ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

John Connelly, Captive University: the Sovietization of East German, Czech, and Polish higher education, 1945-1956, The University of North Carolina Press, Chapel Hill-London 2000, 432 S., brosch., 18,50 £.

Die Sowjetisierung der Staaten Ostmitteleuropas nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gehört zu einem der meistdiskutierten Kapitel der Zeitgeschichte. Seine besondere Relevanz erhielt das Thema durch den Ost-West-Konflikt und den bisher unbefriedigenden Stand der Forschung als Ergebnis der restriktiven Archivnutzungspraxis in den ehemaligen Staaten des Warschauer Paktes, die erst nach dessen Zusammenbruch verändert, wenn auch nicht überall grundsätzlich liberalisiert wurde.

Hier liegt zunächst die Bedeutung dieser Pionierstudie von John Connelly. Er hat unter schwierigen Bedingungen das komplexe Thema der Sowjetisierung der Hochschulen Ostmitteleuropas für die Forschung weiter geöffnet und damit Zeithistoriker sowie Kommunismusforscher auf neue relevante Bestände in deutschen, tschechischen, polnischen sowie russischen Archiven aufmerksam gemacht. Connelly ist es dabei gelungen in großem Umfang bisher unbekanntes Material zu erschließen, disparate Informationen aus sehr unterschiedlichen Dokumentenbeständen zu verknüpfen sowie Entscheidungs- und Entwicklungszusammenhänge grenzüberschreitend zu rekonstruieren.

Das Ergebnis ist eine Studie, welche die Unterschiede und Gemeinsamkeiten beim Versuch der Sowjetisierung der ostmitteleuropäischen Hochschullandschaften durch die UdSSR und die von ihr gesteuerten kommunistischen Parteien der DDR, CSSR sowie Polens zwischen 1945 und 1956 überzeugend rekonstruiert. Dabei liegt in der vergleichenden Betrachtung dieses Problemfeldes der entscheidende Wert der Untersuchung. So aufschlussreich die Klärung von Einzelkomplexen (Stellung der alten Bildungseliten im neuen Universitätssystem, Einfluss der Sowjets und der jeweiligen kommunistischen Parteien bei der "Revolutionierung" des existierenden Hochschulwesens, Rolle der Studenten in diesem Prozess) auch sein mag – erst aus der Zusammenschau dieser Komplexe und dem zwischenstaatlichen Vergleich erschließen sich die Rationalitäten und Resultate sowie prägenden Unterschiede beim Versuch der Sowjetisierung des Hochschulwesens in diesen Ländern.

Zu den wichtigsten Einsichten Connellys gehört, dass die UdSSR beim Prozess der Sowjetisierung selbst nur eine geringe Rolle spielte. Lediglich eine Hand voll sowjetischer Professoren und leitende Parteikader vermittelte ihr Spezialwissen über das Bildungssystem der UdSSR an die Funktionäre der Bruderparteien. Folglich versuchten sich die kommunistischen Parteien in Polen, der SSR und der SBZ/DDR selber an der sozialistischen Umgestaltung ihrer Hochschulen. Bis 1953 hatten sie zumindest eine formale Übereinstimmung mit dem sowjetischen Bildungssystem erreicht. Nicht gelungen war jedoch die Gleichschaltung des spezifischen Innenlebens der Universitäten, was schließlich dazu führen musste, dass das angestrebte Projekt einer Sowjetisierung weitgehend scheiterte.

Zu Beginn seiner Studie verweist Connelly zunächst auf die prägenden Unterschiede zwischen dem sowjetischen Hochschulmodell und den Universitätslandschaften Ostmitteleuropas nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Er versucht so, mögliches Widerstandspotenzial auszumachen. Im Ergebnis stellt der Autor fest: "Opposition to Sovietization was likely to be greater in Poland, the Czech lands, and Germany than it had been in Russia, because traditions of academic self-governance were well established in East Central Europe and supported by legends going back generations" (S. 19).

Im Folgenden skizziert Connelly den Einfluss der jeweiligen kommunistischen Partei bei der sozialistischen Umgestaltung der existierenden Hochschullandschaften. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass es vor allem die tschechischen Kommunisten bis zum Anfang der 50er-Jahre kaum vermochten entscheidenden Einfluss auf die Sowjetisierung der Universitäten auszuüben. Die Ursache hierfür sieht der Autor u.a. darin, dass es der KPC nicht gelang die entscheidenden Machtzentralen der staatlichen Bildungsbürokratie unter ihre Kontrolle zu bringen. Vor ähnliche Probleme sah sich zunächst auch die Polnische Arbeiterpartei gestellt.

Demgegenüber hatten sich die deutschen Kommunisten in der SBZ mithilfe der Sowjets ohne größeren Widerstand in den Besitz der Machtinstrumente gebracht, mit denen sich der von ihnen verfolgte Umbau der Hochschullandschaft auf staatlicher Ebene verwirklichen ließ. Dadurch sah die SED bereits 1947 ihre Hauptforderungen zur Reformierung des Universitätswesens realisiert: "promotion of worker and peasant studies, eliminating fascist teachers and students, political schooling of students". Jetzt konnte die SED daran gehen, eine proletarische und damit in ihren Augen loyale Studentenschaft zu formen. Diese sollte zum großen Teil der SED angehören und wie sie das Ziel einer sozialistischen Umgestaltung der Hochschulen verfolgen. Dieses Vorhaben zu realisieren, gelang den Deutschen besser als beispielsweise den Genossen in Polen: Während 1947 an den Universitäten in Halle und Leipzig bereits 1/3 der Studenten der SED angehörten, lag der durchschnittliche Anteil der polnischen Kommunisten unter der Studentenschaft gerade einmal bei 4 Prozent (S. 32-37).

Den größten Raum seiner Studie räumt Connelly jedoch der Frage ein, welche Rolle die alten Bildungseliten der einzelnen Länder bei der Sowjetisierung der Universitäten spielten. Hier macht er große Unterschiede aus und sieht darin eine der entscheidenden Ursachen für Erfolg bzw. Misserfolg beim sozialistischen Umbau des Hochschulwesens. Sowjets, Deutsche und Tschechoslowaken waren sich darin einig, dass nur durch eine Neustrukturierung der Professorenschaft eine Sowjetisierung der Universitäten erreicht werden konnte. Zwingenden Handlungsbedarf sah man zunächst vor allem in den sozialwissenschaftlichen Bereichen; hier sollten "reaktionäre" Professoren so schnell wie möglich durch Hochschullehrer ersetzt werden, deren Lehrmeinung auf einer gefestigten marxistisch-leninistischen Weltanschauung beruhte. Im Bereich der Naturwissenschaften war aufgrund mangelnder Kader ein entsprechender Austausch erst nach und nach möglich. Die polnischen Kommunisten, so galt bislang, "did not recognize these distinct logics, however" (S. 72).

Connelly zeigt auf der Grundlage seiner umfangreichen Archivstudien, dass diese Annahme nicht zutrifft. Auch die polnischen Kommunisten hatten erkannt, dass ohne radikale Veränderungen in den Sozial- und Geisteswissenschaften keine Sowjetisierung der Universitäten möglich war. Was den "Fall" Polen innerhalb der untersuchten Länder jedoch einzigartig macht, war die nahezu geschlossene Opposition, die die gesamte polnische Professorenschaft zum Versuch eines sozialistischen Umbaus der Hochschullandschaft einnahm. Den polnischen Kommunisten gelang es trotz aller Versuche nicht diese Widerstandsfront entscheidend zu erschüttern oder aufzuweichen.

Die Ursache dafür sieht der Autor zum einen im besonderen Einfluss der katholischen Kirche Polens auf die Bildungseliten. Für wichtiger hält er jedoch den erfolgreichen Widerstand der polnischen Professoren gegen die nationalsozialistische Besetzung und gegen die Versuche der deutschen Machthaber jede Art von eigenständiger polnischer Hochschulbildung auszulöschen. Diese Erfahrungen in einem totalitären Regime erschwerten später nicht nur die Versuche der polnischen Kommunisten gegen unliebsame Professoren vorzugehen, sondern halfen den Hochschullehrern auch sich den Sowjetisierungsbemühungen weitgehend zu entziehen.

In der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands und der Tschechoslowakei hingegen war die Professorenschaft nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs durch Mitarbeit bzw. Kollaboration mit dem nationalsozialistischen Regime nicht nur in den Augen der neuen Machthaber, sondern auch in vielen Teilen der Gesellschaft diskreditiert. Deshalb ließen sich "belastete" Professoren, in der CSSR vor allem auf Druck der Studentenschaft, leicht aus den Hochschulen entfernen und durch politisch zuverlässige Kader ersetzen. Wie effektiv dieses System wirkte, belegt folgende Zahl: Von 248 Professoren, die 1953 an den Universitäten Berlin, Rostock und Leipzig arbeiteten, hatten lediglich 27 auch vor 1945 gelehrt (S. 134).

Im dritten Teil seiner Arbeit zeigt Connelly, dass die Hoffnungen der polnischen, tschechoslowakischen und deutschen Kommunisten für einen erfolgreichen sozialistischen Umbau der Hochschullandschaft vor allem auf der Studentenschaft ruhten. Hierfür versuchten sie den Typ eines "neuen Studenten" zu schaffen, der vor allem über einen "healthy class instinct" verfügen sollte. Zu diesem Zweck begann bereits mit der Wiedereröffnung der Hochschulen eine umfangreiche politische Indoktrination der Studenten, die ihnen die Grundlagen der marxistisch-leninistischen Weltanschauung vermitteln sollte.

In Polen existierte jedoch ein großer Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Fehlende und unausgebildete Lehrkräfte sowie mangelndes Interesse der Studenten führten dazu, dass beispielsweise 1951/52 in Breslau nur einer von sechs Medizinstudenten am Kurs "Grundlagen des Marxismus-Leninismus" überhaupt teilnahm. Nicht selten betrachteten die Studenten diese Lehrveranstaltungen als eine Art Religionsunterricht, wenn freilich auch mit anderen Vorzeichen. So äußerte ein Student in Thorn vor seiner Marxismus-Leninismus-Prüfung: "I'm going to take my test in religion" (S. 210). In der SBZ/DDR und der CSSR sah die Situation ähnlich aus. Auch hier gelang es der SED bzw. der KPC nur teilweise den "neuen Studenten" zu erschaffen.

Die deutschen, tschechoslowakischen und polnischen Kommunisten versuchten deshalb die Zahl der Studenten aus Arbeiter- und Bauernschaft an den Universitäten signifikant zu erhöhen. In der SBZ gelang dies relativ leicht, da "Entnazifizierung" und "Demokratisierung" der Hochschulen unter sowjetischer Aufsicht hierfür günstige Bedingungen geschaffen hatten. Ende der 40er-Jahre entstammte bereits durchschnittlich jeder dritte Student an den Universitäten der SBZ der Arbeiterklasse. In der ÈSSR und Polen konnte diese Politik ebenfalls mehr oder weniger erfolgreich umgesetzt werden, auch wenn hier etwas mehr Zeit erforderlich war.

Letztlich stellt Connelly fest, dass in Polen und der CSSR die Sowjetisierung der Hochschullandschaft nur teilweise gelang. Deshalb standen Studenten und Professoren dieser Länder in den Jahren 1956, 1968, 1980 und 1989 immer wieder an der Spitze der Protestbewegungen gegen die kommunistische Herrschaft. Allein in der DDR entstand, bedingt durch die konsequente Herrschaftspolitik der SED, ein sozialistisches Universitätssystem, das eine Studentenschaft formte, deren größter Teil noch bis Mitte 1989 loyal zur DDR stand.

Insgesamt handelt es sich bei der Arbeit von John Connelly um einen mehr als gewichtigen Forschungsbeitrag, der ohne seine intensive Arbeit in deutschen, tschechischen, polnischen und russischen Archiven so nicht hätte geschrieben werden können. Die hoch professionelle Recherche überzeugt ebenso wie die gründliche und gelungene Verarbeitung der internationalen Literatur sowie die Lösung der methodischen Probleme. Das Buch von Connelly ist mehr als nur ein Baustein zum Problem der Sowjetisierung Ostmitteleuropas nach dem Zweiten Weltkrieg. Wie solche Prozesse im Bereich des Hochschulwesens der DDR, der CSSR und Polens verliefen, wird hier beispielhaft und einzigartig dargestellt. Deshalb ist das Buch nicht nur für diejenigen unverzichtbar, die sich mit Bildungsgeschichte beschäftigen. Auch Kommunismusforscher und Sozialhistoriker werden an der Arbeit von John Connelly kaum vorbeikommen.

Matthias Uhl/Berlin





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