ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Elisabeth Weinberger, Waldnutzung und Waldgewerbe in Altbayern im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert (=Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beiheft 157), Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2001, 315 S., kart., 120 DM.

Der Wald ist längst nicht mehr nur Gegenstand der Forstwissenschaften. Auch kulturwissenschaftliche Disziplinen befassen sich seit einigen Jahren zunehmend mit der Bedeutung des Waldes als wirtschaftlichem, kulturellem und sozialem Handlungsraum - darunter nicht zuletzt die Geschichtswissenschaft. Die vorliegende Dissertation widmet sich einem bisher wenig beachteten, gleichwohl wichtigen Aspekt der Waldgeschichte: dem der gewerblichen Waldnebennutzung. Zeitlich konzentriert sich die Arbeit auf das 18. und frühe 19. Jahrhundert, regional auf Altbayern ohne Oberpfalz. Inhaltliche Schwerpunkte sind das Pecheln und das Pottaschesieden. In ihrem einleitenden, Forschungsgegenstand und Begriffe definierenden Kapitel betont die Autorin, dass im 18. Jahrhundert die Waldnutzung erstmals begrifflich in Haupt- und Nebennutzung unterschieden wurde. Das bedeutete eine Abwertung der Waldnebennutzung gegenüber dem Gewinn von Nutzholz und damit einen Bruch mit der tradierten Einbindung des Waldes in das tägliche Leben. Folge dieser Sichtweise war eine zunehmende Reglementierung und - zumindest versuchte - Einschränkung der Waldgewerbe.

In der anschließenden Skizzierung des Forschungsstandes kritisiert die Autorin Forst-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, die alle das Thema der gewerblichen Waldnebennutzung vernachlässigt hätten. Der Umweltgeschichte bescheinigt sie zwar, mit der "Holznotdebatte" einen neuen Zugang zur Waldgeschichte eröffnet zu haben. Dennoch lehnt sie einen umweltgeschichtlichen Ansatz für ihre Arbeit ab. Ihr "Hauptaugenmerk gilt den gesellschaftlich-sozialen und ökonomischen Prozessen, in welche die gewerblichen Waldnebennutzungen eingebunden sind. Die Anwendung des umweltgeschichtlichen Ansatzes auf die Problematik der gewerblichen Waldnebennutzung müsste zu einer Fragestellung führen, die schwerpunktmäßig die Folgen dieser Gewerbetätigkeit für die natürliche Umwelt thematisiert, beispielsweise die langfristigen Folgeerscheinungen speziell zum Zweck der gewerblichen Nutzung angelegter Fichten- oder Eichenmonokulturen" (S.45). Damit werde jedoch ihr Thema nur unvollständig erfasst. Einen mentalitätsgeschichtlichen Ansatz, wie ihn Joachim Allmann vertritt, hält sie für geeigneter. Dessen These von der Existenz zweier "Wirklichkeitswahrnehmungen" (S.46) erlaube es, das Thema der Waldnebennutzung in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Als ihr "Erkenntnisinteresse" formuliert die Verfasserin schließlich: "Die Untersuchung der gewerblichen Waldnebennutzungen bietet die Möglichkeit, sich ... mit dem Verhältnis der Gesellschaft zu ihrer natürlichen Umwelt, die zugleich auch ihre einzige Rohstoffquelle ist, auseinander zu setzen" (S.50). Ihr Ziel ist die Analyse von Motiven und Verhalten "zweier gänzlich unterschiedlicher Gesellschaftsgruppen", der landesherrlichen Obrigkeit zum einen, der Gewerbeausübenden zum anderen. Das Spannungsfeld sieht sie gegeben durch das Schadenspotenzial dieser Gewerbe für den Wald zum einen, zum anderen durch die Unentbehrlichkeit der von den Waldgewerben erzeugten Rohstoffe, zum Dritten durch die Bedeutung dieser Gewerbe für die Existenzsicherung einer am Rande der Gesellschaft stehenden Schicht. Angemerkt sei, dass mit dieser Fragestellung die Kritik der Autorin an umwelthistorischen Fragestellungen nicht nachvollziehbar ist.

Der Hauptteil der Arbeit gliedert sich in fünf Kapitel. Im ersten skizziert die Autorin "strukturgeschichtliche Rahmenbedingungen und historisches Umfeld", die bekannte zeitgenössische Literatur sowie einschlägige Sekundärliteratur verwendend. Im zweiten Kapitel schildert sie mit Begeisterung für Details die "Technologie der Rohstofferzeugung", gestützt auf gedrucktes zeitgenössisches Quellenmaterial. Die Autorin legt dar, dass gegen Ende des 18. Jahrhunderts ein wissenschaftlich fundierter Kenntnisstand über die durch die gewerblichen Waldnutzungen bewirkten Waldschäden erreicht war. "Den Konflikt zwischen dem Wissen um die negativen Folgen und der unbestrittenen Unentbehrlichkeit der Produkte, die diese Gewerbe erzeugten, versuchte man durch Reglementierung und Kontrolle in den Griff zu bekommen" (S.145).

Das dritte Kapitel kämpft mit Quellenschwierigkeiten: "Verbreitung und ökonomische Bedeutung der gewerblichen Waldnebennutzung" lassen sich mangels quantifizierbaren Quellenmaterials nicht erschließen, so das Fazit der Autorin nach der Analyse zeitgenössischen gedruckten Quellenmaterials, verschiedener Forstrechnungen und der jüngst zugänglich gemachten Rechnungen des Hofbräuhauses München. Im vierten Kapitel analysiert die Autorin "normative Grundlagen und obrigkeitlich-landesherrliche Strategie." Quellengrundlage sind Verwaltungsakten, Forstordnungen und Mandate. Da sie die Gesetzgebung bis in das 16. Jahrhundert zurück verfolgt, kann sie zeigen, dass die Versuche, die Waldnebennutzung zu reglementieren, einzuschränken und damit abzuwerten, durchaus keine Erfindung des 18. Jahrhunderts waren. Kennzeichnend für das 18. Jahrhundert war, dass die Zahl der Regelungen anstieg und diese nun meist mit einer Holznot begründet wurden. Auf die Frage, ob die Holznot Realität oder interessensgeleitete Behauptung war, mag die Autorin bewusst keine Antwort geben. Sie kommt jedoch zu dem Ergebnis, dass diese Begründung wenig geeignet war die Regelungen den Waldgewerbetreibenden plausibel zu machen. Dazu habe die Obrigkeit selbst zu oft den Forstschutzgedanken missachtet, sei es aus Jagdinteressen, aus baulich-repräsentativen Gründen, aus wirtschaftlichen Motiven oder aus der Fürsorgepflicht heraus, den Waldgewerblern die Sicherung ihrer kargen Existenz zu ermöglichen.

Im letzten Kapitel widmet sich die Autorin der "Taktik der Gewerbeausübenden", ihrer "Alltagsbewältigung" und ihrem "sozialen Umfeld". Quellengrundlage sind Supplikationen, Protokolle und gutachtliche Berichte der Unterbehörden, insbesondere zwei Bestandsaufnahmen zum Pecheln und Pottaschesieden aus den Jahren 1750 und 1783. Die Taktik der Geweberausübenden, ihre Wünsche gegenüber der Obrigkeit durchzusetzen, bestand darin, die Bedeutung ihres Gewerbes für ihre eigene Existenzsicherung sowie die Unentbehrlichkeit ihrer Produkte herauszustellen. Die Autorin skizziert die Arbeitsbedingungen der Gewerbetreibenden sowie die Vorwürfe und Vorurteile seitens der Gesellschaft, denen sie sich ausgesetzt sahen.

Das Schlussergebnis der Autorin: "Analysiert man [...] sowohl die Handlungsmotive der Gewerbetreibenden als auch die landesherrlich-obrigkeitliche Motivation, so ist auf der einen Seite die Sicherung des Lebensunterhalts als dominierendes Motiv zu erkennen, auf der anderen Seite ein Komplex von Motiven, in dem Machtausweitung und Machterhalt ebenso eine Rolle spielten wie die langfristige Sicherung des Waldes als Wirtschaftsfaktor. Insgesamt war sowohl das Verhalten der Gewerbetreibenden als auch der landesherrlichen Obrigkeit von einem breiten Spektrum von Motiven gekennzeichnet, das zwangsläufig zu Interessenkonflikten führen musste und Kompromisse erforderlich machte" (S.294).

Monika Bergmeier, Berlin





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