Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online
Barbara Wolbring, Krupp und die Öffentlichkeit im 19. Jahrhundert. Selbstdarstellung, öffentliche Wahrnehmung und gesellschaftliche Kommunikation (= Schriftenreihe zur Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, Bd. 6), C. H. Beck Verlag, München 2000, 367 S., brosch., 88 DM.
Ein Unternehmen ohne - auf neudeutsch - Public Relations-Abteilung ist heute undenkbar. Ganz anders im 19. Jahrhundert: Was Öffentlichkeit war, welche Rolle sie für Unternehmen spielen und wie diese umgekehrt auf Unternehmen Einfluss nehmen konnte, war lange nicht klar bzw. allenfalls ein Randaspekt des Industrialisierungsprozesses. Im Mittelpunkt unternehmerischen Handelns standen Aufbau, Expansion und technischer Fortschritt per se, nicht aber das Interesse einer amorphen Öffentlichkeit jenseits der Geschäftspartner.
Mit der Herausbildung des politischen Massenmarktes änderte sich dies jedoch: Die Öffentlichkeit, d.h. die vom Bürgertum wie auch der wachsenden Arbeiterbewegung geprägte Gesellschaft »interessierte« sich ihrerseits für Unternehmen, deren Verhältnis zum Staat wie auch ihre innere Organisation; umgekehrt begannen auch Unternehmer, häufig eher wiederwillig als gezielt, die Öffentlichkeit zu entdecken.
Wie dieser Prozess sich vollzog, zeigt die Verfasserin in ihrer äußerst interessanten, facettenreichen und vorzüglich lesbaren Studie, einer Frankfurter Dissertation, am Beispiel eines der größten, modernsten und in der Öffentlichkeit zugleich umstrittensten Unternehmen - der Essener Firma Krupp - auf.
Der Aufstieg des Konzerns ist eng verknüpft mit einem öffentlichen Ereignis - der Londoner Weltausstellung von 1851. Dies bedeutete aber nicht, dass Öffentlichkeit im modernen Sinne eine Zielgruppe war. Im Gegenteil: Journalisten und andere Besucher waren dem Inhaber ein Gräuel, fürchtete er doch ständig von diesen ausspioniert zu werden. Wenn Alfred Krupp von Öffentlichkeit sprach, dann meinte er allenfalls eine interessiertes Fachpublikum - seine Kunden bei den Eisenbahngesellschaften und in den Ministerien sowie in besonderem Maße und aufgrund eines eigentümlichen Loyalitätsverständnisses den Monarchen. Aber auch für diese bereitete er seine Produkte modern auf, wie die Verfasserin deutlich macht: So beteiligte sich die Firma in großem Stil an den Weltausstellungen; Fotografien als neue Form der Selbstdarstellung und der Reklame wurden ebenfalls frühzeitig als Mittel zur Eigenwerbung erkannt und eingesetzt wie die Entwicklung eines eigenen Markenzeichens - der berühmten drei Ringe.
Die ersten öffentlichen Reaktionen auf diese Beziehungen machten jedoch, wie die »Napoleon-Briefaffäre« zeigte, deutlich, dass dieses Verhalten nicht mehr zeitgemäß war. So interessierte sich die Öffentlichkeit zunehmend stärker für die Beziehungen zwischen Staat und Industrie und warf dieser, häufig allzu schnell und leichtfertig vor, Staat und Gesellschaft zur Vergrößerung des eigenen Profits auszubeuten. Vor allem Friedrich Alfred Krupp, der unglückliche, insgesamt sehr unterschätzte Erbe des größten Industrieunternehmens, das - und dies war ein wesentlicher Stein des Anstoßes - zugleich der bedeutendste deutsche Rüstungskonzern war, musste dies sehr schnell erfahren. Ob es nun seine Auslandsverkäufe, sein Interesse an der Heeresvermehrung oder dann sein direktes und indirektes Engagement für die Flottenpläne des Kaisers waren, alles wurde von der Öffentlichkeit registriert und in der Regel negativ interpretiert. Die Firma änderte daher - zwangsläufig - ihr Verhältnis zur Öffentlichkeit. Statt sich in ihrer Pressearbeit wie bis dahin nur auf die Fachzeitschriften zu konzentrieren, versuchte sie nun, die Öffentlichkeit direkt zu erreichen. Pressedienste wurden daher unterstützt; über die »Süddeutsche Reichscorrespondenz« und die »Berliner Neuen Nachrichten« bemühte Krupp sich zugleich um unmittelbaren Einfluss auf die Öffentlichkeit. Diese Schritte erwiesen sich zwar bald als Fehlschläge, sie waren aber doch der Beginn moderner Öffentlichkeitsarbeit eines Industrieunternehmens.
Die Verfasserin zeichnet diesen von vielen Fehleinschätzungen, Unbeholfenheiten und Rückschlägen begleiteten Prozess detailliert und in der Argumentation überzeugend nach. Das - nicht zuletzt durch die Presse - stark »verzerrte« Bild der Firma Krupp und ihrer Inhaber wird dadurch realistischer und detailgetreuer, alte Legenden werden endgültig durch quellenmäßige Belege korrigiert: Vieles, angefangen von den anrüchigen Beziehungen zu Napoleon III. über die Panzerplattenfrage - ein Gegenstand endloser Debatten in der wilhelminischen Zeit - bis hin zu Krupps Engagement bei der Gründung des Deutschen Flottenvereins, das beispielsweise vom Reichsmarineamt ausdrücklich angeregt worden war, stellt sich bei näherer Betrachtung als viel komplizierter dar, als es viele Zeitgenossen und spätere Historiker in ihrer generellen Kapitalismuskritik wahrhaben wollten. Darüber hinaus zeigt die Verfasserin am Beispiel Krupp prototypisch auf, wie sehr die Wirtschaft und ihre Protagonisten insgesamt »allmählich, mit Beginn des 20. Jahrhunderts dann mit nicht mehr zu übersehender Deutlichkeit, vergleichbar mit staatlichen Institutionen und Personen in der Öffentlichkeit standen und sich dort zu behaupten hatten.« (S. 338).
Angesichts der überzeugenden Leistung kann man nur hoffen, dass die Arbeit weitere Forschungen über andere Unternehmen anregen wird, um unsere Kenntnisse zu erweitern, und dass die Autorin selbst - wenigstens in einem Aufsatz - ihre Studie fortführt, ist es doch bedauerlich, dass sie diese 1902 - dem Höhepunkt einer öffentlichen Kampagne über das Privatleben Friedrich Alfred Krupps - mit dessen Tode enden lässt.
Michael Epkenhans, Bardowick