ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Kathleen Burk, Troublemaker. The Life and History of A.J.P. Taylor, Yale University Press, New Haven/CT-London 2000, 491 S., geb., 19,95 £.

Als ihn 1967 über Umwege die Anregung Isaiah Berlins erreichte, seine Memoiren zu verfassen, reagierte der britische Historiker A.J.P. Taylor mit ansonsten eher untypischer Zurückhaltung. Er habe nur wenige berühmte Menschen getroffen und die großen Ereignisse des Jahrhunderts nur aus der Ferne betrachtet, schrieb Taylor dem Oxforder Philosophen, intellektuell sei er nicht besonders weit »gereist«, mit 16 habe er schon dort gestanden, wo er nun mit 61 Jahren stehe: „Professionally, I am an old-fashioned narrative historian with no gift for analysis or social techniques.„ Kurzum: Als Gegenstand eines (auto)biographischen Werkes sei er ungeeignet. Diese von „understatement„ geprägte Selbstskizze – Taylor sollte übrigens seine Meinung ändern: 1983 erschien „A Personal History„ – wird in Kathleen Burks exzellenter Biographie „Troublemaker. The Life and History of A.J.P. Taylor" eindrucksvoll widerlegt.

Burk, in den 1960er Jahren Taylors letzte „research„-Studentin in Oxford und nun Geschichtsprofessorin am University College London, hat einen treffenden Titel gefunden. Alan John Percivale Taylor (1906-1990) war Zeit seines Lebens ein „troublemaker„ – der Titel stammt gleichzeitig von Taylors liebster Publikation über „dissenters„ der britischen Außenpolitik im 19. und 20. Jahrhundert. Aus guten Gründen hat die Autorin den Schwerpunkt auf Taylors Leben und Geschichtsschreibung gelegt, um sich dem Menschen und Historiker anzunähern, und nicht der „media personality„, die Taylors ebenso berühmte wie berüchtigte öffentliche Reputation bestimmte. In großen, lebendig geschriebenen und facettenreichen Kapiteln zeichnet Burk Taylors Kindheit und Jugend in Nordengland, seine Formung zum Historiker durch Schule, Studium in Oxford und zweijährigen Studienaufenthalt in Wien, den Auftakt seiner Karriere an der Manchester University (1930-1938) sowie sein Wirken in Oxford als Fellow des Magdalen College (1938-1965) und in London (1965-1985) nach. Eingefügt sind ein Parallel-Kapitel zu den Oxforder Jahren, das sich mit der Entstehungsgeschichte und dem bleibenden Wert von Taylors großen Werken auseinandersetzt, sowie ein weiteres über seine Karriere als „media don„ im britischen Rundfunk, Fernsehen und in Zeitungen (überschrieben mit „The Business History of the History Business„).

Bemerkenswert ist vor allem Taylors nie versiegende, unbändige Begeisterung für Geschichte, sein immenses Arbeitspensum und die Vielfalt seiner von Burk als „frenetic„ bezeichneten Aktivitäten. Bei allem Herausstreichen von Taylors außerordentlichen Fähigkeiten ist Burks Biographie jedoch gänzlich frei von hagiographischen Anflügen. Auch seine weniger einnehmenden Seiten verschweigt die Autorin nicht. Taylors Freude an der Provokation spiegelte sich auch in seinen politischen Überzeugungen wider. Geprägt von seinem Elternhaus – sein Vater gehörte dem sozialdemokratischen Teil der Labour-Bewegung an, seine Mutter vertrat eher sozialrevolutionäre Ansichten – war Taylor Zeit seines Lebens ein unorthodoxer Linker, aber kein Marxist. Wenngleich er oft für eine Verständigung Großbritanniens mit der Sowjetunion eintrat und in den 1930er Jahren Illusionen gegenüber dem Stalinismus hegte, so war er auf der anderen Seite ein zu unabhängiger Geist, um der Führung der Labour-Bewegung oder den Kommunisten ein willfähriger Gefolgsmann zu sein. In diesem Zusammenhang ist auch Taylors Engagement für die „Campaign for Nuclear Disarmament„ (CND) zu nennen, wo er seine herausragenden rhetorischen Fähigkeiten einsetzen konnte. An der Person Taylors sticht außerdem seine fast kindliche Freude am Geldverdienen hervor, was ihm sowohl angesichts von „expansive tastes„ – Taylor selbst nannte gegenüber Berlin eine Schwäche für „sportliche, ja angeberische Autos„ – als auch wegen der Tatsache zugute kam, dass er in Folge von drei Eheschließungen eine große Familie zu versorgen hatte.

Bei der Formung Taylors als Historiker weist Burk dem Wiener Geschichtsprofessor Alfred Pribram eine Schlüsselstellung zu. Der österreichische Gelehrte brachte Taylor 1928/1929 nicht nur auf das Thema der Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs (Taylor hatte während seines Aufenthalts in Österreich eigentlich über Cromwell arbeiten wollen), was ihm die europäische Zeitgeschichte erschloss, sondern führte ihn auch an die Quellenarbeit mit Akten des österreichischen Außenministeriums heran. Aus dieser Beschäftigung erwuchsen die Publikation, mit denen sich Taylor einen Namen machte, von „Germany’s First Bid for Colonies, 1884-1885„ (1938) über „The Habsburg Monarchy„ (1941/1948) zu „The Struggle for Mastery in Europe, 1848-1918„ (1954). Sein Werdegang als Wissenschaftler weist einige Paradoxien auf: Auf der einen Seite blieb ihm Zeit seines Lebens ein Lehrstuhl verwehrt, und er wirkte auch nicht als „Schule„-bildender Historiker. Auf der anderen Seite setzte er wesentlich die Öffnung des Faches für europäische Zeitgeschichte in Oxford durch, begeisterte seine Studenten in stets überfüllten Vorlesungen, war ein guter „college man„ und konnte sich am Ende über die seltene Ehre freuen, gleich mit drei Festschriften von seinen Schülern und Kollegen bedacht zu werden. Überzeugend legt die Autorin dar, dass von seinen Hauptwerken – neben „The Struggle for Mastery in Europe„ führt Burk „The Origins of the Second World War„ (1961) und „English History, 1914-1945„ (1965) an – große Impulse für die Geschichtswissenschaft ausgegangen sind, insbesondere bei der Etablierung der Diplomatiegeschichte, und bis heute nachwirken. Auf geschichtstheoretischer Ebene blieb Taylor dagegen stets ein „altmodisch narrativer Historiker„, der darauf bestand, Geschichtsschreibung schöpfe sich aus der gleichen „joy of creation„, die die Menschen Gedichte verfassen oder Fußball spielen ließe.

Gleichfalls bedeutend war Taylors Wirken in den Medien, das Burk zu Recht nicht gegen die wissenschaftlichen Leistungen aufrechnet, wie dies bis heute oft geschieht, sondern daneben stellt. Dieses Engagement im Fernsehen, in seriösen Zeitungen, aber auch in der „tabloid press„ brachte Taylor im Laufe seiner Karriere viel Kritik, aber auch viel Geld ein (zusammengenommen und nach Preisen von 1995 gerechnet beliefen sich die Einnahmen auf knapp zwei Millionen Pfund, eingeschlossen seine Tantiemen aus den Buchpublikationen, die rund die Hälfte ausmachen), und popularisierte Neuere und Zeitgeschichte in der britischen Öffentlichkeit in einer kaum zu gering einzuschätzenden Weise. Burk versagt sich hier eine detaillierte Erörterung der Wirkung Taylors (für sie bleibt beispielsweise die Freundschaft zum konservativen Pressezaren Lord Beaverbrook „unfathomable„), die den Rahmen der Biographie gesprengt hätte. Dieser Aspekt ergäbe ein spannendes Forschungsthema, nicht zuletzt mit Blick auf das britische Deutschlandbild.

Kathleen Burk ist mit ihrem Werk ein großer Wurf gelungen. Die Biographie ist eine überaus anregende Würdigung von Leben und Werk des britischen Historikers. Die Lektüre lässt einen daran denken, wie sehr man heutzutage „troublemaker„ von dem Schlage eines A.J.P. Taylors vermisst.

Henning Hoff, Köln





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