ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Karsten Dölger, „Polenlager Jägerslust„. Polnische „Displaced Persons„ in Schleswig-Holstein 1945 – 1949 (= Quellen und Forschungen zur Geschichte Schleswig-Holsteins, Band 110), Wachholtz Verlag, Neumünster 2000, 404 S., brosch., 60 DM.

Am Beispiel des zwischen Kiel und Rendsburg gelegenen DP-Lagers Jägerslust stellt Karsten Dölger in seiner Kieler Dissertation die Geschichte polnischer DPs in der britischen Zone dar. Damit liegt nach den Studien von Wagner für Hamburg (1997) und Lembeck/Wessels für das Emsland (1997) eine weitere Regionalstudie über polnische DPs vor, die nicht nur in der zeitgenössischen Wahrnehmung, sondern auch in der Literatur bisher immer die am wenigsten beachtete Gruppe unter den nicht-repatriierbaren Displaced Persons waren, - obgleich sie bereits 1946 zahlenmäßig die größte Gruppe unter den in den westlichen Besatzungszonen Deutschlands verbliebenen ehemaligen Zwangsarbeitern, KZ-Häftlingen und Kriegsgefangenen stellten.

Auf der Basis von britischen Besatzungsakten, zeitgenössischen Publikationen der DPs (u.a. gab es im Lager Jägerslust bereits 1945 polnische Zeitungen) sowie 14 Interviews mit Polinnen und Polen, die zwischen 1945 und 1949 dort gelebt hatten, unternimmt Dölger nach eigener Aussage den „Versuch, sich dem täglichen Leben polnischer ,DPs’ am Beispiel eines Lagers zu nähern„ (S. 343). Die materialreiche und durch einen Bildanhang ergänzte Darstellung will damit die Lebenswirklichkeit polnischer DPs (ein Begriff, von dem sich Dölger als einem „Symbol fortgesetzter Unterdrückung„ distanziert, deshalb also „DPs„ - S. 13f., 343) in den Mittelpunkt stellen.

Schon bei den Interviews tauchen erste Unsicherheiten über die Zielsetzung Karsten Dölgers auf: Nach welchen Kriterien und auf welchen methodischen Grundlagen wurden sie geführt und ausgewertet? Dienen sie als „Informationssteinbruch„, sind es themenbezogene oder lebensgeschichtliche Befragungen? Zwei dieser 14 Interviews dienen als Grundlage für „biographische Skizzen„ der Befragten. In insgesamt sechs Porträts werden zu Beginn der Darstellung Einzelschicksale stellvertretend für jeweilige DP-Schicksale geschildert. Karsten Dölger hat seine Studie thematisch aufgebaut, der rote Faden sind Aspekte des Lagers Jägerslust. Dadurch können allerdings Entwicklungslinien und Einschnitte wie beispielsweise die massiven Strategieänderungen in der britischen DP-Politik 1947 (Wechsel UNRRA – IRO, Änderung der Schulrichtlinien, Aufhebung des POW-Status) und ihre Auswirkungen auf das Lagerleben nicht grundlegend herausgearbeitet werden, weil sie nur an einzelnen Stellen auftauchen. Die ständigen Wechsel zwischen den Ebenen des einzelnen Lagers und Instanzen der Besatzungspolitik sowie historischen Hintergrundinformationen machen eine Einordnung und Bewertung der Vorgänge in Jägerslust schwierig und führen zu Redundanzen (beispielsweise der Exkurs im Kapitel „Lagergesellschaft und politische Rahmenbedingungen„ zur innenpolitischen Entwicklung Polens ab 1939, ohne diesen als solchen zu benennen (124ff.), vgl. auch die jeweiligen Anfänge der Kapitel „Kirche im Lager„ und „Die Presse„). Die Vorteile einer Regionalstudie schöpft Dölger im Abschnitt zur Wahrnehmung des Lagers aus, in dem er lokale Aussagen in den allgemeinen Diskurs über Polen einordnet, beispielsweise durch Presseanalysen. Andere Fragen bleiben hingegen offen: Waren die Vorgänge in Jägerslust typisch oder ist es in der einen oder anderen Frage eine Ausnahme? Auch das Problem der Repatriierungsoffiziere beider polnischer Regierungen taucht eher versteckt, beispielsweise in einer biographischen Skizze auf. Dadurch kann Dölger den eigenen Anspruch, ergänzend zu Wolfgang Jacobmeyers Studie des strategischen und politischen Umgangs mit DPs die andere Seite, die Lebenswelt polnischer DPs an einem regionalen Beispiel darzustellen, nicht wirklich einlösen. Vielleicht wäre eine systematischere Auswertung der Lagerzeitungen für die Beschreibung des Lebens im Lager - beispielsweise für die Bedeutung der sozialen und kulturellen Aktivitäten im Lager (S. 258ff.) - ergiebiger gewesen.

Angelika Eder, Hamburg





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