Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online
Ken Post, Revolution's Other World. Communism and the Periphery, 1917 - 39, Macmillan Press, Houndmills, London 1998, 219 S., geb., 42,50 £.
Ken Post, Verfasser zahlreicher Studien zur Zeitgeschichte von Ländern der ,,Dritten Welt" und zur marxistischen Theorie, legt hiermit eine Darstellung zum Verhältnis von Kommunismus und, wie es im seinerzeitigen Sprachgebrauch hieß, ,,Kolonial- und Halbkolonialländern" vor. Eine solche Studie, so führt er aus, mag angesichts des ,,global triumph of capitalism" zwar unpassend erscheinen. Doch sei es wie beim Bergsteigen, das man ja auch einfach deshalb mache, weil die Berge da seien. Und für die Zeit nach 1917 gelte es ebenso. Kommunistisch inspirierte Revolutionen hätten -,,for better or worse" - die Geschichte der Welt verändert.
Ausdrücklich wollte er keine Geschichte der Komintern unter diesem Blickwinkel schreiben. Dafür müssten erst die Archive vollständig offen sein, was noch nicht der Fall ist. So steht bei ihm die kommunistische Revolutionsstrategie, der Leninismus und Stalinismus, im Vordergrund, und die Komintern als organisatorischer Träger und Umsetzer dieser Theorien folgt erst an zweiter Stelle.
Einleitend stellt er den Wechsel von einem proletarischen, an die industrielle Arbeiterklasse der entwickelten Länder gebundenen Marxismus zu einer Neuinterpretation in Richtung auf die Länder des ,,Ostens" dar, wie dies als Ergebnis der konkreten Revolution in Russland entstand, zunächst als Erfahrung der Konfrontation der Bolschewiki mit den muslimischen Teilen des Zarenreichs. Das wurde dann in die strategischen Diskussionen der Komintern auf ihren ersten Weltkongressen getragen, wo der indische Revolutionär Roy in der Auseinandersetzung mit Lenin maßgeblich eine neue Revolutionsstrategie konzipierte. Doch schon sehr bald wurden diese Positionen durch die Debatten nach dem Tod Lenins überlagert, in denen Trotzkis ,,permanente Revolution" Stalins ,,Sozialismus in einem Land" gegenüberstand und damit die Frage, ob die russische Revolution ausgedehnt werden könnte oder durch andere Revolutionen gefährdet würde.
Der Analyse des ,,Diskurses" folgen verschiedene ,,case studies". An dem für die Komintern bedeutendsten Fall, nämlich China, zeigt er, wie 1927 der erste ,,Anlauf", nicht zuletzt unter russischen Vorgaben, scheiterte und wie sich dann unter Mao eine Hinwendung zu einem von der Bauernschaft getragenen Guerillakrieg ergab. Dies implizierte eine Abwendung von einer an die Arbeiterschaft gebundenen Revolutionsstrategie. Dabei wurde auf der eigenständigen Macht gegenüber der bürgerlich-nationalistischen Guomindang beharrt, was durch den Kampf gegen Japan erleichtert wurde und sich letztlich als erfolgreich erweisen sollte. Dagegen endeten im Jahre 1935 die unter viel direkterer Komintern-Kontrolle erfolgten Bemühungen in Brasilien, die auf die Unterstützung durch linke Offiziere einerseits (statt Initiierung eines militärischen Kampfes der Partei) und ganz orthodox auf die Entwicklung einer revolutionären Situation in den Städten bauten, in einer blutigen Niederlage.
Waren dies ,,halbkoloniale" Länder, in denen die Staatsmacht im Vergleich zu den Industrieländern schwächer entwickelt war, so beschäftigt sich die dritte und letzte Fallstudie mit Indien. Hier operierten die Kommunisten in der komplexen Situation eines Koloniallandes, in dem die Stellung der Kolonialmacht im Wesentlichen zu unerschüttert war, um frontal militärisch angegangen zu werden. Darüber hinaus hatte sich hier eine starke bürgerlich-nationalistisch geführte Unabhängigkeitsbewegung in Gestalt der Kongress-Partei ergeben, die die von der Kolonialmacht gegebenen Freiräume auszunutzen versuchte. Das brachte fast zwangsläufig die schwache kommunistische Bewegung dazu, ausschließlich am Rande des Kongresses, an den Rockschößen seiner linken Führer, wie Post schreibt, zu manövrieren.
In einem Schlusskapitel versucht Post eine theoretische Reflektion dieser Fallstudien. Die Oktoberrevolution habe einen bedeutenden Wechsel gebracht, indem sie die revolutionäre Bewegung an die Peripherie des Weltkapitalismus verlagerte und damit theoretische Grundlagen des Marxismus - die zentrale Rolle der Arbeiterklasse und den Primat des Klassenbewusstseins ,,over all other identities" - in Frage stellte. Dies führte zu zahlreichen theoretisch-ideologischen Schwierigkeiten und Neudefinitionen und schließlich zum Zusammenstoß der an die Sowjetunion gebundenen ,,Orthodoxie" mit der revolutionären Bewegung in den Gebieten des abhängigen Kapitalismus. Dies verlief parallel zur Entwicklung des Leninismus/Stalinismus zur Ideologie der neuen bürokratischen Elite in der UdSSR. Als dieser Staat nach 1945 zu einer weltpolitischen Macht aufgestiegen war, diente der Leninismus/Stalinismus keineswegs mehr zu einer ,,liberation doctrine". Diese Situation führte zur Krise des Marxismus.
Bei Posts Studie steht die Interpretation im Vordergrund. Sie basiert ausschließlich auf der Auswertung einer reichhaltigen (englischsprachigen) Sekundärliteratur. Als Darstellung der historischen Fälle kann sie so nichts Neues bringen, erlaubt aber, über das Spezialistentum für einzelne Länder hinauszugehen. Als eine solche Querschnittsanalyse ist sie durchaus anregend und erlaubt, das Phänomen der Revolution und der kommunistischen Bewegung im 20. Jahrhundert in einen größeren geschichtlichen Zusammenhang - vor allem im Hinblick auf die Entwicklung strategischer Konzeptionen bezogen auf die ,,Dritte Welt" - einzuordnen.
Reiner Tosstorff, Frankfurt/Main