ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Dieter Marc Schneider, Johannes Schauff (1902-1990). Migration und "Stabilitas" im Zeitalter der Totalitarismen (=Studien zur Zeitgeschichte, Band 61), R. Oldenbourg Verlag, München 2001, 243 S., brosch., 77,84 DM.

Diese sorgfältig recherchierte und auf breiter Quellenbasis beruhende Biografie vermittelt weit über die Kenntnis einer interessanten Persönlichkeit hinausreichende Einsichten. Denn der hier beschriebene Lebenslauf lässt politische und soziale Strukturen erkennen, die als solche nicht leicht in den Blick des Historikers gelangen. Der Verfasser hat seine Arbeit angelegt als einen Beitrag "zur Erfahrung des Exils und seiner Wirkungsgeschichte nach 1945", wie eines der abschließenden Kapitel lautet. Weiterhin geht es ihm bei der individuellen Geschichte des Johannes Schauff um Erhellung von "Erfahrung und Handeln" eben jenes nach seiner Meinung von der Forschung noch nicht hinreichend berücksichtigten Segments deutscher Emigration, "bei dem Widerstand und Exil unter dem Nationalsozialismus in einem christlich-konservativen Bezugsrahmen standen" (S. 203).

Schauff, Sohn kleiner Leute aus niederrheinischem katholischen Bauernland, war während seines Studiums nicht allein mit Heinrich Brüning und Carl Sonnenschein in Berührung gekommen und in den Windthorst-Bunden tätig gewesen, sondern auch im "Reichskartell republikanischer Studenten" und mit der internationalen Friedensbewegung ebenso verbunden wie mit einer Gruppe "Religiöser Sozialisten". Sein Berufsweg machte ihn zum Fachmann der Binnenkolonisation, seine politische Karriere führte ihn 1932 in den Reichstag als Abgeordneten der Zentrumspartei, deren "Schicksalskurve" er einige Jahre zuvor in einer bahnbrechenden wahlsoziologischen Studie beschrieben hatte. Das Engagement für eine Wahlrechtsreform brachte ihm wiederum Verbindungen über die Partei- und Fraktionsgräben hinweg. Nach dem Machtantritt Hitlers wurde sein ererbter Bauernhof in der Eifel für Freunde wie Waldemar Gurian eine Station auf dem Weg ins Exil und ein Knotenpunkt erster oppositioneller Kontakte. Schauff selbst konnte als Siedlungsexperte noch weite Auslandsreisen unternehmen und in diesem Zusammenhang auch die Möglichkeiten erkunden, in Brasilien deutschen Emigranten als Farmer eine neue Existenz zu schaffen. In Kooperation mit Erich Koch-Weser gelang der Aufbau der deutschen Kolonie Rolândia, in der Schauff und seine Familie Zuflucht vor der wachsenden Bedrohung durch die Nationalsozialisten fanden. Seine Fazenda Vera Cruz machte Schauff zum wohlhabenden Mann, dem nach dem Zweiten Weltkrieg auf Grund seiner Leistungen und Verbindungen neue Aktionsmöglichkeiten zuwuchsen.

Anders als viele seiner Parteifreunde hatte Schauff sich stets ein positives Verhältnis zu seinem Fraktionsvorsitzenden Prälat Kaas bewahrt, der dem rheinischen Katholiken nicht nur später in Rom Wurzeln schlagen half, sondern ihn schon bald nach Kriegsende für die päpstlichen Hilfsorganisationen engagierte. Nach langen Erkundungsreisen 1951 wieder nach Europa zurückgekehrt, hätte Schauff durch den wiedergewonnenen Kontakt zu alten Parteifreunden leicht eine politische Karriere in der jungen Bundesrepublik einschlagen können; er zog es jedoch vor sich der internationalen Flüchtlingshilfe der katholischen Kirche als Vizepräsident der "International Catholic Migration Commission" zur Verfügung zu stellen. Das Problem der Südtiroler, die für Deutschland optiert hatten, aber doch in ihrer angestammten Heimat leben wollten, war für den in Sterzing (zusammen mit Kaas) angesiedelten Schauff eines der schwersten, die sich ihm in dieser Funktion stellten. Daneben blieb das alte politische Engagement erhalten, das sich sowohl in seinen Aktivitäten für die internationale Kooperation der christdemokratischen Parteien wie in manchen Beratungen mit Freunden in der Bundesrepublik von Heinrich Krone bis Herbert Wehner auswirkte. Dem alternden Heinrich Lübke, der ihm als Parteifreund wie als Siedlungsexperte nahe gekommen war, konnte er den Rat zum zeitigen Rücktritt geben. Die Entstehung der Kommission für Zeitgeschichte (ursprünglich an der Katholischen Akademie in Bayern) hat er durch seine vielfältigen Verbindungen ebenso gefördert wie die Versuche der SPD zum Vatikan in ein tragfähiges Verhältnis zu gelangen.

Einen weiteren großen Komplex der internationalen Aktivitäten Schauffs bildete sein Engagement im Zweiten Vatikanischen Konzil. Er hatte in Rom eine geräumige Wohnung genommen um eine Kontaktstelle zu schaffen, die ungezwungenen Gedankenaustausch ermöglichte. Zu den Ergebnissen solcher Bemühungen gehört auch sein Anteil am langsamen Entstehen einer kooperationsfähigen Atmosphäre zwischen dem deutschen und dem polnischen Episkopat, ohne die eine Versöhnung mit Polen nicht möglich war. Eine sichtbare Anerkennung seiner Verdienste war die Berufung in die päpstliche Kommission "Justitia et Pax", der er bis 1972 angehörte.

Schneider hat die Biografie Schauffs unter das Motto "Migration und Stabilitas" gestellt, um die Spannweite dieses Lebens deutlich zu machen: Dem mutig und fantasievoll eingeschlagenen Weg in die Fremde und der bunten, fast verwirrenden Vielfalt der Geschäfte stand als Widerlager eine festgegründete, dem der Latinität problemlos verbundenen rheinischen Katholiken Schauff leicht zugängliche Ordnungsvorstellung benediktinischer Stabilitas entgegen, die das Dasein an Pflicht und Regel bindet und im "ora et labora" ihre eindringlichste Formel gefunden hat.

Sinn und Wert von Schneiders Arbeit gehen freilich nicht in Biografie und Exilforschung auf. Zeigt sie doch nicht allein, was ein Mann zu leisten vermochte, sondern auch, wie diese Leistung ermöglicht oder erleichtert worden ist durch die von ihm nicht geschaffenen Bedingungen seines Wirkens. Darin Einsicht zu gewinnen, macht das Buch zusätzlich lesenswert.

Heinz Hürten, Eichstätt





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