ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Hermann Bausinger, Klaus Beyrer, Gottfried Korff (Hrsg.), Reisekultur. Von der Pilgerfahrt zum modernen Tourismus, C.H. Beck Verlag, München 19992, 413 S., 103 Abbildungen, brosch., 38 DM.

Ein knappes Jahrzehnt nach Ersterscheinung legt Beck den wohl bekanntesten deutschsprachigen Sammelband zum Thema Tourismus in vereinfachter und verbilligter Aufmachung erneut auf. „Reisekultur" umfasst mehr als vierzig knappe, fünf- bis zehnseitige und zum Teil annotierte Beiträge einschlägig forschender Wissenschaftler und Museumsleute. Die Herausgeber wollten ausdrücklich keine systematische Einführung in die Geschichte des Reisens oder des Tourismus liefern, sondern beschränkten sich darauf, in „prägnanten Einzelbildern" die historische Vielfalt des Themas anzudeuten. Dementsprechend gruppieren sich die Essays und Aufsätze teils in inhaltlichen Kapitel, zum Beispiel zu Zielländern der Reisenden oder zu literarischen Reisen, teils um eher assoziative Titel wie „alte Wege" oder „neue Welten". Leider erleichtert die Selbstbeschränkung der Herausgeber dem Leser nicht unbedingt die Orientierung. Gelegentlich, wie etwa im Falle der Schnellpost, führt sie dazu, dass sich ergänzende oder wiederholende Aspekte unverbunden nebeneinander stehen blieben.

Thematisch widmet sich der Bandes zuvorderst den sozial- und technikgeschichtlichen Aspekte des Reisens und der damit verbundenen Infrastruktur. Dabei wird ein weiter Bogen von der adeligen Kavalierstour über den reisenden Handelsvertreter und den wandernden Handwerksgesellen bis hin zur massenhaften Arbeitsmigration der industriellen Revolution geschlagen. Den zweiten Schwerpunkt bilden kulturanthropologische Aspekte von Reisen, vor allem die Selbst- und Fremdwahrnehmung der Reisenden. Gut vertreten sind schließlich literaturgeschichtliche Analysen von Reiseberichten oder imaginierten Reisen und Robinsonaden. Überwiegend beschäftigen sich die Autoren dabei mit deutschsprachigen oder auf den deutschsprachigen Kulturraum bezogenen Quellen.

Die Qualität der Beiträge, Stil und Inhalt, Wissenschaftlichkeit und Lesbarkeit variieren sehr stark. Für ein Lesebuch erscheint das Gebotene sehr theorielastig und trotz der zahlreichen schwarzweißen Abbildungen wenig anschaulich. Auf der anderen Seite werden wissenschaftlich interessierte Leser wegen der Kürze der Beiträge und der Themenvielfalt lediglich einführende Informationen gewinnen. Genau aus diesem Grunde hat sich „Reisekultur" allerdings längst einen festen Platz in den Handapparaten reisegeschichtlicher Einführungsseminare erobert. Studierende werden dankbar zur erschwinglichen Neuauflage der Klassikers greifen. Ihnen sei zur Ergänzung Christoph Hennings ebenfalls als Paperback erschienenes Bändchen „Reiselust" empfohlen, das den bei Bausinger et al. vernachlässigten modernen Massentourismus in den Mittelpunkt rückt und zudem neuere angelsächsische und französische kultursoziologische Ansätze berücksichtigt.

Christian Noack, Bielefeld





DEKORATION

©Friedrich Ebert Stiftung | Webmaster | technical support | net edition ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE | August 2001