ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Ludger Derenthal, Bilder der Trümmer- und Aufbaujahre. Fotografie im sich teilenden Deutschland, Jonas Verlag, Marburg 1999, 360 S., 209 Abb., geb., 88 DM.

Am Anfang der deutschen Nachkriegsfotografie steht die Dokumentation einer riesigen Trümmerlandschaft, die hauptsächlich von den Fotografen und Fotografinnen der alliierten Besatzungsmächte fest gehalten wurde. Die Bilder, die vor allem die amerikanischen Fotografen von den ersten Friedenstagen machten, prägen bis heute unsere Vorstellungen von der unmittelbaren Nachkriegszeit. Der bildjournalistische Blick der alliierten Fotografen auf die Konzentrationslager, die zerstörten deutschen Städte und ihre Bewohner ist von einer nachhaltigen Bedeutung für die Entwicklung der deutschen Nachkriegsfotografie. Die Fotografie der alliierten Fotoreporter zeichnete sich vor allem durch eine den Besiegten gegenüber eingehaltene kalkulierte Distanz aus. Diese Distanz zu überwinden war nun die Aufgabe der deutschen Fotografen. Ihre wichtigsten Themen waren deshalb nicht mehr die Zerstörungen selbst, sondern die Folgen des Krieges für die deutsche Bevölkerung und die Bewältigung des Nachkriegsalltages. Mit fortschreitendem Wiederaufbau rückte auch das wirtschaftliche Geschehen in West und Ost zunehmend in das fotografische Blickfeld. Während eine Trümmerfotografie aus den ersten Friedenstagen nach 1945 noch kaum lokalisierbar ist, sind die in den Illustrierten um 1953 veröffentlichten Fotografien bereits ohne Schwierigkeiten der DDR oder der BRD zuzuordnen. Wie es zu dieser Differenzierung in der Art und Weise des Fotografierens kam, ist ein sehr interessantes Thema, dem sich Derenthal widmet.

Die sich unter dem unmittelbaren Eindruck des oft dramatischen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandels im Nachkriegsdeutschland entwickelnde Fotografie wurde stark geprägt durch die neuen Organisationsstrukturen in beiden deutschen Teilstaaten. Die Spaltung des Landes lässt sich geradezu seismografisch in der Fotografie nachvollziehen. Ein Blick in die damaligen west- und ostdeutschen Zeitungen, Illustrierten und Fotofachzeitschriften verdeutlicht, wie die Entwicklung der Fotografie in beiden deutschen Teilstaaten das neue Selbstbewusstsein und Selbstverständnis spiegelt. Die gemeinsame Ausgangsposition der vollständigen Kriegsniederlage ermöglichte eine Adaption fremder Leitbilder und die Zugehörigkeit zu einander antagonistisch gegenüberstehenden Ordnungsentwürfen sorgte bereits früh für die scharfe Konkurrenz der Bildwelten.

Bei einer Untersuchung der deutschen Nachkriegsfotografie müssen zwei Dinge in Betracht gezogen werden: Die Bilder, welche die Nachkriegszeit prägten und der fotografische Stil, der in der Folgezeit Einfluss gewann. Anhand des Bildjournalismus, der Dokumentarfotografie und der künstlerischen Fotografie weist Derenthal nach, wie sich Stil und Methoden der Fotografie in den beiden deutschen Nachkriegssystemen sukzessiv auseinander entwickelten. Die Fotografie stand in einem sehr engen Verhältnis zu den politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Ereignissen und wurde für die politische und kulturpolitische Argumentation instrumentalisiert. Daher besiegeln die Bilder vom Weg ins Wirtschaftswunder und in den Sozialismus die Etappensiege beider konkurrierender Teilstaaten. Die politische und kulturelle Klammer des Kalten Krieges, die immer stärker auf die Bildwelten der west- und ostdeutschen Fotografen einwirkte, erzielte auch eine Konfrontation im fotografischen Medium. In Ostdeutschland war man bemüht, die Fotografie in das Erfolgsmodell einer sich entwickelnden, durch den Sozialismus geprägten Realität einzuflechten und in Westdeutschland bestimmte das Erfolgsmodell der sozialen Marktwirtschaft die Bildwelten nachhaltig. Der sich im Kalten Krieg etablierende Konkurrenzkampf zweier gesellschaftlicher Ordnungsentwürfe wurde vor allem aus der Sicht der DDR ständig thematisiert. Der Systemvergleich bestimmte daher vor allem die ostdeutsche Fotografie in ihren Anfangsjahren.

Auch die institutionellen Strukturen waren ausschlaggebend für die Entwicklung der Nachkriegsfotografie. Parallel zur gesellschaftlichen Reorganisation wurde die Reorganisation von Verbänden und Vereinen und eine Neustruktur der Fotoverlage und ihrer Fachzeitschriften durchgeführt. Die Neugründung der Dachverbände übte einen starken Einfluss auf die gesellschaftliche Akzeptanz der Fotografie aus. In Westdeutschland gründete sich die Deutsche Gesellschaft für Fotografie und in Ostdeutschland die Zentrale Kommission Fotografie im Kulturbund zur Demokratischen Erneuerung Deutschlands. Die Ausbildungssituation für Fotografen, ihre Berufsorganisationen und die Entwicklung eines Ausstellungswesens waren entscheidende Faktoren für die Genese des Bildjournalismus in beiden deutschen Staaten. Während in Westdeutschland seit Anfang der Fünfzigerjahre bereits wieder ein vielfältiges Angebot an Fotofachzeitschriften bestand, konnte sich der Zeitschriftenmarkt im Osten bei weitem nicht so stark diversifizieren wie in den westlichen Teilen Deutschlands. Der Illustriertenmarkt wurde nach dem Krieg in ähnlicher Weise neu aufgebaut wie der Markt für die Tageszeitungen.

Die Fotowirtschaft stand, wie die gesamte deutsche Industrie, unter der Kontrolle der Militärregierungen der Besatzungsmächte. Als erste Illustrierte erschien im September 1945 die von der amerikanischen Militärbehörde herausgegebene Zeitschrift Heute. Sie galt als politisches und publizistisches Modell für die deutsche Illustrierte der Nachkriegszeit und in ihr wurden zahlreiche Fotografien, die in den USA erfolgreich waren, aufgenommen. In der Sowjetischen Besatzungszone gerieten die Fotografen und Fotografinnen in den Sog der sozialistischen Umgestaltung von Politik, Wirtschaft und Kultur. Besonders die illustrierte Bildpresse wurde zum Instrument der Agitation und Propaganda für die SED. Die bereits seit 1945 erscheinende Neue Berliner Illustrierte hatte eine Vorreiterrolle. Im Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands, gegründet im Juli 1945, versuchten die neuen Machthaber einen starken Einfluss auf alle Kulturschaffenden auszuüben. Das Bekenntnis zum Aufbau und seine symbolhafte Verdichtung im tätigen Bauarbeiter war eine der wenigen Bildformeln, die sich deutschlandweit durchsetzen konnten. Die großen Räumungsaktionen der Trümmerfrauen und der "freiwillige Sonntagseinsatz" in der Bevölkerung wurden fotografisch dokumentiert.

Das Gemeinsame der beiden deutschen Staaten war schließlich ihr neuer Anfang und der wurde fotografisch immer wieder kommentiert. Am Beginn der Nachkriegsfotografie stand die neutrale Bestandsaufnahme der vom Krieg zerstörten Städte. Die Dokumentation der Ruinenlandschaft wurde jedoch schon bald in eine politische Argumentation von beiden deutschen Seiten eingespannt. Dieser Prozess lässt sich an den politischen Debatten ablesen, in denen die Kontroverse um die "richtige" Ruinenfotografie vor allem in Ostdeutschland wegweisend wurde für die Durchsetzung des Sozialistischen Realismus in der bildenden Kunst. Während die Fotografien in Westdeutschland auch unter künstlerischen Kriterien bewertet wurden, spielte die Fotografie für das Volksbildungsministerium und die Kulturabteilung der SED nur als Mittel der Propaganda eine wichtige Rolle.

Die sich mit den Jahren immer stärker ausdifferenzierende Fotografie beider Teilstaaten lässt sich mit den Schlagworten der Avantgarde der westdeutschen Fotografie und des Sozialistischen Realismus der ostdeutschen Fotografie dennoch nur bedingt charakterisieren. Diese beiden Schlagworte dienten immer wieder dazu die Unterschiede in der künstlerischen und kulturellen Entwicklung zu benennen. Derenthal stellt die Bilder beider deutschen Seiten einander gegenüber um zu zeigen auf welche Weise die Fotografie in weit größerem Maße als alle anderen künstlerischen Medien das Bild der Nachkriegszeit bestimmte. Die profunde und subtile Analyse des Autors ist ein wichtiger Beitrag zur Geschichte der Fotografie nach 1945.

Nicola Hille, Karlsruhe





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