ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Christine Collette, The International Faith. Labour's Attitudes to European Socialism, 1918 - 39, Ashgate, Aldershot etc. 1998, 211 S., kart., 32,50 £.


"The international faith [...] is the soul of socialism" - diesen Ausspruch Arthur Hendersons, des langjährigen Sekretärs der Labour Party in der Zwischenkriegszeit, macht Christine Collette zum Ausgangspunkt ihrer Untersuchung über das Verhältnis der britischen Arbeiterbewegung zur europäischen in jenem Zeitraum. Ausdrücklich geht es dabei nicht um den Internationalismus einiger ,,Avantgarden" (also im britischen Fall vor allem der Kommunistischen Partei und der Independent Labour Party nach ihrem Austritt aus der LP im Jahre 1932), der sozusagen Teil ihrer ständig vorgetragenen Selbstdefinition war. Eine internationale Überzeugung - siehe die Äußerung Hendersons - habe der gesamten Arbeiterbewegung zugrunde gelegen, also auch ihrem reformistischem ,,Mainstream", und um diesen Nachweis geht es ihr. Dabei sind die politischen Zusammenschlüsse nur ein Untersuchungsgegenstand. Ebenso betrachtet sie all das, was so gerne als Nebenorganisationen leicht abwertend bezeichnet wird, und beschäftigt sich mit der kulturellen Seite wie mit der ,,en-gendered expression".
Bis zum Ersten Weltkrieg pflegte die britische Arbeiterbewegung, von Ausnahmen abgesehen, eine eher insulare Abstinenz gegenüber dem Kontinent. Leider hat die Autorin darauf verzichtet, diese Vorgeschichte zu skizzieren und auch in ihrer Widersprüchlichkeit - denn es hatte auch immer gegenläufige Bestrebungen gegeben - und in ihren Ursachen - die zweifellos vor allem in der ökonomischen Vorherrschaft Großbritanniens und den dadurch hervorgerufenen Illusionen lagen - zu analysieren. Ihre Darstellung nimmt ziemlich unvermittelt das Jahr 1918 zum Ausgangspunkt, als die britische Arbeiterbewegung maßgeblichen Anteil an der Wiederbelebung der verschiedenen internationalen Zusammenschlüsse hatte. Die Kriegserfahrung hatte nun prägend gewirkt. Jetzt stand außer Zweifel, dass den internationalen Aktivitäten eine entscheidende Rolle zukommen musste, wenn ein neuer Krieg verhindert werden sollte.
Den Auftakt ihrer Studie bildet ein Kapitel über das Verhältnis des TUC zum Internationalen Gewerkschaftsbund - angesichts des reichhaltigen, von der Autorin aber kaum genutzten Materials im TUC-Archiv leider das schwächste des ganzen Bandes. Es lässt die verschiedenen Etappen von der Rolle bei der Wiedergründung 1919 über die zeitweilige Dominanz Mitte der zwanziger Jahr, verbunden mit Auseinandersetzungen über die Beziehungen zu den russischen Gewerkschaften, bis hin zu den Konflikten über die Wiederaufrüstung und die Vor-Kriegs-Situation ab 1936 nur sehr skizzenhaft erkennen und enthält dabei auch noch eine Reihe von Ungenauigkeiten. Auf wesentlich gesicherterem Terrain bewegt sich die Verfasserin bei den zwei folgenden Kapiteln über die Rolle der Labour Party in der Zweiten Internationalen bzw. (ab 1923) Sozialistischen Arbeiter-Internationale. Hier merkt man, dass sie vor allem die umfangreichen Archivsammlungen der Labour Party ausgewählt hat, die neben einigen Nachlässen auch die Unterlagen der verschiedenen für die internationale Arbeit zuständigen Gremien enthalten. So kann sie die komplizierten Wechselverhältnisse zwischen Labour und der Internationale detailliert rekonstruieren.
Auf die politische Internationale folgen die vielen ,,special interest groups", wie sie insbesondere zur Bildung und zum Sport, aber auch zum frühen (Arbeiter-)Tourismus existierten. Internationale kulturelle Aktivitäten werden anhand der (heute ziemlich vergessenen) Esperantobewegung, von Aktivitäten auf dem damals neuen Gebiet des Rundfunks wie im Bereich von Kunst und Musik beleuchtet. Die verschiedenen internationalen Zusammenschlüsse der Frauen (auf politischem, gewerkschaftlichem und Genossenschaftsgebiet) und die sozialistische Jugendbewegung schließen die Darstellung ab.
Durchgängig kann man sagen, dass für die zwanziger Jahre noch ganz der Eindruck des Krieges bestimmend war und deshalb die Forderung nach Friedenssicherung durch Abrüstung das Leitmotiv aller internationalen Aktivitäten bildete. Dies begann sich mit Hitlers Machtübernahme zu ändern. Jedoch stellten erst Spanien und die Tschechoslowakei die definitive Abwendung von der Abrüstungsforderung dar. Des Weiteren hatte sich überall seit Anfang der zwanziger Jahre die Herausforderung durch den Kommunismus bemerkbar gemacht. Hier war es die Partei, die fast von sofort an national wie international am schärfsten den Trennungsstrich verlangte, während der TUC sich noch einige Jahre um Zusammenarbeit bemühte. Dagegen gab es in vielen der ,Nebeninternationalen' weiter gehendere Kooperationen, die dann allerdings auch durch die verschiedenen Zickzackbewegungen der Kommunisten beendet wurden. Die ,,Volksfrontära" ab 1934 war viel zu kurzfristig, die Einheitsbemühungen waren von Seiten der Kommunisten viel zu vordergründig instrumentalisiert, als dass eine grundlegende Wende bewirkt werden konnte.
Versucht man eine Bilanz, so hat die Autorin das Spannungsfeld, in dem sich die internationalen Aktivitäten bewegten, selbst markiert: Zum einen glaubte die britische Arbeiterbewegung an den Internationalismus, zum anderen war die Führung jeder Organisation, wie sie formuliert, darauf bedacht, die Stabilität ihrer eigenen Hierarchie zu sichern. Als entscheidendes Problem stellte sich heraus, inwieweit die internationalen Körperschaften eine eigenständige Entscheidungsebene darstellten - letztlich mit Weisungsbefugnis - oder inwieweit sie nur nationale Organisationen beraten sollten. Hier kam es immer wieder zu Konflikten. Auch wenn das nichts grundsätzlich Verschiedenes zu dem war, was sich im Bereich der Staaten und ihrer internationalen Zusammenarbeit entwickelte, so war doch immerhin hier ein offensichtlicherer Konflikt zwischen dem Anspruch und den Wirklichkeiten internationaler Aktivitäten gegeben.
Bleibt schließlich noch darauf hinzuweisen, dass die Verfasserin, ohne dies weiter zu erörtern, ,,international" praktisch mit ,,europäisch" gleich setzt. Ein solches Verhältnis aber betraf im Wesentlichen mehr oder weniger gleichberechtigte Partner. Zumindest hätte sie problematisieren müssen, dass der ,,Rest der Welt" - und dies betraf vor allem die britischen Kolonien - bei einem solchen Verständnis von Internationalismus nur einen geringen oder überhaupt gar keinen Stellenwert hatte. Auf jeden Fall ist zu begrüßen, dass sie, wie so oft gefordert, aber doch viel zu selten realisiert, den Blick über den nationalstaatlichen Rahmen hinaus erweitert hat.


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