ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Eric A. Johnson, Der nationalsozialistische Terror. Gestapo, Juden und gewöhnliche Deutsche, Siedler Verlag, Berlin 2001, 628 S., geb., 48 DM.

Lange Jahre bildete der Terror im NS-Regime ein Desiderat der Zeitgeschichtsforschung. Er wurde vorausgesetzt, aber nicht eigentlich thematisiert. Noch mehr galt dies für die Akteure dieses Terrors. Dort, wo man sich mit den Tätern auseinander setzte, wurden diese entweder dämonisiert oder zu fremden Wesen verklärt, in jedem Fall aber auf einen engen Personenkreis begrenzt. Erst in den letzten Jahren langsam rückten die vielfältigen Mordaktionen ins Zentrum des wissenschaftlichen Interessen, wurden Pogrome und Massaker anschaulich beschrieben und präzise analysiert, nahm man sich endlich auch der Täter an. Eine Zusammenschau der Ergebnisse dieser neueren Forschungsbemühungen steht aus.

Diese liefert auch das Buch "Der nationalsozialistische Terror" (englisch "Nazi Terror") des US-amerikanischen Historikers Eric A. Johnson nicht, das bereits 1999 in den USA erschien und nun auch in deutscher Übersetzung vorliegt. Johnson stellt die gewiss interessanten Fragen "Wie funktionierte der Terror im Alltag des Dritten Reiches?" und "Wie vorherrschend war der nationalsozialistische Terror für Durchschnittsbürger?" In seiner Polemik gegen vermeintlich "revisionistische" Tendenzen in der neueren NS-Forschung, verliert er diese Fragen allerdings immer wieder aus dem Blick, fällt weit hinter den Stand der Forschung zurück und gerät unversehens selbst auf die schiefe Bahn des Revisionismus. Im Bemühen der neueren Forschung, "immer größere Gruppen als Täter zu entlarven", sieht er die Gefahr, dass die Interpretation des Terrors "unausgewogen" zu werden droht (S. 30). Er beklagt, dass eine "Verurteilung der Gestapobeamten in den letzten Jahren aus der Mode gekommen" ist (S. 91) und kritisiert einen Trend in der neueren Sicht des NS-Terrors, demzufolge "die Beteiligung von gewöhnlichen Deutschen an Terror und Massenvernichtung zunehmend so stark in den Vordergrund gerückt (wird), dass dabei leicht der Blick auf den Umstand verstellt wird, dass es zum Terror gar nicht erst gekommen wäre, hätte die Führung der Partei ihn nicht unter Einsatz der Gestapo in Gang gesetzt" (S. 31). Johnsons sichtbares Bestreben ist es, sowohl der "Unterschätzung der rücksichtslosen Effektivität der Gestapo" als auch der scheinbar in Mode gekommenen Geringschätzung des tatsächlichen Widerstands entgegenzuwirken.

Bereits mit seiner zweiten Frage lässt Johnson einen Ansatz erkennen, der ihn konsequent auf das Forschungsniveau der 1960er-Jahre zurückführt. Während die neuere NS-Forschung der Frage nach der Beteiligung der "Volksgenossen" am NS-Terror nachgeht und z.T. beachtliche Ergebnisse produziert, sieht Johnson ganz in der Tradition der älteren NS-Forschung die "Durchschnittsbürger" in erster Linie als übermächtigte Objekte des Terrors, grenzt ihre Beteiligung an diesem Terror allenfalls auf die Kontrolle und auf die Denunziation von Nachbarn ein. Statt etwa zu fragen, wie viele Deutsche Eigentum von ermordeten Juden erwarben oder als Schützen an den Tötungsgruben standen, widmet sich Johnson der eher zweitrangigen Frage, wie viele und welche Deutsche dem Terror "ausgesetzt" waren (S. 516). Er fragt nicht nach den Tätern, die entflohenen Kriegsgefangenen nachjagten und sich an Lynchmorden an alliierten Bomberpiloten beteiligten. Ihn interessieren nicht die Männer, die exzessiv ihren Sadismus in den "Arbeitserziehungslagern" auslebten. Er fragt nicht nach den furchtbaren Wehrmachtsjuristen, die ungehorsame Soldaten noch nach Kriegsende hinrichten ließen. Und er übersieht, dass seit einigen Jahren auch in Deutschland immer lauter die Frage nach den Täterinnen gestellt wird. Frauen als Täter kommen bei ihm ebenso wenig vor wie die zahlreichen ausländischen Träger des NS-Terrors.

In der Tradition der dämonisierenden Täterforschung der 1950er-Jahre konstruiert der Wissenschaftler von der Central Michigan University einen längst tot geglaubten Tätertypus, den des anormalen, ja dämonischen Haupttäters in Gestapo und SS, der sich in Herkunft und Verhalten signifikant von dem Durchschnittsdeutschen unterschieden habe (S. 33, 85) und einen "Pakt mit dem Teufel" (515) eingegangen sei. Es ist ein durchgängiges Prinzip des Buches, wie einst in den 1950er und -60er Jahren die Täter und deren Taten zu verinseln und zu exterritorialisieren. Johnsons Thesen werden dem um Selbstentschuldung in der Welt bemühten neuen Deutschland gefallen, weil es den Terror wie in Nürnberg auf vergleichsweise kleine Gruppen wie die Gestapo reduziert, den Terror von Justiz und Wehrmacht aber bezeichnenderweise nicht systematisch entfaltet. Sicher ist es richtig, "dass die meisten Deutschen nicht von dem Vorsatz geleitet wurden, andere zu verletzten, sondern von einer Mischung aus Feigheit, Gleichgültigkeit und einem sklavischen Gehorsam gegenüber der Obrigkeit" (S. 33). Gleichwohl hat die neuere NS-Forschung nachgewiesen, dass immer breitere Bevölkerungsgruppen auch aktiv und eben nicht nur als Zuschauer oder Denunzianten in die Verfolgung von Minderheiten und in die Judenvernichtung involviert waren.

In der Bewertung der Denunziationspraxis und der Gestapo bleibt Johnson gleichwohl widersprüchlich. Während er an etlichen Stellen konstatiert, dass die Gestapo keineswegs allgegenwärtig und die Macht des Staates über den Einzelnen keineswegs total war (S. 27), er der These beipflichtet, "dass die deutsche Zivilbevölkerung sich zu einem Großteil selbst kontrollierte" (S. 32f.), fordert er andererseits, die aktive Rolle der Gestapo bei der Verfolgung und deren "bösartigen" Aktionen nicht zu unter- sowie die Bedeutung von Denunziationen und damit die Schuld der deutschen Bevölkerung nicht zu überschätzen (S. 384, 392, 514). Johnsons durchgängige These ist es, der NS-Terror habe sich nicht gegen die "breite Bevölkerung" gerichtet (S. 352), die Mehrheit der deutschen Bevölkerung sei persönlich nie vom nationalsozialistischen Terror betroffen gewesen (S. 383), dieser habe sich im Gegenteil gegen klar definierte Minderheiten gerichtet. Zum Prinzip des selektiven Terrors jedoch gehört gleichermaßen dessen exemplarischer Charakter, dass dieser letztlich unkalkulierbar war, keiner rechnen konnte, wann nicht auch er gefährdet war, im Endzeit-Terror schließlich auch die "breite Bevölkerung" zum Objekt des Terrors wurde.

Zu den zentralen Fragen der gegenwärtigen NS-Terror- und -Täterforschung nimmt Johnson nicht Stellung. Die ausufernde Struktur der NS-Terroreinrichtungen wird nirgends beschrieben. Die Wechselwirkung zwischen dem Morden an der Peripherie des NS-Einflussbereiches und im Inneren des Reiches wird ebenso wenig entfaltet wie die zwischen dem von "oben" angeordneten und dem längst "unten" praktizierten Terror. "Arbeitserziehungslager" als Stätten exzessiver Gewalt scheinen nie existiert zu haben. Die Delegation des staatlichen Gewaltmonopols an untere Instanzen gegen Ende des Krieges bleibt unerwähnt. Von Todesmärschen und -lagern ist keine Rede. Durch die nahezu ausschließliche Konzentration auf die NS-Judenverfolgung entgeht Johnson der systematische Blick auf die Totalität des NS-Terrors, der sich gerade in der zweiten Hälfte des Krieges nach Abschluss der großen Judendeportationen zunehmend gegen die ausländischen Arbeitskräfte, besonders die "Ostarbeiter", richtete sowie im Blutrausch der Wehrmachtsjustiz 1944/45 und in den so genannten Kriegsendphasenverbrechen gipfelte, dem im zunehmenden Maße nun auch "Volksgenossen" zum Opfer fielen. Der Terror gegen die "Fremdarbeiter" wie die öffentliche Erhängung von elf "Fremdarbeitern" und dreizehn Deutschen im Oktober/November 1944 in Köln-Ehrenfeld, die Massaker an ausländischen Gefangenen im Kölner "Klingelpütz" werden zwar knapp erwähnt, aber in ihrer Dynamik, ihren Voraussetzungen und in ihrem Stellwert für die Radikalisierung und Brutalisierung des NS-Terrors nicht begriffen. Begriffe wie die von der "Herrschaft des Wahnsinns" (S. 376) in der letzten Kriegsphase schaffen keine Klarheit. Dass Deutschland gegen Kriegsende "aus den Fugen" gerät, erklärt nichts (S. 377).

Johnsons eingeschränkter Blick auf den NS-Terror ist u.a. eine Folge der von ihm ausgewerteten Bestände des Kölner Sondergerichts und der Krefelder Gestapo. Die zahlreich vorhandenen Akten zur Blutjustiz der Wehrmacht, zum Verhalten von Kriminal- und Schutzpolizei, d.h. all jener Institutionen, die für den Versuch der Totalisierung des NS-Terrors mitverantwortlich waren und wichtige Hilfsfunktionen bei Praktizierung des Terrors leisteten, geraten dem Autor durch die Fokussierung auf die Gestapo- und Sondergerichtsakten nicht in den Blick.

Zahlreiche Wiederholungen, das zusammenhanglose Zitieren aus Akten sowie ärgerliche Fehler runden das insgesamt negative Bild ab. Der Beginn der "Endlösung der Judenfrage" wird unter völliger Nichtberücksichtigung der gesamten Literatur einfach auf den 14. Oktober 1941 datiert wird - somit auf einen Zeitpunkt, zu dem der Massenmord an den Juden im Osten bereits voll im Gange war (S. 412). Der Bildteil des Buches ist belanglos. Die ausgewählten Fotografien sind keine genuinen Dokumente des NS-Terrors, sondern lediglich zufällige Illustrationen. Johnsons Buch ist keine systematische Darstellung des NS-Terrors, vielmehr eine disparate Ansammlung essayistisch verfasster Aufsätze über einzelne Aspekte des NS-Terrors, die sich zu keinem einheitlichen oder gar neuen Bild zusammenfügen. Eine Auseinandersetzung mit der neueren Forschung zum NS-Terror findet nicht statt. Wichtige Studien der letzten Jahre wie die von Christian Gerlach, Dieter Pohl und Thomas Sandkühler zum alltäglichen Morden im "wilden Osten" werden ebenso wenig zur Kenntnis genommen wie die Beiträge zu Ulrich Herberts gewichtigem Sammelband zur NS-Vernichtungspolitik, obwohl dies dem Autor bei der deutschen Übersetzung seines Buches durchaus möglich gewesen wäre. So ist das Buch bei seinem Erscheinen in Deutschland bereits überholt.

Schlimmer noch: Die umfassende Forschung der letzten Jahre zur NS-Justiz wird geradezu auf den Kopf gestellt, wenn der Autor etwa behauptet, dass bis in die letzten Kriegsmonate hinein den Hinrichtungen von Regimegegnern, ungehorsamen Soldaten und Plünderern im Kölner Klingelpütz "zumeist ordentliche Prozesse vor den Sondergerichten im Rheinland, vor dem Volksgerichtshof in Berlin, dem Reichsgericht in Leipzig oder einem Kriegsgericht vorausgegangen" seien (S. 377). Wer sich in der entsprechenden Fußnote zu dieser geradezu haarsträubenden Behauptung Klarheit erhofft, fühlt sich getäuscht. Einen Beleg findet man nicht, sondern lediglich Anmerkungen zu den in Köln hingerichteten Personen. Dass den "Sonderbehandlungen" von Tausenden von Zwangsarbeitern noch nicht einmal der Schein eines rechtsförmigen Verfahrens vorausging, sondern diese vielfach auf telefonische Anweisung des Berliner Reichssicherheitshauptamtes ermordet wurden, scheint Johnson entgangen zu sein.

Der spektakuläre und generalisierende Titel "Der nationalsozialistische Terror" hält so nicht im Entferntesten das, was er verspricht. Johnsons Buch ist weder eine systematische Gesamtdarstellung des NS-Terrors, noch nicht einmal eine umfassende Regionalstudie zum nationalsozialistischen Terror im Kölner Raum, obwohl gerade diese Region angesichts so wichtiger Vorabeiten wie denen von Detlev Peukert und Bernd A. Rusinek sowie der großen Dokumentationen über die Geschichte der Kölner Polizei im NS wie kaum eine andere Region geeignet gewesen wäre, beispielhaft die Strukturen des NS-Terrors zu untersuchen.

Gerhard Paul, Flensburg





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