ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Mario Frank, Walter Ulbricht. Eine deutsche Biografie, Siedler-Verlag, Berlin 2001, 539 S., geb., 48 DM.

Die vorliegende Ulbricht-Biografie schließt eine Lücke in der historischen Forschung zur deutschen Nachkriegsgeschichte nach 1945. Zum ersten Male wird aufgrund des nach der deutschen Wiedervereinigung zugänglichen Quellenmaterials aus den Parteiarchiven der SED und aus russischen Archiven das Bild des Mannes gezeichnet, den man als den eigentlichen Gründer der DDR und prominentesten Gegenspieler Konrad Adenauers im kommunistischen Teil Deutschlands betrachten darf. Auch die Aussagen von Familienangehörigen, Mitarbeitern aus dem engeren Kreis und hohen Parteifunktionären ermöglichen es nun besser das Bild dieser wahrscheinlich noch lange umstrittenen Persönlichkeit nachzuzeichnen. Erstmalig wurden zu dieser Thematik Akten der Kommunistischen Internationale, des Staatsrates der DDR und des Sächsischen Landtages in der Zeit der Weimarer Republik ausgewertet. Ein ausführlicher Anmerkungsteil, eine umfangreiche Bibliografie sowie ein Abkürzungsverzeichnis und ein Personenregister machen das Werk auch zu einem wertvollen Hilfsmittel für alle, die sich aus beruflichen Gründen oder persönlichem Interesse mit der Geschichte der SBZ und der frühen DDR beschäftigen.

Vor dieser Biografie gab es in der alten Bundesrepublik nur ein einziges bedeutendes Werk dieser Art von Carola Stern aus dem Jahre 1964. Mario Frank schreibt selbst im Nachwort, dies sei der Maßstab, "an dem sich Publikationen über Walter Ulbricht messen lassen müssen". Die in der DDR erschienenen Werke – so die Biografie von Heinz Voßke - waren im ungünstigsten Fall Bestandteil des Personenkults, den Ulbricht als Ersatz für mangelnde Popularität um sich selbst inszenierte – auch in dieser Hinsicht ein Nachahmer seines Vorbildes Josef Stalin – und im günstigsten Falle von starker Rücksichtnahme auf die offizielle Partei- und Staatsräson geprägt.

Durch die neu erschlossenen Quellen wird es möglich, die Machtkämpfe innerhalb der KPD während der Weimarer Zeit, die erbärmliche Lage der deutschen kommunistischen Emigration in Moskau während der Zeit der stalinistischen Säuberungen sowie die Zusammenarbeit der deutschen Kommunisten mit der sowjetischen Besatzungsmacht in den Jahren 1945 – 1949 noch deutlicher aufzuzeigen, als in vorangegangenen historischen Werken. Deutlicher als bisher werden auch die internen Machtkämpfe in der kommunistischen Parteihierarchie aufgezeigt, die skrupellosen Methoden, mit denen Ulbricht seine parteiinternen Gegner entmachtete.

Mario Frank zeichnet das Bild eines ehrgeizigen und machtbesessenen Politikers mit geradezu unerschöpflichem Arbeitseifer und von enormem Fleiß. Der am 30. Juni 1893 in Leipzig geborene Sohn eines Schneiders hatte 1907 seine Schulzeit beendet und begann eine Lehre als Möbeltischler, die er 1911 abschloss. Im Sommer 1907 wurde er Mitglied des Arbeitersportvereins "Eiche", trat 1908 dem Arbeiterjugendbildungsverein Alt-Leipzig und 1912 der SPD bei. Während des Ersten Weltkrieges sympathisierte er mit dem linken Flügel der Partei um Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Im Ersten Weltkrieg diente er als Infanterist in Serbien und Mazedonien und desertierte gegen Kriegsende. Ab Mitte November 1918 war er wieder in Leipzig.

Am 7. Februar 1920 heiratete er zum ersten Mal. Im Dezember 1920 wurde er Mitglied der KPD und bereits im Juni 1921 zum politischen Sekretär des KPD-Bezirks Groß-Thüringen gewählt. 1922 reiste er als Delegierter zum Vierten Weltkongress der Komintern nach Moskau. Es folgte ein steiler Aufstieg in der Parteihierarchie - ZK der KPD und Mitglied des Militärrates der KPD, den die Parteiführung auf Befehl Moskaus mithilfe sowjetischer Militärberater installiert hatte. 1924 wurde Ulbricht, der seit Herbst 1923 wegen Hochverrats in Deutschland polizeilich gesucht wurde, Mitarbeiter der Komintern in Moskau. Nach Absolvierung eines Kurses auf der Komintern-Schule, unter anderem in Konspiration und "illegaler Arbeit" wurde er Mitarbeiter des Sekretärs für Organisationswesen, Pjatnitzkij. In Moskau trat er der Kommunistischen Partei Russlands bei. Anfang 1926 kehrte er im Auftrag der Komintern nach Deutschland zurück. Er wurde in den Sächsischen Landtag und im Mai 1928 für den KPD-Bezirk Westfalen-Süd in den Deutschen Reichstag gewählt, jedoch verbrachte er einen großen Teil seiner Mandatszeit in Moskau, wo er die KPD beim EKKI (Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale) zu vertreten hatte.

Im November 1929 übernahm Ulbricht die Leitung des KPD-Bezirks Berlin-Brandenburg. In dieser Eigenschaft forderte er die Arbeiterschaft zum bewaffneten Kampf gegen die Weimarer Republik und zur Errichtung "Sowjetdeutschlands" auf. Daher leitete der Oberreichsanwalt beim Reichsgericht ein Ermittlungsverfahren gegen ihn wegen Vorbereitung zum Hochverrat ein. Nach der Aufhebung seiner parlamentarischen Immunität im März 1931 wurde er im September 1931 zu zwei Jahren Festungshaft verurteilt. Wegen erneuter Wahl in den Reichstag im Dezember 1931 und einer Amnestie im September 1932 musste Ulbricht jedoch diese Strafe nicht antreten.

An dem von Erich Mielke und anderen verübten Mord an den beiden Berliner Polizisten Anlauf und Lenck war Ulbricht - nach Frank - zumindest als billigender Mitwisser der Aktion beteiligt. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland hielt sich Ulbricht zunächst noch längere Zeit in Berlin auf und emigrierte im Oktober 1933, zunächst nach Moskau, darauf nach Paris, wo er gemeinsam mit Wilhelm Pieck und Wilhelm Florin die Exilführung der KPD aufbaute. Es folgte im Juli 1935 die Teilnahme am VII. Weltkongress der Komintern in Moskau und an der so genannten "Brüsseler Konferenz" der KPD, die in Wirklichkeit in einem Moskauer Vorort stattfand. Von 1935 –1939 leitete er die Tätigkeit der kommunistischen deutschen Emigration in Prag, danach wurde er aufgrund eines gegen ihn von Willi Münzenberg eingeleiteten Parteiverfahrens nach Moskau zitiert. Ulbricht konnte zwar die gegen ihn erhobenen Vorwürfe der früheren Zugehörigkeit zu einer "trotzkistisch-bucharinistischen" Gruppe entkräften, aber es wurde ein Aufenthalt von sieben langen Jahren für ihn in Moskau. Gemeinsam mit den anderen emigrierten KPD-Führern billigte er jede Maßnahme Stalins, auch den Hitler-Stalin-Pakt.

Nach Beginn des deutsch-sowjetischen Krieges im Jahre 1941 stand sein Name auf einer Sonderfahndungsliste des Reichssicherhauptamtes zu finden und bereits im Jahre 1937 hatte ihm das Dritte Reich durch Veröffentlichung im Reichsanzeiger die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen. Nach Kriegsausbruch rief Ulbricht über das deutschsprachige Programm von Radio Moskau das deutsche Volk zum Sturz des Hitler-Regimes auf. Im Auftrag der Roten Armee leistete Ulbricht auch Propagandaarbeit in deutschen Kriegsgefangenenlagern. Von November 1942 bis Januar 1943 hielt sich Ulbricht an der Stalingradfront auf und versuchte deutsche Soldaten durch Lautsprecherpropaganda zum Überlaufen auf die sowjetische Seite zu bewegen. Hierzu musste er sich in unmittelbare Schussweite der Wehrmacht, also in Lebensgefahr, begeben. Hier lernte Ulbricht auch erstmalig Chrustschow kennen, dessen Spott er über sich ergehen lassen musste : "Na, Genosse Ulbricht, es sieht nicht so aus, als ob Sie heute ihr Abendbrot verdient hätten. Es haben sich keine Deutschen ergeben."

Im Mai 1943 erhielt Ulbricht für seine Tätigkeit an der Stalingrad-Front eine sowjetische Kriegsauszeichnung. Obwohl Erich Weinert nominell als Präsident des im Juli 1943 gegründeten "Nationalkomitees Freies Deutschland" fungierte, hielt Ulbricht als "Leiter der operativen Abteilung des NKFD" die Fäden dieser Organisation in der Hand. Schließlich gelang es dem "Nationalkomitee", 50 kriegsgefangene deutsche Generale, an ihrer Spitze Generalfeldmarschall Paulus zu einem Aufruf an "Volk und Wehrmacht" zu bewegen in dem zum Sturz des Hitler-Regimes aufgefordert wurde. Im September 1944 wurde Ulbricht mitgeteilt, dass er nach der absehbaren Niederlage des Hitler-Regimes für einen Einsatz in Deutschland vorgesehen sei. Am 30. April 1945 landete die "Gruppe Ulbricht" auf einem provisorischen russischen Militärflughafen in der Nähe von Berlin. Am 1. Mai 1945 kehrte Ulbricht in die noch hart umkämpfte und brennende deutsche Reichshauptstadt zurück.

Ulbricht wurde Mitarbeiter der Politischen Hauptverwaltung der Roten Armee. Seine Aufgabe bestand darin, die sowjetische Besatzungspolitik gegenüber dem besiegten Deutschland effizient umzusetzen. Zu den ihn wichtigsten Erfolgen in dieser Hinsicht zählten die Etablierung eines kommunistisch unterwanderten Berliner Magistrats im Jahre 1946, die Zwangsvereinigung von SPD und KPD in der SBZ im April 1946, die Umwandlung der SED in eine Partei "neuen Typus" im Jahre 1948 und die Gründung der DDR am 7. Oktober 1949. Sein wichtigstes Ziel, die Errichtung eines kommunistischen Staates in Deutschland, musste Ulbricht allerdings zunächst noch zurückstellen. Stalin hoffte immer noch Einfluss auf Westdeutschland und damit auf die wirtschaftlichen Ressourcen von Rhein und Ruhr zu gewinnen und strebte wohl eine Art "Finnlandisierung" ganz Deutschlands an. So glich auch die frühe DDR formal einer eher stark links geprägten bürgerlichen Demokratie ("antifaschistisch-demokratische Ordnung") als einer kommunistischen Diktatur – auch wenn die Weichen schon längst gestellt waren. Erst 1952 bekam Ulbricht die endgültige Genehmigung für die Sowjetisierung der SBZ, die unter der Bezeichnung "Aufbau des Sozialismus in der DDR" der Bevölkerung auf der 2. Parteikonferenz der SED verkündet wurde.

1953 schien das Glück allerdings den sächsischen Diktator zu verlassen. Im März 1953 starb Stalin und am 17. Juni 1953 kam es zum Volksaufstand in der DDR, der nur mithilfe sowjetischer Panzer niedergeschlagen werden konnte. Hatte man vorher in der Sowjetunion überlegt, den übereifrigen Sachsen abzusetzen, so musste man ihn nun stützen – denn die Aufständischen hatten ja seine Absetzung gefordert. Die nachfolgenden Jahre mit "Neuem Kurs" und Entstalinisierung ab 1956 wurden zu Krisenjahren für die DDR. Ulbricht behielt jedoch auch in diesen Jahren die Zügel fest in der Hand und zerschlug die innerparteiliche Opposition. Auf dem 5. Parteitag der SED im Sommer 1958 verkündete er als Ziel die Bundesrepublik Deutschland wirtschaftlich einzuholen und zu überholen. Das politische Ziel dieses ehrgeizigen Vorhabens bestand offensichtlich in der Errichtung eines sozialistischen Modellstaates für ganz Deutschland. 1960 wurde er nach dem Tode des Staatspräsidenten Wilhelm Pieck Staatsratsvorsitzender und erreichte damit den Höhepunkt seiner politischen Macht. Sorge bereitete ihm jedoch die Massenflucht aus der DDR und so drängte er die Sowjetunion und die anderen Ostblockstaaten zur militärischen Abschottung der Westgrenzen und der Grenze zu Westberlin. Am 13. August 1961 wurde die Berliner Mauer errichtet. Nach dem Mauerbau folgt eine kurze Periode der Liberalisierung in der DDR, die mit dem so genannten "Kahlschlag-Plenum" Ende 1965 endete. 1968 gehörte Ulbricht zu den ideologischen Wegbereitern des sowjetischen Einmarsches in die CSSR. Seine letzten Amtsjahre 1969–1971 waren von Machtkämpfen mit seinem potenziellen Nachfolger Erich Honecker geprägt, der in Moskau gegen ihn intrigierte. Am 27. April 1971 erklärte er unter dem Druck der Honecker-Fraktion seinen Rücktritt vom Amt des Staatsratsvorsitzenden. Walter Ulbricht starb am 1. August 1973 . Eine Woche später gab es in Berlin ein feierliches Staatsbegräbnis unter überraschend großer Anteilnahme der Bevölkerung. Am 17. September 1973 wurde die Urne Ulbrichts an der Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde beigesetzt.

Mario Frank hat in seiner Biografie das Bild eines eiskalten und vor keiner Brutalität zurückschreckenden Politprofis gezeichnet, der zu keiner echten familiären oder freundschaftlichen Bindung fähig war, weil er alle persönlichen Beziehungen seinen politischen Zielsetzungen unterordnete. Allerdings wird auch deutlich, dass Ulbricht nicht immer der sowjetische Apparatschik war, sondern eine Persönlichkeit mit eigenständigen politischen Vorstellungen und Reformansätzen sowie mit einer starken gesamtdeutschen Komponente in der Deutschland- und Westpolitik der DDR, die bereits bei seinem Nachfolger Erich Honecker nicht mehr zu finden war.

Mario Frank hat seine Ulbricht-Biografie "für eine breitere Öffentlichkeit" bestimmt, gibt aber im Nachwort auch der Hoffnung Ausdruck, dass es auch für "die Wissenschaft von Nutzen sein" möge. Dem wird man sicherlich zustimmen können, auch wenn man sich gelegentlich für das eine oder andere Zitat einen Beleg durch eine exakte Quellenangabe gewünscht hätte oder manche Formulierung etwas zu pointiert wirkt. Gleichwohl wird dieses Werk in Zukunft wahrscheinlich das zentrale Standardwerk zu Walter Ulbricht sein und bleiben.

Johann Frömel, Nürnberg





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