ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Karl Heinz Roth, Facetten des Terrors. Der Geheimdienst der ,,Deutschen Arbeitsfront" und die Zerstörung der Arbeiterbewegung 1933-1938, Edition Temmen, Bremen 2000, 280 S., geb., 48 DM.


Karl Heinz Roth hat seinen vielfältigen Forschungen zur Deutschen Arbeitsfront einen weiteren, wichtigen Baustein hinzugefügt. Die vorliegende Edition versammelt ausgewählte Quellen - vornehmlich aus den Beständen des Bundesarchivs - zu dem bislang kaum bekannten Nachrichtendienst der DAF, dem ,,Amt Information". Im ersten Teil der Quellensammlung, ,,Berichte und Schriftstücke aus der Zentrale des Amtes Information der DAF", finden sich Texte, aus denen u. a. die Zwecke hervorgehen, die die Funktionäre dieser Einrichtung beimaßen. Die Quellen im zweiten Teil, ,,Aktenstücke aus nachgeordneten Dienststellen des DAF-Geheimdienstes über die Überwachungs- und Verhaftungsaktionen gegen oppositionelle Arbeiter- und Widerstandsgruppen", informieren über die konkrete Arbeitsweise des Amtes. Ergänzt wird die Quellensammlung durch eine umfangreiche Einleitung, in der Karl Heinz Roth die Entwicklung des Amtes nachzeichnet und versucht, seinen Stellenwert im nationalsozialistischen Herrschaftssystem zu bestimmen.
Wie andere Organisationen und Verbände der NSDAP schuf sich auch die ,,Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation" bald nach ihrer Einrichtung einen Nachrichtendienst, der Informationen über den politischen Gegner, insbesondere über die gewerkschaftlich organisierte Arbeiterbewegung, sammeln und Desinformation betreiben sollte. Nach der Etablierung der DAF im Herbst 1934 wurde dieser Nachrichtendienst dann in deren zentrale Einrichtungen integriert, bald darauf aber als eigenes ,,Amt Information" innerhalb der DAF relativ selbstständig weitergeführt, wobei jedoch eine Anlehnung an den Sicherheitsdienst der SS, den SD, erfolgte.
Das ,,Amt Information" hatte im Wesentlichen zwei Aufgaben: Es sollte den politischen Gegner überwachen, und es sollte die Eigensicherung der DAF-Organisationen übernehmen. Soweit es rekonstruierbar ist, gab es in diesem Amt Abteilungen, die sich mit der Bekämpfung von ,,Marxismus" und ,,Kommunismus", der Überwachung von Betrieben oder der Streikprävention beschäftigten. Andere Abteilungen agierten innerhalb der DAF und befassten sich beispielsweise mit der Observation der ,,NSG Kraft durch Freude". 1935 kam eine Unterabteilung hinzu, die systematisch jenes Schriftgut auswerten sollte, das anlässlich der Zerschlagung der Gewerkschaften 1933 erbeutet worden war.
Als sich im Sommer 1936 Arbeitsniederlegungen häuften und auch auf Großbetriebe übergriffen, geriet die Eigenständigkeit des Nachrichtendienstes der DAF unter Druck. Zwar hatte das ,,Amt Information" das oppositionelle Potenzial keineswegs unterschätzt. Da es dem ,,Amt Information" aber nicht gelungen war, diese Arbeitsniederlegungen zu unterbinden, gab Robert Ley im März 1938 dann dem Drängen von SD und Gestapo nach, die ihre Kompetenzen zu Lasten der DAF ausweiten wollten, und löste das ,,Amt Information" auf. Das Schriftgut und die Mitarbeiter wurden größtenteils vom SD und der Gestapo übernommen. Wahrscheinlich vernichteten Mitarbeiter der DAF - was für die Quellenlage bedeutsam ist - bereits zu diesem Zeitpunkt einen Teil der Akten, um der Gestapo und dem SD keine Information über die internen Angelegenheiten der DAF zu überlassen (S. 18).
Obwohl die Quellenlage sehr lückenhaft ausfällt, lässt sich die Arbeitsweise des Amtes in groben Umrissen erschließen. So existierten bei den ,,Treuhändern der Arbeit" Informations-Dienststellen mit Kontaktleuten, ebenso gab es in den Gauverwaltungen der DAF ,,Gau-Informations-Referenten". Die Beschaffung der wichtigsten Informationen erfolgte aber durch die Betriebszellenobmänner und die Ortsverwaltungen der DAF. Sie vermittelten den Informationsfluss an der Schnittstelle zwischen dem Nachrichtendienst und dem Netz der V-Leute und sonstigen Zuträger in den Betrieben. Insofern kam dem ,,Amt Information" ein außerordentliches Gewicht bei der Durchsetzung von Herrschaft im Nationalsozialismus zu: Indem es die Arbeiter und ihre Organisationen observierte, operierte es gegenüber der gesellschaftliche Gruppe, von der das Regime den größten Widerstand erwartete. Das ,,Amt Information" - so Karl Heinz Roths These - war auf diese Weise an exponierter Stelle an der Zerschlagung der Arbeiterbewegung beteiligt.
Die Forschungen über die Geheime Staatspolizei haben in den letzten Jahren die Vorstellungen von einem allmächtigen Apparat relativiert, ins Blickfeld rückte vielmehr die Bereitschaft großer Teile der Bevölkerung, nicht-konformes Verhalten jeglicher Art zu denunzieren. Fraglich ist jedoch, ob die oft zufällig und spontan erfolgten Meldungen hinreichend waren, um die Effizienz der Verfolgungsinstanzen bei der Zerschlagung der Arbeiterbewegung zu sichern, und ob nicht bisweilen das Ausmaß des von ihnen ausgeübten Terrors dabei zu sehr aus dem Blickfeld gerät. Karl Heinz Roth versteht das ,,Amt Information" in diesem Zusammenhang als eine ,,Vorfeldorganisation" (S. 42) von SD und Gestapo. Es habe diese von Fahndungsaufgaben entlastet und so auf effektive und funktionale Weise zur Etablierung und Sicherung des NS-Regimes beigetragen. Dieser Befund, so konstatiert Karl Heinz Roth, schließe jedoch nicht aus, dass das ,,Amt Information" eine Einrichtung mit einem ,,zwiespältigen Charakter" (S. 40) gewesen sei: Manche Aspekte dieser Einrichtung verweisen auf eine professionell geführte geheimdienstliche Organisation, andere Phänomene erwecken dagegen den Anschein, als habe sich um ein ,,labiles und kurzlebiges Gebilde" (S. 40 f.) zur Kanalisierung der Denunziation gehandelt. Vielleicht aber war gerade diese Ambivalenz die Ursache für die Aggressivität, mit der das Amt agierte.


Thomas Siemon, Wilhelmshaven


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