ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Andreas Malycha: Die SED. Geschichte ihrer Stalinisierung 1946-1953. Paderborn-München-Wien-Zürich 2000, Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2000, 541 S., geb., 98 DM.

Zu Recht bemerkt der Verfasser einleitend, dass "eine eigentliche Organisationsgeschichte" der SED bislang fehle. Darunter will er einerseits die innerparteilichen Strukturveränderungen, andererseits die "Gleichschaltung" der Partei subsumiert wissen (S.43). Beides meint Deskription und Analyse "stalinistischer Herrschaftsstrukturen und Herrschaftsmechanismen". Um es vorweg zu nehmen: diesen Anspruch auf Rekonstruktion eines organisationsgeschichtlichen Umbruches von der (erzwungenen) Fusion des Jahres 1946 bis zu den Folgen der Krise im Sommer 1953 löst das Buch durchaus ein. Freilich unterbleibt in diesem Kontext eine eingehende Bestimmung des Schlüsselbegriffs der "Stalinisierung", zumal der Verfasser zuvor an anderer Stelle das Phänomen des Stalinismus bereits präziser umrissen hatte (vgl.: Die SED. Geschichte – Organisation – Politik. Ein Handbuch, hrsg. von Andreas Herbst, Gerd-Rüdiger Stephan, Jürgen Winkler, Berlin 1997, S. 3-5). Diese Begriffsbestimmung einer "stalinistischen" Partei wird im Fazit der Untersuchung erneuert und präzisiert – als Resultat der Umbrüche seit 1945/46 geltenden Charakteristik der SED von 1953 an (S. 514-516). Die Analyse konzentriert sich folglich auf den Prozeß der inneren Angleichung der SED an das Modell der "Stalinschen KPD" sowie der fortschreitenden Eliminierung solcher Organisationsstrukturen und Politikmuster, die von den aktuellen Zielen des Moskau-orientierten Führungskerns abwichen.

Das mündet in drei Schwerpunkte: erstens rücken damit die inneren Auseinandersetzungen in den Landesvorständen, aber auch in einigen Kreisvorständen, vor allem zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten einschließlich der Personalumbrüche in der Phase der "Säuberungen" in den Vordergrund, zweitens gilt dem Wandel im Parteiaufbau, die Beseitigung der anfänglichen Kompromissstruktur der Organisation besondere Aufmerksamkeit. Zum dritten bildet die mittlere Ebene der Parteihierarchie durchgängig den Schwerpunkt der Untersuchung, aus der plausiblen und quellengestützten Überlegung heraus, dass sich Widersprüche und Reibungsflächen hier am deutlichsten zeigten, gestützt noch die Anforderungen, Beschlüsse und "Anweisungen" der Parteiführung in die Realität umzusetzen.

Unter dieser Prämisse ergibt sich für Malycha eine beeindruckende Kette vom Druck auf die Sozialdemokraten zugunsten der Parteienfusion, einer anschließenden "schleichenden Stalinisierung" bis 1948, die dann unter dem Rubrum der "Parteien neuen Typus" in die "forcierte" übergeht. Überlagert wird das von einer Phase der "Säuberungen" bis 1951; während er mit dem Jahr 1952, mit einer veränderten "Kaderpolitik", einem weiteren Strukturumbruch, der Auflösung der Landesverbände und mit dem Beschluß der 2. Parteikonferenz die Stalinisierung vollendet sieht. Verlauf und Folgen des Arbeiteraufstandes im Juni 1953 bilden eigentlich nur noch die "Nachgeschichte" dieses Prozesses.

Für die erste Phase, die Vorgeschichte und Geschichte der Zwangsvereinigung, greift Malycha mehr als in den späteren Kapiteln auf die zentrale Ebene zurück – diese wird dann mit Rückgriff auf die Untersuchung von Harold Hurwitz (Die Stalinisierung der SED, Opladen 1997) weitgehend ausgeblendet. Nachgezeichnet wird detailliert die Vereinigungskampagne der KPD-Führung seit September an, in deren Verlauf die Berliner SPD-Führung und mehr noch die Landesvorstände ihre Handlungsfreiheit vollständig einbüßten – mit Ausnahme der Möglichkeit, für die SED zu optieren. Sowohl die Einflussnahmen der sowjetischen Militärverwaltungen als auch die Rolle der Vereinigungs-Befürworter in der SPD (insbesondere der Landesvorsitzenden Carl Moltmann in Schwerin, Otto Buchwitz in Dresden oder Heinrich Hoffmann in Weimar) werden nur recht knapp skizziert. Dieser erste Teil hätte insgesamt umfangreicher ausfallen können.

Anschließend aber gelingt es dem Verfasser im folgenden Teil, aus einer auf den ersten Blick recht trockenen Organisationsgeschichte den Prozess eines tiefgreifenden Wandels in Hierarchie und Arbeitsweise der SED sichtbar werden lassen. Die Eliminierung der Konzessionen beim Parteiaufbau, die die KPD-Führung hatte im Vorfeld des April 1946 hinnehmen müssen, wird zu Recht als Instrument der Stalinisierung des Parteiapparates und seiner Führungs- und Anleitungsmethoden interpretiert. Überlagert wurde das durch eine "schrittweise Einengung der internen Kommunikation innerhalb der gewählten Vorstände und die Unterbindung minimaler Formen innerparteilicher Demokratie" (S. 136). Zu den Eckpunkten des schleichenden Wandels im ersten Jahr der Existenz der SED zählt Malycha die Durchsetzung des Primats der Betriebsgruppen (entgegen dem Beschluß des Vereinigungsparteitages) sowie die Atomisierung der Wohngebietsgliederungen durch eine Verankerung des Zehnergruppen-Prinzips sowie das Wirken der "Instrukteure". Mit der Beseitigung der Bezirksvorstände in drei Ländern der SBZ waren schon nach weniger als einem Jahr nicht nur traditionelle sozialdemokratische Hochburgen "geschleift", sondern ein beachtlicher Zentralisierungsschub durchgesetzt. Es verwundert daher nicht, wenn im Vorfeld des 2. Parteitages im Sommer 1947 letztmalig kontroverse Debatten auf unteren Vorstandsebenen geführt wurden.

Die Etablierung eines straffen Systems innerparteilicher Schulung, die schnell zur Indoktrination wurde, begleitete den Organisationswandel. Auf diesem Feld waren die Sozialdemokraten von vornherein ihren innerparteilichen Rivalen ebenso hoffnungslos unterlegen wie auf dem der Beherrschung der Apparate. Zum dritten wurde die vermeintliche Existanzgarantie für die früheren Sozialdemokraten, die "Parität" nicht nur unter dem Zwang der Integration neuer Mitglieder, die keiner Vorgängerpartei angehört hatten, fortschreitend unterhöhlt.

Dies alles, die Wahlschlappe vom Herbst 1946 und die immer deutlicher sichtbare Abhängigkeit der Partei von der Besatzungsmacht stürzten die SED 1947 in eine tiefe innere Krise, aus der sich nur durch die Auswirkungen des offenen Ausbruchs des Kalten Krieges ein Ausweg anbot - gleichsam die Latenzphase der offenen Stalinisierung. Der Umbau der SED zum "Partei neuen Typus" von Mitte 1948 an bedeutete nicht allein die sukzessive Übernahme Stalinscher Maximen, sondern schrieb ihre Rolle als zentralistischer Dirigent von Staat, Gesellschaft und plangesteuerter Wirtschaft fest. Vor diesem Hintergrund wurden vollends die Führungsstrukturen der KPdSU auf die SED übertragen. Aufschlussreich ist die Analyse der Reaktion unterer und mittlerer Führungsfunktionäre sowie der "Parteibasis". Diese blieb "ideologisch weit zurück" (S. 335), während sich viele Ältere resigniert zurückzogen oder eine Arbeit in Verwaltungen oder den "Massenorganisationen" präferierten. Zugleich verweist Malycha auch für diese Phase noch auf "Widerspruch, Renitenz, Dissidenz und opponierende Verhaltensweisen" (S. 356).

Die Darstellung der "Parteisäuberungen" der Jahre 1948 bis 1951 beansprucht daher nicht ohne Grund nach der Analyse des schleichenden Wandels der Parteistruktur den größten Raum in der gesamten Analyse, obwohl hier (auch durch neuere Arbeiten) inzwischen ein beachtlicher Forschungsstand erreicht ist. Neben dem institutionellen und ideologischen Rahmen der Säuberungen beleuchtet Malycha detaillierter die SED-Kampagne gegen den "Sozialdemokratismus" sowie konkret die Verfolgungen des Leipziger "Volkshauskreises" sowie prominenter Sozialdemokraten in den Landesverbänden. Dieser Abschnitt bietet daher ebenso wie der folgende verhältnismäßig wenig neue Details zur Verfolgung früherer Kommunisten. Die quantitativ bedeutsamste Säuberungswelle aus dem Jahre 1951, in der die SED rund eine Viertelmillion Mitglieder "durch Austritt, Ausschluß, Streichung und sogenannte statistische Bereinigungen" (S. 445) verlor, erreichte das Hauptziel, "den Anpassungs- und Disziplinierungsdruck auf die verbliebenen Mitglieder und Kandidaten zu erhöhen" (S. 446) durchaus, wenn sie auch weniger die Masse der Mitglieder traf als untere und mittlere Funktionäre.

Der Abschluß der Stalinisierung beruhte auf der Etablierung des Kadernomenklatur-Systems nach sowjetischem Vorbild. 1951 erfaßte dieses System knapp 7 500 Funktionäre – die SED-Führung intendierte auf diesem Weg, "Partei und Gesellschaft von einem Zentrum aus zu steuern und zu kontrollieren" (S. 450). Einher ging damit der Aufstieg jüngerer Funktionäre, die der SED erst nach 1946 beigetreten waren. Es war die Stunde des Aufstiegs der "HJ-Generation". Wie die Geschichte des 17. Juni 1953 zeigt, "versagten" nicht wenige Hoffnungsträger vor den Herausforderungen des Aufstandes und der Forderungen der Arbeiter. Eine partielle Rückkehr "alter Kader" und ein erneuter Organisationswandel waren die Konsequenz, die eine "personelle Erweiterung und Ausdifferenzierung" des Parteiapparates zur Folge hatte (S. 488).

Insgesamt liegt mit dieser Untersuchung eine gewichtige Studie zum innerparteilichen Wandel in der SED vor, die zugleich zentrale Bausteine für Struktur und Funktion stalinistischer Parteien in der Zeit nach Stalins Tod liefert. Malychas Beitrag führt zugleich die Stalinismus-Forschung einen beachtlichen Schritt über die Sowjetunion-zentrierten und sich auf den "Hochstalinismus" konzentrierenden Ansätze hinaus. Zugleich wird aber auch sichtbar, welche Fortschritte die Historiographie zur frühen SED in den letzten Jahren gemacht hat. Einige Kapitel in Malychas Untersuchung können sich schon mehr auf neuere Literatur denn Archivalien stützen.

Werner Müller, Rostock





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