ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

MacGregor Knox, Common Destiny. Dictatorship, Foreign Policy, and War in Fascist Italy and Nazi Germany, Cambridge University Press, Cambridge 2000, 262 S., geb., 19,95 £.

MacGregor Knox, der internationale Geschichte an der London School of Economics and Political Science (LSE) lehrt und zu den renommierten Figuren der internationalen Faschismusforschung gehört, hat in diesem Band drei seiner wichtigen Aufsätze zur Politik im Italien Mussolinis und Deutschland Hitlers wieder abgedruckt und um zwei Originalbeiträge erweitert. Im Zentrum dieser Sammlung steht zweierlei: Einmal ein Vergleich der Rahmenbedingungen und allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklungen in beiden Diktaturen. Im zweiten Teil des Buches konzentriert sich Knox auf die Außenpolitik und das Militär beider Länder. Besonderes Augenmerk gilt hierbei der Taktik, Ausrüstung und sozialen Struktur der italienischen und deutschen Armee während des Zweiten Weltkrieges. Insgesamt ist das Buch explizit vergleichend, wobei jedoch die Aufsätze zu Italien stärker ausgearbeitet wurden als die Passagen zur deutschen Entwicklung. Beide Diktaturen hält Knox als relativ entwickelte Gesellschaften mit verspäteter Nationsbildung und einem charismatischen Visionär an der Regierungsspitze für grundsätzlich miteinander vergleichbar (S.56f.).

Der große Vorzug an Knox Studie besteht darin, dass sie systematisch nach einer Verknüpfung des sich gegenseitig beeinflussenden Verhältnisses von Krieg und Innenpolitik sucht, um dadurch die Dynamik des Faschismus aufzuschlüsseln. Für die faschistischen Diktaturen, so Knox, waren Außen- und Innenpolitik nicht mehr zu unterscheiden: "Internal consolidation was a precondition for foreign conquest, and foreign conquest was the decisive prerequisite for revolution at home" (S. 109). Dabei überwindet die wegweisende Studie die Trennung der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte von der Geschichte der Militär- und Außenpolitik und verbindet die internationalen Konstellationen und Kriege mit Prozessen kultureller Disziplinierung, staatlicher Rationalisierung und Modernisierung. Eben diese Verwobenheit war ein zentrales Kennzeichen der beiden Diktaturen, wobei es in Italien erst der Krieg war, der es dem Regime ermöglichte, den Widerstand der alten Eliten gegen den "new paganism" (S. 96) der Faschisten und ihrer Forderung nach einer militarisierten Nation zu schwächen. Mit dieser Bedeutung des Krieges und der durchmilitarisierten Kriegsgesellschaft als Bedingung der Möglichkeit zur Radikalisierung des Regimes ließe sich problemlos, ohne dass Knox dies tut, an die Forschungen zur polykratischen Herrschaftsform im Nationalsozialismus anschließen - von Franz Leopold Neumanns 1942 vorgelegter Pionierstudie bis hin zu der jüngsten Gesamtdarstellung von Ludolf Herbst.

Im ersten Kapitel stellt Knox die langfristige Entwicklung beider Länder von der nationalstaatlichen Einigung bis zur Etablierung der Diktaturen dar. Dabei betont Knox die Unterschiede in der politischen und soziokulturellen Entwicklung der beiden Einigungsprozesse. Er stellt das militarisierte Preußen dem militärisch gescheiterten Piemont gegenüber und behauptet, dass die regionalen Differenzen im vereinten Kaiserreich wesentlich kleiner gewesen seien als das Nord-Süd-Gefälle des italienischen mezzogiorno. Preußen habe Deutschland wesentlich stärker dominiert als es Piemont für Italien vermocht hätte und die Klassengegensätze waren im modernen Kaiserreich wesentlich ausgeprägter als im geeinten Italien. Kirche und Religion standen in beiden Ländern in Spannung zur Politik des jeweiligen Staates, wenngleich in unterschiedlicher Art und Weise. Schon das Fehlen einer konfessionellen Konkurrenz machte den italienischen Katholizismus in seiner Position gegenüber dem Staat ungleich stärker als sein deutsches Pedant.

Aber auch Ähnlichkeiten kommen zur Sprache wie der Mangel an Massenrückhalt bei den Eliten beider Länder - den laizistisch und liberalen in Italien wie den preußisch-monarchistisch und protestantischen in Deutschland. In beiden Ländern habe sich ein katholisches und ein sozialistisches Milieu ausgebildet und subkulturell eingekapselt. Auch bildeten sich in beiden Fällen militante Nationalismen heraus, wobei der deutsche Nationalismus wesentlich breitere Schichten erfasste, imperialer und vor allem genuin antisemitisch gefärbt war.

Für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg (S. 26-50) sieht Knox in der wirkungsmächtigen Beschwörung des Kriegskultes eine Annäherung in der politischen Kultur beider Länder. Strukturelle Probleme vertieften sich, so etwa der in Italien ausgeprägte Stadt-Land-Konflikt, der durch das Schicksal der bäuerlichen Frontsoldaten weiter forciert wurde. In Deutschland vertieften sich Klassengegensätze in der Kriegsgesellschaft. In beiden Fällen war nach dem Krieg eine fragmentierte Gesellschaft entstanden, beide Male erlebten die traditionellen Eliten einen (wenngleich graduell unterschiedlichen) Zusammenbruch ihrer Macht, die nationalen Bewegungen blieben radikal und unbefriedigt und hier wie dort entstand der Mythos von der neuen und reinen Elite des Frontkämpfers, dem die Linke an der "Heimatfront" angeblich in den Rücken gefallen sei. Das Weiterleben des Krieges in den Köpfen mit der Denkfigur des "politischen Soldaten" (S.37) und die Fragmentierung und Paralyse der Parlamente markiert die erste Phase des Zusammenbruches der beiden Nachkriegsgesellschaften, gefolgt von einer Phase der politisch-kulturellen Eroberung durch die jungen, charismatischen und paramilitärischen faschistischen Bewegungen. Knox parallelisiert hierbei die Vorreiterrolle Münchens und Bayerns für den Aufstieg des Nationalsozialismus mit der Rolle Mailands und Oberitaliens für den italienischen Faschismus. Die abschließende Phase des Untergangs der liberalen Regime setzt mit dem Juli 1922 beziehungsweise dem Juni 1932 ein und ist durch das Ende von Alternativen markiert, da die Entscheidungsträger in den alten Eliten und insbesondere das Offizierskorps beider Armeen nun vollends auf den Faschismus setzten.

Das zweite Kapitel konzentriert sich in einer faszinierenden Analyse auf das Wechselverhältnis von Außen- und Innenpolitik in den Regimen, um die Gemeinsamkeiten und Unterschiede beider Diktaturen herauszustellen. Am Beispiel Italiens zeigt Knox, wie etwa der faschistische Sieg über Äthiopien die Feindschaft des Regimes gegen die westlichen Mächte, die Intervention in Spanien, den Erlaß der Rassegesetze, die Parteikampagne gegen bürgerliche Ansprüche, die Annexion Albaniens und den Kriegseintritt von 1940 nach sich zog. Auch die Bemerkung, daß Hitler das soeben eroberte Polen als Labor für das interne rassistische Programm einer eugenischen Reinigung betrachtete, fügt sich in die Beobachtung von der typisch faschistischen Verklammerung der Innen- und Außenpolitik (S.106).

Wenngleich in beiden Fällen der Krieg dazu diente, die alten Eliten innenpolitisch auszuhebeln, so zeigt Knox in diesem Kapitel doch wichtige Unterschiede zwischen Italien und Deutschland. So wird die italienische Armee als die einzige Institution beschrieben, die Mussolini hätte ausschalten können (S. 80), während in Deutschland die alten Eliten schon von 1938 bis 1940 die Kapazität verloren hatten, Hitler zu bremsen. Die Reinstallation eines autoritären Regimes, wie es in Italien 1943 außerhalb der Republik Salò noch möglich war, war in Deutschland unmöglich geworden. Das alte Preußen ging mit Hitler unter (S. 108f.).

Das dritte Kapitel konzentriert sich nochmals mehr auf die Person Mussolinis und der Analyse der italienischen Außenpolitik. Mussolini erscheint hier als revolutionärer Fanatiker, der Innen- wie Außenpolitik durch dieselbe ideologische Brille sah (S.130). Knox zeichnet dabei die wechselvolle Geschichte der faschistischen Außenpolitik nach, die grundsätzlich eine aggressive Linie verfolgte. Der "Marsch zum Ozean" und die seit 1923 ständig steigenden Militärausgaben verdeutlichen dies, wobei Mussolinis Politik immer wieder von zwischenzeitlichen Friedenstaktiken (etwa 1924-28 oder 1930) durchgesetzt gewesen war (S. 120-129, 146). Die innere Aufrüstung und Züchtung einer kämpfenden Jugend schaukelte sich mit einer geopolitisch ausgerichteten und ideologisch verbrämten Außenpolitik gegenseitig hoch: "Fascist wars and Fascist revolution were dialectically intertwined in an upward spiral of violence" (S.146).

Das vierte und fünfte Kapitel befassen sich mit der unterschiedlichen Kampfkraft der italienischen und deutschen Armee. Während Italien nur über eine schlecht ausgerüstete, kaum geschulte, konzeptionslose und desorganisierte Armee verfügte, die zudem durch eine chaotische Kriegsproduktion im Lande schlicht und einfach ineffektiv war, stellt Knox bei der preußischen Armee ihre kompetente Ausbildungspolitik heraus, die seit den napoleonischen Kriegen in der Tradition einer größtmöglichen Selbstständigkeit des einzelnen Offiziers stand. Den militärischen Operationen der Italiener fehlte so gut wie alles: Schnelligkeit, Kräftekonzentration an strategisch wichtigen Punkten, Koordination, Kreativität der Führung, effektive und schnelle Kommunikation, Mechanisierung und Feuerkraft oder eine gute Ausbildung der Einheiten. Misstrauen beherrschte die Stimmung im Offizierskorps (S. 160f.). Das war in Deutschland anders. Die Nationalsozialisten hatten sich die traditionelle Selbstständigkeit der preußischen Offiziere zunutze gemacht und ihre Staatsloyalität durch eine als revolutionär ausgegebene Gleichberechtigungspolitik noch weiter verstärkt. In steigendem Maße eröffneten sich auch den nichtbürgerlichen Offiziersanwärtern ohne Abitur neue Karrierechancen. Dies schuf eine Bindung an die Wehrmacht, die die Treue des zunehmend verjüngten Offizierkorps bis in die Jahre 1944/45 erklärlich macht. Die Ideologisierung der deutschen Armee ging mit ihrer sozialen Öffnung einher.

MacGregor Knox’ brillante Analysen zeichnen sich durch klare Thesen aus, die in deutlicher Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur formuliert werden. Zuweilen ist der Ton seiner Kritik polemisch, wie in den Bemerkungen zur Sonderwegsthese (S. 7-13) oder zu den Faschismustheorien (S. 53-59), die schlicht als "failed concept" (S. 56) bezeichnet werden, obwohl Knox an deren Stelle lediglich ein personalistisches Konzept vorschlägt: "Fascist and National Socialist ideologies were not expressions of particular classes and groups, but [...] above all the creation of individuals: Mussolini and Hitler [...] The dictators were the doctrine" (S. 57). Lohnender erscheint dagegen eine Verknüpfung von sozial- und kulturhistorischen Ansätzen durch eine konsequent handlungstheoretische Analyse des Faschismus, für die diese Aufsatzsammlung viele weiterführende Anregungen bietet.

Sven Reichardt, Berlin





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