ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Birgit Bublies-Godau (Hrsg.), "Dass die Frauen bessere Democraten, geborene Democraten seyen...". Henriette Obermüller-Venedey. Tagebücher und Lebenserinnerungen 1817-1871 (Forschungen und Quellen zur Stadtgeschichte, Schriftenreihe des Stadtarchivs Karlsruhe, Band 7), Badenia Verlag, Karlsruhe 1999, 278 S., kart., 32 DM.

Die von der Forschung lange vernachlässigte Rolle von Frauen in der Revolution von 1848/49 gehört zu jenen Themenfeldern, denen im Zuge des Revolutionsjubiläums von 1998 eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Henriette Obermüller-Venedey, 1817 in Karlsruhe als Tochter eines frei denkenden Beamten geboren, ist zweifellos eine der bemerkenswertesten Frauengestalten der Revolution von 1848/49. Sie engagierte sich seit Frühjahr 1848 in der badischen Demokratenbewegung, gründete 1849 einen "Verein der Demokratinnen Durlachs" und wirkte an der badischen Reichsverfassungskampagne mit. Obwohl auch Henriette Obermüller-Venedey unter den Verfolgungen der Reaktionszeit zu leiden hatte, blieb sie in den folgenden Jahrzehnten eine Vorkämpferin eines demokratischen Deutschland und engagierte sich in den Sechzigerjahren in der internationalen Frauenbewegung. Nach dem Tod ihres ersten Mannes heiratete sie 1854 den Demokraten Jakob Venedey, der 1848/49 in der Paulskirche gesessen hatte und die alten Ziele auch gegen die Bismarck'sche Einigungspolitik entschieden verteidigte.

Im Zuge der Arbeiten an einer Dissertation über das Leben und Wirken Jakob Venedeys ist die Herausgeberin auf die im Familienbesitz befindlichen Tagebücher und Lebenserinnerungen Henriettes gestoßen. Die Tagebücher beziehen sich auf die Jahre 1856 bis 1870. Die Lebenserinnerungen sind in den Jahren 1870/71 verfasst worden. Der erste Teil des Bandes enthält eine anschauliche biografische Einführung zu Henriette Obermüller-Venedey sowie Hinweise auf die Editionsprinzipien. Im zweiten Teil folgen die autobiografischen Texte. Das edierte Quellenmaterial gibt zum einen Aufschluss über das politische Wirken dieser mutigen Frau, vermittelt zum anderen aber auch eindrucksvolle Einblicke in das alles andere als einfache Alltagsleben.

In den Lebenserinnerungen von Henriette Obermüller-Venedey dominiert zunächst ganz die private Seite. Sie beschreibt ihre Kindheit in Durlach und die Umstände, die 1837 zur ersten, kinderlos gebliebenen Ehe mit ihrem Verwandten Gustav Obermüller führten. Das Paar zog für einige Jahre nach Le Havre und kehrte 1845 nach Durlach zurück. 1848/49 engagierten sich beide Ehepartner in der badischen Revolution. Während man politisch für die gleichen Ziele eintrat, war das Eheleben der Obermüllers durch zahlreiche Konflikte geprägt. Trotz der Demütigungen, die ihr der Ehemann immer wieder zufügte, hat Henriette an der Ehe fest gehalten und ihren politisch verfolgten Mann unterstützt. Die zweite Ehe, die Henriette nach dem Tod von Gustav im Jahre 1854 mit Jakob Venedey einging, war dagegen von Anfang bis zum Ende von einem hohen Maß an gegenseitiger Zuneigung und Respekt bestimmt. Henriette kam zwar den Interessen des publizistisch und politisch sehr aktiven Ehemannes weit entgegen, kümmerte sich nicht nur um die familiären Pflichten, sondern konnte mit der 1860 im badischen Oberweiler eingerichteten Pension eine bescheidene finanzielle Grundlage für die Ernährung der Familie schaffen. Jakob Venedey hatte sich 1854 in Zürich im Fach Geschichte habilitiert, konnte aber als Privatdozent mit seinen Vorlesungen und historischen Abhandlungen nicht die zum Familienunterhalt notwendigen Mittel erwirtschaften. Dennoch war die Paarbeziehung der Venedeys weniger von den üblichen bürgerlichen Weiblichkeitsidealen, sondern von einer weit gehenden Gleichberechtigung geprägt, die Henriette Raum für eigene emanzipatorische Aktivitäten ließ.

Neben den privaten Aspekten, die auch in den 1856 mit der Geburt des ersten Sohnes Michael einsetzenden Tagebücher dominieren, enthalten die editierten autobiografischen Quellen zugleich wichtige Aufschlüsse über das politische Engagement der Venedeys und ihre entsprechenden Netzwerke. Bemerkenswert ist, wie sehr sich die durch das politische Engagement begründete Freundschaften auch im Privatleben niederschlugen. So unterstützten Gesinnungsgenossen wie der Nationalökonom Bruno Hildebrand und andere in den Sechzigerjahren die Familie Venedey auch in materieller Hinsicht, vor allem auch 1869 nach einem Brandanschlag auf das Pensionsgebäude in Oberweiler, wo ein Teil der Einheimischen den zugezogenen Venedeys alles andere als freundlich gegenüber stand.

Es ist außerordentlich zu begrüßen, dass sich Birgit Bublies-Godau im Jahr des Revolutionsjubiläums zu einer Edition entschlossen hat, durch die erstmals alle autobiografischen Schriften der badischen Revolutionärin und frühen bürgerlichen Politikerin in einer originalgetreuen, vollständig transkribierten und hervorragend kommentierten Ausgabe zusammengefasst sind. Insgesamt bietet die durch umfangreiches Bildmaterial ergänzte und mit einer dichten, sehr sachkundigen Kommentierung ausgestattete Edition somit sowohl für die politische Geschichte als auch für die Geschlechtergeschichte und Alltagsgeschichte des 19. Jahrhunderts eine Fülle von Anregungen.

Hans-Werner Hahn, Jena





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