ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Frank Bajohr, Parvenüs und Profiteure. Korruption in der NS-Zeit, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2001, 256 S., geb., 44,90 DM.

1940: Erich Koch, ostpreußischer Gauleiter, lässt sich nach dem siegreichen "Polenfeldzug" das nun seinem Gau angegliederte polnische Landgut Krasne zu einem luxuriösen Herrensitz ausbauen: Allein die Inneneinrichtung, zum Teil aus schwedischem Marmor, verschlingt 1,5 Millionen Reichsmark. Da der Teppich für den Festsaal, ein Geschenk Hermann Görings, die Maße des Raumes übersteigt, wird der Saal komplett abgerissen und zum Teppich passend neu errichtet. Die Räume des Herrschaftssitzes lässt Koch mit Kunstwerken aus Museen Kiews und Lembergs ausstatten, die er in seiner Eigenschaft als Reichskommissar für die Ukraine von dort "entlehnt". Ferner entscheidet er als alleiniges Vorstandsmitglied der "Erich-Koch-Stiftung", die sich durch politischen Druck bald über 40 Betriebe der Region einverleibt, über die Verwendung aller Erträge, die in die "Erziehung, Ausbildung und Förderung" von Nationalsozialisten fließen sollen.

Ein Fall politischer Korruption im Dritten Reich. Frank Bajohr, ausgewiesener Experte auf diesem Gebiet durch eine vielbeachtete Studie über "Arisierung in Hamburg", nennt in seinem Werk über "Parvenüs und Profiteure" im Dritten Reich zahlreiche weitere Beispiele für Patronage, Provinznepotismus und Günstlingswirtschaft im nationalsozialistischen Herrschaftssystem. Obwohl gerade die Nationalsozialisten vor 1933 hart die Cliquen- und Parteienwirtschaft im Weimarer Staat angegriffen hatten, gehörte die Korruption im NS-Staat – wie Bajohr souverän analysiert – zu einem "wesentlichen Kennzeichen" (S. 189) des NS-Staates. Grund war zum einen die Erwartungshaltung der "alten Kämpfer", die sich durch die Machtergreifung persönliche Vorteile erhofften, zum anderen die personale Struktur der NS-Bewegung, die ja nicht auf innerparteilicher Demokratie oder Wahlen beruhte, sondern auf dem Charisma der Führenden und einem System von Patronage und Seilschaften. Gleichzeitig war die Korruption typische Folgeerscheinung diktatorischer Systeme, weil Justiz und Kontrollinstitutionen ganz oder teilweise ihrer Kompetenzen beraubt wurden. Die polykratische Struktur des NS-Herrschaftssystem förderte, ja ermöglichte dabei erst die Korruption, denn neue "führerunmittelbare" Sonderdienststellen und Sonderbeauftragte ließen die Grenzen zwischen Staats- und Parteiinstitutionen verwischen.

Direkt nach der Machtübernahme begann eine weitreichende "Wiedergutmachung" für die "alten Kämpfer" der NSDAP und die Parteigenossenförderung auf unterer Ebene (S. 17). In Sonderfonds und schwarzen Kassen verschwanden nicht nur zugunsten der überregionalen Führungsebene Gelder in kaum vorstellbarer Höhe. Bajohr untersucht die Korruptionsskandale innerhalb der NS-Organisationen, den protzigen Lebensstil der NS-Eliten (den auch die Kritiker des "Bonzentums" Alfred Speer und Joseph Goebbels pflegten) und die kaum durch bürokratische Hemmnisse gebremste, rassistisch motivierte Ausbeutungspolitik in den besetzten Ostgebieten. Als "Kristallisationspunkt der Korruption" (S. 105) erwies sich die im Zuge der Judenverfolgung einsetzende "Arisierungswelle": Die Bereicherung am jüdischen Eigentum besaß eine radikalisierende Tendenz, weil so ein ständig wachsender Kreis von Profiteuren ein großes Interesse daran besaß, nie von den jüdischen Opfern regresspflichtig gemacht zu werden. Nur vereinzelt ging der NS-Staat gegen Verantwortliche von Skandalen vor, wenn entweder Machtkämpfe im polykratischen System gegenseitige Vorwürfe ans Licht brachten oder als nach der Niederlage vor Stalingrad zunehmend die Bevölkerung gegen das Luxusleben der NS-Führer opponierte. Die oberste Führungsschicht aber wurde nicht belangt. Weil das NS-System dadurch einen erheblichen Mangel an Effizienz erlitt, erteilt Bajohr hier auch intentionalistischen Modernisierungstheorien à la Zitelmann eine Absage.

Bereits 1932 hatte der von Bajohr zitierte Soziologe Theodor Geiger mit Weitsicht aufgezeigt, dass sich hinter der "idealistischen" Propaganda der NS-Bewegung nicht Idealismus, sondern "materielle Gier" befinde (S. 34). Es besteht kein Zweifel, dass sich an dieser Habgier mit zunehmender Dauer des Dritten Reiches auch viele "Volksgenossen" beteiligten und durch "Arisierung" und Ausbeutung in den besetzten Gebieten in das verbrecherische System verstrickt waren. Bajohr weitet aber seine These noch aus: Er begreift in diesem Zusammenhang die NS-Herrschaft nicht als Diktatur von oben nach unten, sondern als "soziale Praxis, an der die deutsche Gesellschaft in vielfältiger Weise beteiligt war" (S. 195). Diese Argumentation hat vieles für sich, führt aber bereits weiter zu künftigen, noch stärker auf breite Bevölkerungskreise abzielende Untersuchungen zum Thema.

Elke Seefried, Augsburg





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