ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Markus Dreist, Die deutsch-italienischen Beziehungen im Spannungsfeld der europäischen Politik 1918-1934 (=Europäische Hochschulschriften, Band 869), Verlag Peter Lang, Frankfurt am Main u.a. 2001, 267 S., brosch., 79 DM.

Eine Studie zu den deutsch-italienischen Beziehungen in der Zwischenkriegszeit ist unvermeidlich mit einem Darstellungsproblem konfrontiert: Im Beziehungsgeflecht der europäischen Großmächte spielt Italien, vor allem in seinem Verhältnis zu Deutschland, nur eine untergeordnete Rolle, die jedoch ohne Kenntnis der Gesamtlage kaum verständlich ist. Jeder Autor steht damit vor der Alternative, die allgemeine europäische Geschichte nach 1918 als bekannt vorauszusetzen und sich ganz auf das deutsch-italienische Verhältnis zu konzentrieren oder, weiter ausholend, eine Darstellung zu geben, die - ausgehend vom Versailler Vertrag - Ruhrkrise, Briand-Kellog-Pakt, den Locarno-Pakt und die verschiedenen Reparationspläne erläutert und damit die spezifische Thematik zu verfehlen droht. Der Verfasser, Markus Dreist, brachte nicht den Mut auf, jene nicht nur in der Fachwelt bekannten Fakten souverän vorauszusetzen; verständlich bei einer Dissertation, doch nachteilig im Hinblick auf seine besondere Fragestellung: In weiten Teilen der Schrift kommt Italien überhaupt nicht vor.

Weithin bestimmend für das deutsch-italienische Verhältnis sind die beiden Politiker, die, jeder auf seine Weise, den Versailler Vertrag für ihren Staat als unbefriedigend ansahen: Mussolini und Stresemann, deren als "revisionistisch" gekennzeichnete Politik verglichen und erläutert wird. Der Autor beschreibt den Revisionismus des deutschen Staatsmannes, der während des Krieges lange Zeit für einen Siegfrieden eingetreten war, differenzierend und unterstreicht, dass seine Konzeption grundsätzlich einen Einklang mit den westlichen Alliierten vorsah. Die These, damit sei die Entwicklung des Reiches zu einem "modernen westlichen Staat" verbunden gewesen, sollte jedoch vor allem im Hinblick auf die Ereignisse nach Stresemanns Tod in Frage gestellt werden. Die Spezifika des italienischen Faschismus werden angedeutet, hätten aber im Vergleich zum Nationalsozialismus noch schärfer herausgearbeitet werden können. Auch die Begrenzung der Studie auf das Jahr 1934 wirkt nicht überzeugend.

"Die Arbeit an den nicht veröffentlichten Quellen wurde auf ein relativ geringes Maß beschränkt", heißt es in der Einleitung. Statt dessen verarbeitet Dreist die umfangreiche Literatur zur Außenpolitik der Weimarer Republik und zu der Italiens. Von besonderem Interesse für den Leser sind zitierte Passagen aus den Memoiren Benito Mussolinis. Das Südtirolproblem spielt naturgemäß wiederholt eine Rolle, aber gerade hier zeigt sich der Nachteil der Anlage der Darstellung, die, chronologisch vorgehend, nur schwer zu einer systematischen oder tiefer gehenden Erörterung der Thematik führen kann. Insgesamt liegt mit der besprochenen Untersuchung eine fleißige Arbeit vor, die jedoch nur in beschränktem Maße zu neuen Erkenntnissen führt.

Dieter Schmidt-Sinns, Meckenheim





DEKORATION

©Friedrich Ebert Stiftung | Webmaster | technical support | net edition ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE | November 2001