschaftliche Organisationen und über Arbeitgeberorganisationen, denen bei Potthoff/Wenzel besondere Kapitel gewidmet sind.

Einen relativ großen Raum nehmen im Handbuch von Benz die Begriffe "Bildung und Erziehung" sowie "Kultur und geistiges Leben" ein. Auch die "Gruppe 47" und der "Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands" haben eigene Artikel erhalten. Dagegen kommen so wichtige gesellschaftliche Organisationen wie Kirchen und religiöse Gemeinschaften gar nicht vor. Deshalb findet man im Personenregister zwar Schriftsteller wie Johannes R. Becher, Wolfgang Borchert, Bert Brecht, Heinrich und Thomas Mann sowie Paul Valéry, Thornton Wilder und Carl Zuckmayer. Diese waren sicher für den vom Handbuch abgedeckten Zeitraum von großer Bedeutung. Dass aber christliche Kirchenführer wie die Kardinäle Michael Faulhaber und Josef Frings sowie der evangelische Bischof Otto Dibelius gar nicht erwähnt werden, kann man nur bedauern. Denn diese spielten in der gesamtgesellschaftlichen und gesamtpolitischen Entwicklung dieser Jahre ein bedeutende Rolle. Ebenfalls findet man nicht im neuen Handbuch die führenden Repräsentanten der wiedererstehenden jüdischen Gemeinden, z. B. Philipp Auerbach, Heinz Galinski und Norbert Wollheim. Bei Potthoff/Wenzel werden den Christlichen Kirchen und den Jüdischen Gemeinden besondere Abschnitte gewidmet, in denen die erwähnten Personen und viele andere als Funktionsträger erwähnt werden.

Trotz der genannten Kritikpunkte ist das Handbuch von Benz ein sehr wertvolles Nachschlagewerk für die Zeit von 1945 bis 1949 bzw. bis 1955, d. h. für die Vorgeschichte der beiden deutschen Staaten und ihre Entwicklung bis zur Erringung einer relativen Souveränität.. Es bietet eine Fülle von Informationen in seinen fast 150 Einzelartikeln, die von fast 100 Historikerinnen und Historikern stammen.

Willy Albrecht, Bonn





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