ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Jörg Vögele, Wolfgang Woelk (Hrsg.), Stadt, Krankheit und Tod. Geschichte der städtischen Gesundheitsverhältnisse während der epidemiologischen Transition (vom frühen 18. bis ins frühe 20. Jahrhundert) (=Schriften zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Band 62), Duncker & Humblot, Berlin 2000, 519 S., geb., 104 DM.

Hinter den drei prägnanten Stichworten des Titels verbirgt sich ein interdisziplinäres Forschungsfeld, dass die Beiträge dieses Sammelbandes auf anspruchsvolle Weise behandeln. Der Untertitel deutet an, gemeinsamer Bezugspunkt der Beiträge ist die epidemiologische Transition vom frühen 18. Jahrhundert bis in die ersten beiden Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. Gemeint sind der kontinuierliche Anstieg der Lebenserwartung, die sinkenden Sterbeziffern und der Wandel der Todesursachen in dem genannten Zeitraum von ca. 200 Jahren. Die Forschung machte bisher Verbesserungen in der medizinischen Versorgung und in der Ernährung für diesen Wandlungsprozess verantwortlich, der sich in ganz Westeuropa und in Nordamerika beobachten lässt. Die Städte als am dichtesten besiedelte Gebiete, als soziale Brennpunkte der Industrialisierung, haben in diesem Zusammenhang das besondere Interesse auf sich gezogen. Überragten die Sterblichkeitsraten in den Städten bis zum Ende des 19. Jahrhunderts diejenigen des flachen Landes noch erheblich, so schwächte sich diese Tendenz seit den 1870er-Jahren deutlich ab. Die Herausgeber dieses Sammelbandes stellen diesen Rückgang der Sterblichkeitsziffern in den Städten mit dem im ausgehenden 19. Jahrhundert einsetzenden Ausbau des öffentlichen Gesundheitswesens in städtischer Regie in ursächlichen Zusammenhang. Um empirisch gesicherte Erkenntnisse zu gewinnen, sind ihrer Ansicht nach sowohl interdisziplinäre als auch international vergleichende Studien erforderlich.

Folgerichtig versammeln sie im vorliegenden Band Beiträge von Autoren aus der Geschichtswissenschaft, den Gesundheitswissenschaften, den Wirtschaftswissenschaften sowie der Bevölkerungswissenschaft und sprengen dabei den nationalen Rahmen. Auch Engländer, Schweden, Schweizer und Niederländer präsentieren ihre Forschungsergebnisse.

In ihrer kundigen und für den Außenstehenden verständlichen Einführung umreißen die Herausgeber die Entstehungsgeschichte dieses Bandes, der aus einer Tagung hervorgegangen ist. Sie fassen den internationalen Forschungsstand zusammen und erläutern den Stellenwert der Beiträge dieses Bandes im Kontext der Erforschung der epidemiologischen Transition. Die Beiträge sind auf drei Sektionen aufgeteilt. Die erste Sektion befasst sich mit der Entwicklung der städtischen Gesundheitsverhältnisse vom späten 17. Jahrhundert bis zur Hochindustrialisierung. Dieser erste Teil des Bandes versammelt Lokalstudien einzelner deutscher und englischer Städte sowie breiter angelegte Beiträge zu deutschen und britischen epidemiologischen Trends. Die Aufsätze lassen erkennen, vor welche methodischen und interpretatorischen Probleme die Rekonstruktion der Sterblichkeitsentwicklungen steht. Dies gilt besonders für die Differenzierung nach Geschlecht, nach regionaler oder sozialer Herkunft oder nach Todesursachen. Wie die Liverpool Bill of Mortality von 1772 zeigt, sind die zeitgenössischen Krankheitsdefinitionen für den Historiker nicht mehr auf ihre Kriterien hin überprüfbar. Noch bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren Krankheiten der Atemwege einschließlich Tuberkulose und der Verdauungsorgane die häufigsten Todesursachen in den deutschen Städten.

Der zweite Hauptteil des Bandes behandelt den Einfluss sanitärer Reformen in den Städten auf den Sterblichkeitswandel: Die Autoren dieser Sektion untersuchen die Luftverschmutzung, die Stadtplanung, die öffentlichen Wasch- und Badehäuser, aber auch die Finanzierung von Verbesserungen der städtischen Infrastruktur. Zunehmend geraten auch die langfristigen Auswirkungen von Epidemien (Cholera und Typhus) auf den sozialen Wandel in den Städten ins Blickfeld der Forschung, wie zwei Aufsätze dieses Hauptteils zeigen.

Die dritte Sektion widmet sich dem Einfluss der sozialen und medizinischen Versorgung auf den Sterblichkeitswandel. Das thematische Spektrum der Beiträge reicht von der Gewerbehygiene, der späteren Arbeitsmedizin, über die Einbindung der Allgemeinen Krankenanstalt in Bremen in die Kontrolle der Auswanderer bis zur Organisation der Krankenversicherung im internationalen Vergleich. Der Band enthält eine Vielzahl von Tabellen und Grafiken. Man vermisst ein Abkürzungsverzeichnis, das einem das umständliche Suchen nach der Ersterwähnung der Abkürzung in den Anmerkungen des jeweiligen Beitrages ersparen würde.

Elke Hauschildt, Koblenz





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