ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Klaus Mühlhahn, Herrschaft und Widerstand in der "Musterkolonie" Kiautschou. Interaktionen zwischen China und Deutschland 1897-1914 (= Studien zur Internationalen Geschichte, Bd. 8). R. Oldenbourg Verlag, München 2000, 474 S., geb., 156 DM.

Seit 1884/85 war zwar auch das Deutsche Reich eine Kolonialmacht, doch was Bismarck eher als eine Episode betrachtet hatte, wurde erst mit der Ernennung von Bernhard v. Bülow und Alfred Tirpitz zum Staatssekretär des Auswärtigen Amts bzw. des Reichsmarineamts im Sommer 1897 zum Programm: Weltpolitik. Das erste und zugleich auch einzige "Ergebnis" dieses Kurswechsels in der deutschen Außenpolitik war der Erwerb Kiautschous. Damit wollte das Deutsche Reich seinen Anspruch auf Teilhabe an der - vermeintlich - bevorstehenden Aufteilung eines der letzten noch freien Gebiete der Erde, China, eindrucksvoll und nachhaltig demonstrieren. Unter der Regie des Reichsmarineamts, von dem - anders als die anderen Kolonien - Kiautschou direkt verwaltet wurde, entwickelte sich das Pachtgebiet im Fernen Osten zu einer "Musterkolonie".

Wie sich dieser Prozess vollzog, insbesondere aber, wie chinesische Regierung und Bevölkerung darauf reagierten bzw. mit den deutschen Kolonialherren interagierten ist Gegenstand der Arbeit des Verfassers. Anknüpfend an neuere, peripherieorientierte Imperialismustheorien zeichnet diese Arbeit, die sich selbst als "interdisziplinäre Studie an der Schnittstelle von Geschichte, Soziologie und Kultur- bzw. Sozialanthropologie" (S. 29) versteht, in drei großen Abschnitten die Beziehungen zwischen Deutschen und Chinesen auf politischer, wirtschaftlicher und kultureller Ebene nach. Kaum ein Aspekt wird dabei ausgespart, so marginal er auch erscheinen mag. Der Einblick in die "Realität" vor Ort ist beeindruckend. Dies gilt umso mehr, als der Verfasser im Gegensatz zu vielen anderen Autoren, die sich mit diesem Thema beschäftigt haben, neben klassischen diplomatischen Zeugnissen deutscher Reisender, Militärs und Missionare eine Fülle chinesischer Quellen heranzieht. Erstmals wird dadurch deutlich, was die chinesische Regierung - vertreten vor allem durch den Gouverneur der Provinz Shandong, Yuan Shikai, und die lokale Bevölkerung dachten und wie sie zu reagieren versuchten.

Aus deutscher Sicht waren die Ergebnisse der Kolonialisierung des Pachtgebietes vergleichsweise "ernüchternd", zeigte die chinesische Bevölkerung doch eine geradezu erstaunliche Fähigkeit zu Widerstand und Selbstbehauptung. In der Realität bedeutete dies, dass der Kolonialismus nicht einfach ein "unilineares Projekt der Überformung autochthoner Strukturen durch die Kolonialmacht" war, sondern eher aus einer "Reihe sozialer und symbolischer Interaktionen" bestand (S. 409). Besonders hervorzuheben sind dabei einerseits der geschickte und zugleich erfolgreiche Widerstand gegen die Missionierung, andererseits die erfolgreiche Zurückdrängung deutscher Versuche Kiautschou ökonomisch auszubeuten: Stattdessen, so Mühlhahn, gelang es Behörden lokalen Eliten und Bevölkerung durch Zurückdrängen und Verdrängen deutscher Unternehmen den von der Kolonialmacht eingeleiteten Prozess einer fremd bestimmten Modernisierung durch eine dagegen gesetzte selbstbestimmte Modernisierung zu konterkarieren. Im Prinzip wird man daher der abschließenden These des Autors, dessen Arbeit die Imperialismusforschung zweifellos auf eine neue Ebene hebt, zustimmen müssen, "dass interagierende Gesellschaften sich nicht einfach äußeren Modellen anpassen, sondern selbst unter den Bedingungen der Fremdsteuerung die neuartigen Konzepte modifizieren, sich davon abgrenzen oder sich aus deren Negation heraus definieren können" (S. 420).

So richtig diese Schlussfolgerung ist, so sehr offenbart sie zugleich das große Manko dieser Studie: Sie ist auf Grund der an nahezu jeder passenden und unpassenden Stelle verwendeten Fremdwörter und eines weitgehend unverständlichen Fach"chinesisch" fast unlesbar. Allenfalls Spezialisten, die sich wirklich für dieses Thema interessieren, werden sie lesen, alle anderen - leider - bald aus der Hand legen. Dies ist sehr, sehr schade.

Michael Epkenhans, Bardowick





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